Der Mann, der Microsoft bootete: zum Tode von Paul Allen

Paul Allen, der am Montag nach langer Krankheit gestorben ist, war mehr als nur der Mitgründer von Microsoft.

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Der Mann, der Microsoft bootete: zum Tode von Paul Allen

Paul Allen (li.) und Bill Gates (re.).

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"Habe Montagabend mit Bill gesprochen. Vielleicht schreiben wir einen Compiler in BASIC/ein Betriebssystem für den 8080." Was Paul Allen 1974 in sein Tagebuch notierte, war der Anfang von allem. Zusammen mit seinem Kompagnon Bill Gates wollte Allen ein BASIC für den Altair 8800 und andere Computer an den Mann bringen. Während Gates sich auf das Business konzentrierte, war es Allen, der aus dem Kopf einen Bootstrap-Loader am Altair-Computer eingeben konnte. Am Montag ist der Mitgründer von Micro-Soft nach langer Krankheit gestorben.

Paul Gardner Allen wurde am 21. Januar 1953 in Seattle geboren. Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater stellvertretender Bibliotheksleiter der Universität von Washington. Im Hause Allen spielten Musik, Bücher, das Sammeln indianischer Kunst und japanischer Drucke eine wichtige Rolle. Paul Allen lernte Konzertgitarre und Geige, begeisterte sich aber für Rock 'n' Roll. Sein Vater Kenneth musste im Zweiten Weltkrieg eine Karriere als Footballtrainer aufgeben und war als Leutnant in Frankreich und Deutschland im Einsatz. Er unterstützte seinen Sohn bei seinen Plänen und richtete ihm unter anderen ein Chemielabor ein: Live your life.

Die Weltausstellung 1962 in Seattle wurde zum prägenden Erlebnis für den jungen Paul. Er wollte als Wissenschaftler an der Raumfahrt mitwirken und kaufte gebrauchte Chemiekästen, um Raketentreibstoff zu entwickeln. Aus defekten Radios und Fernsehern versuchten er und sein Freund, Funkgeräte für Astronauten zu bauen. Als der kleine Paul Weihnachten 1964 ein Transistor-Radio von Sony bekam, nahm er es noch unter dem Weihnachtsbaum auseinander, um sich die Innereien anzusehen: "Ich erblickte eine neue Welt."

Paul Allen besuchte die Privatschule Lakeside in Seattle, wo sein Mathematiklehrer der Überzeugung war, dass die Schüler programmieren lernen sollten. Mit den Einnahmen aus dem Trödelverkauf des Mütterclubs von Lakeside wurde ein Fernschreiber gekauft, der mit einem GE-Computer verbunden war, auf dem John McCarthys BASIC im Time-Sharing-Verfahren genutzt werden konnte. Zu den 20 Schülern, die sich an diesem System das Programmieren beibrachten, gehörte auch ein gewisser William Gates. Die beiden lernten erst am General-Electric-Computer, dann an einer PDP-10. Sie nutzten die Freiheit (und ein illegal abgefangenes Admin-Passwort), um allerlei Schabernack zu treiben. "Alles, was zählte, waren Einfallsreichtum und die Gier, noch mehr über Quellcodes zu erfahren", erinnerte sich Paul Allen in seiner Autobiografie Idea Man.

Das erste Projekt, das Allen und Gates als "Computer Business" versuchten, war Traf-O-Data, ein Programm, dass die Werte von Verkehrszählanlagen in einem Rechner aufbereiten sollte. Zielsystem war ein Rechner mit einem Intel 8008 Prozessor. Während Gates das eigentliche Programm schrieb, entwickelte Allen ein Programm, das einen 8008 auf der IBM 360 der University of Washington emulierte. Das Projekt verlief schließlich im Sande, war aber die Voraussetzung dafür, dass Paul Allen aus dem Stand weg einen Emulator für den Intel 8080 schreiben konnte, den Intel im Frühjahr 1974 ankündigte.

