Datenschützer protestieren gegen de Maizières Plan für mehr Videoüberwachung
Der Ex-Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht in dem Plan des Innenministeriums, die Videoüberwachung auszubauen, "verfassungsrechtlich bedenkliche Vorratsdatenspeicherung". Auch andere Experten lehnen sie ab.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) muss sich wegen seines Vorhabens, die Videoüberwachung an "öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen" deutlich auszuweiten, scharfe Kritik von Datenschützern gefallen lassen. Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar wittert eine "verfassungsrechtlich bedenkliche weitere Vorratsdatenspeicherung".
Es würden regelmäßig "ganz überwiegend Personen erfasst, von denen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und die keine Straftaten begangen haben", schreibt der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) in einer am Sonntag veröffentlichten Stellungnahme. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nur ausnahmsweise zulässig und überzeugend zu begründen, meint Schaar.
Datenschützer sollen abwägen
Der Innenminister will mit seinem Referentenentwurf für ein "Videoüberwachungsverbesserungsgesetz", den die EAID parallel veröffentlicht hat, nach den Gewalttaten von München, Ansbach und Würzburg die Sicherheit der Bevölkerung "insbesondere in Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen" sowie in Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs erhöhen.
Die Datenschutzbehörden der Länder müssten in ihrem Genehmigungsprozess für öffentlich angebrachte Videokameras künftig den "Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen" besonders berücksichtigen, meint das Innenministerium. Die Datenschützer stünden einer Videoüberwachung in solchen Anlagen bisher "eher ablehnend" gegenüber.
Zweifel an Abschreckungspotenzial
Zweifelhaft sei aber schon, inwieweit sich das Vorhaben "überhaupt zur Abwehr von Terroranschlägen eigne", halten die Verfasser der EAID-Eingabe dagegen. Es sei nicht erkennbar, wie sich dadurch Taten wie in Bayern im Sommer verhindern ließen. Sogenannte Selbstmordattentäter und die mit ihnen verbundenen Organisationen strebten eine möglichst breite mediale Wirken an, weiß Dennis-Kenji Kipker aus dem Vorstand der Akademie. "Videoaufzeichnungen und die Verbreitung der Aufnahmen sind insofern in ihrem Interesse." Es sei nicht einmal erkennbar, dass sich derlei Gewaltexzesse durch mehr elektronische Augen effektiver aufklären ließen.
Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) und das Netzwerk Datenschutzexpertise lehnen die Überwachungspläne ebenfalls ab. Beide Organisationen bemängeln in ihrer Stellungnahme, dass unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte Betroffener eingegriffen würde. Auch würden die privaten Betreiber von Videoanlagen zu polizeilichen Hilfsdiensten herangezogen. Der Staat beabsichtigte, die theoretisch unabhängige "aufsichtsbehördliche Bewertung von Videoüberwachungsanlagen" unangemessen zu beeinflussen.
Die von de Maizière ausdrücklich erwartete "steigende Anzahl von Videokameras" lasse das Versammlungs- und Demonstrationsrecht alt aussehen, bemängelte der DVD-Vize Werner Hülsmann. Während Protestkundgebungen müssten die Aufzeichnungsgeräte eigentlich von Rechts wegen abgeschaltet werden, was aber schon heute nur unzureichend geschehe. Das DVD-Vorstandsmitglied Thilo Weichert kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit dem Entwurf Datenschutzbelange massiv zurückgedrängt und "sicherheitspolitische Symbolpolitik" betrieben werden sollten. (anw)