Am 23. Oktober 1974 notierte Paul Allen die nächste Geschäftsidee in seinem Tagebuch: Ein BASIC-Compiler oder ein Betriebssystem für den 8080. Als die Firma MITS in der Zeitschrift Popular Mechanics einen Computerbausatz auf Basis des Intel 8080 ankündigte, jedoch nichts über die Software mitteilte, war die Chance da: Paul Allen setzte sich als "Präsident von Traf-O-Data" mit MITS-Chef Ed Roberts in Verbindung und bot ihm ein BASIC für seinen Bausatz an. Roberts erreichten damals viele solcher Angebote und er schlug vor, man möge doch das Basic vor Ort in Albuquerque demonstrieren. Dass diese Demonstration gelang, und schließlich ein funktionsfähiges BASIC entstand, daran hatte Paul Allen entscheidenden Anteil. Er konnte nicht nur den Bootstrap-Code an dem nur auf dem Papier gesehenen Altair 8800 eingeben, sondern sah auch seriös genug aus, dass MITS ihm den Titel eines Software-Ingenieurs geben konnte.

Nach der Gründung von Microsoft fiel Paul Allen die Rolle des Forschers und Wissenschaftlers zu, während Bill Gates die harten Forderungen beim Verkauf von BASIC an Firmen wie Apple (Apple II), Commodore (PET) und Tandy (TRS-80) präsentierte. Mit seinen Kolumnen in der Zeitschrift Personal Computing sorgte Allen für PR, während Bill Gates mit seinem Klage-Letter an die Hobbyisten die junge Firma gegenüber der Community der Computerfreaks verteidigte. Beide stritten sich häufig, was Allen mehr zu Herzen ging als Gates.

Diese Doppelseite aus seiner Autobiografie zeigt, wie vielseitig Paul Allens Leben war.

(Bild: heise online/Campus Verlag)

Allen versuchte stets, den Überblick in der technischen Entwicklung zu halten. In einem Interview im Jahre 1977 erklärte er: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Hausfrau selbst beibringt, Programme in BASIC zu schreiben. Was ich dagegen als durchaus möglich ansehe, ist ein Computeranschluss im eigenen Zuhause, der einen über die Telefonleitung und Glasfaserkabel oder einem anderen System mit einem zentralen Netzwerk verbindet. Dieses System sollte es einem möglich machen, sein Auto zum Verkauf anzubieten oder eine Wohnung in einer anderen Stadt zu suchen ..."

Als Leiter der Microsoft-Forschung war Allen für die Microsoft Softcard zuständig, die ein großer Verkaufserfolg mit dem von Digital Research lizensierten Betriebssystem CP/M wurde. Über den so entstandenen Kontakt mit Digital Research wusste Allen davon, dass IBM ein Betriebssystem für den geplanten Personal Computer mit dem Intel 8088 suchte. Zudem hatte Paul Allen für die Entwicklung der Softcard den Programmierer Tim Paterson eingestellt und wusste, dass dieser einen Klon des Betriebssystems CP/M geschrieben hatte.

Allen und Gates kauften das System, das in der Folge als MS-DOS bzw. PC-DOS Karriere machen sollte. Mit der Freigabe von MS-DOS war Paul Allen auf dem Höhepunkt seiner Microsoft-Karriere: "Ebenso stolz war ich auf 86-BASIC, unser altes Zugpferd, das nun auf einem neuen Prozessorchip lief. Da ich immer wieder an dem altehrwürdigen Code herumgedoktert hatte, den wir seinerzeit von Hand auf dem Altair geschrieben hatten, lief dieser nahezu unverändert und zuverlässig auf dem PC. Nach all den Jahren konnte er noch immer zeigen, was er so drauf hatte."

Schon im September 1982 erkrankte Paul Allen das erste Mal schwer am Hodgkin-Lymphom, das mit einer Strahlentherapie und Knochenmarkstransplantation bekämpft wurde. Der monatelange Kampf gegen die Krankheit führte zum Ausfall von Allen bei Microsoft, wobei Gates ihm Arbeitsverschleppung vorwarf. Am 18. Februar 1983 verließ Allen die Firma, behielt jedoch sämtliche Firmenanteile, die Gates ihm abkaufen wollte. Nach seiner Genesung bereiste er die Welt und fand neben der E-Gitarre und Basketball im Tauchen eine neue Leidenschaft. Nach 18 Monaten hatte er vom süßen Leben die Nase voll und gründete Asymetrix, eine Firma für Lernsoftware, die heute als SumTotal Systems firmiert.

Als Microsoft im März 1986 an die Börse ging, verkaufte Allen 200.000 Aktien, behielt aber 28 Prozent der Firma. "Von da an machte ich nur Dinge, die mir Spaß machten." Als erstes kaufte er sich ein Basketball-Team, die Portland Trail Blazers, und gründete zusammen mit seiner Schwester eine später recht erfolgreiche Filmfirma namens Vulcan Productions. Den Architekten Frank Gehry beauftragte Allen, ein Museum für Popkultur zu errichten. Es sollte seinem großen Vorbild gewidmet sein, dem Gitarristen Jimi Hendrix.

Paul Allen hatte Hendrix' Version von Purple Haze im Jahre 1967 gehört und war hin und weg. Das Stück wurde für den jungen Gitarristen zu seinem "persönlichen Moby Dick", er versuchte wieder und wieder, es zu spielen. "Ich kam mir vor, als würde ich Schritt für Schritt einen Code knacken". Mit seinem Reichtum kaufte Paul Allen später alles auf, was irgendwann einmal Jimi Hendrix gehört hatte. So kam genug zusammen, bis das Museum im Jahre 2000 eröffnet wurde. Zu einem persönlichen Triumph geriet für Allen eine Jam-Session beim Experience Music Project im Oktober 2010, wo er zusammen mit Billy Cox auftrat, dem Bassisten von Jimi Hendrix. Allen war zudem Gast in Jam-Sessions mit Keith Richards und Mick Jagger, Bono, Peter Gabriel und Annie Lennox. Das große Wiedervereinigungskonzert von Pink Floyd bei Live 8 in London im Jahre 2005 wurde von Allens Firma Vulcan Ventures finanziert.

Über seine Anlagefirma Vulcan Real Estates hat Allen versucht, die Stadtentwicklung von Seattle voranzutreiben. Das Ganze endete mit einem Milliarden-Gewinn, als 2012 die Firma das Grundstück für die Zentrale von Amazon verkaufen konnte. Ein Teil dieses Gewinnes floss nach einem Versprechen von Allen in die Ebola-Bekämpfung in Afrika. Die von ihm gegründete Paul G. Allen Foundation hat die Bekämpfung von Ebola als eines der Stiftungsziele ausgegeben. Das andere ist der Allen Brain Atlas, zu dem ein Brain Institute gehört, das von Allen mit 300 Millionen US-Dollar gegründet wurde. Seine letzten beiden Projekte, in die er viel Energie, Geld und Leidenschaft steckte, waren die Weltraumfahrt mit Stratolaunch und die Künstliche Intelligenz mit dem Project Halo, für das Allen das Institute for Artificial Intelligence geschaffen hatte.

"Die Ironie meines Lebens ist – wenn überhaupt – das Eindimensionale meiner Zeit bei Microsoft. Das war für mich untypisch, denn als ich jünger war, hatte ich mich mit Raketen, Robotern, Musik und Chemie beschäftigt. Dann widmete ich mich acht getriebene Jahre lang ausschließlich einem Ziel, nämlich Microsoft zur Nummer eins der PC-Revolution zu machen", erinnert sich Allen. "Nachdem ich Microsoft den Rücken gekehrt hatte, gab mir das Vermögen, das ich mit geschaffen hatte, die Freiheit, dort anzufangen, wo ich aufgehört hatte. Manchmal schoss ich dabei übers Ziel hinaus, doch die Auswahl meiner Projekte erfolgte nicht willkürlich. Die Saat dafür war vor langer Zeit gelegt worden, in meiner Jugend."

Paul Allens Autobiografie "Idea Man" ist auf Deutsch im Campus Verlag erschienen.

(vbr)