Der gefährlichste Mann in Amerika: zum Tode von Daniel Ellsberg

Der Friedensaktivist Daniel Ellsberg ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Seine "Pentagon Papers" gelten als wichtigste Veröffentlichung eines Whistleblowers.

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Daniel Ellsberg (2002)

(Bild: Christopher Michel / Cmichel67, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Der Whistleblower Daniel Ellsberg ist in seinem Zuhause an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs im Kreise seiner Familie friedlich gestorben. Er wurde 92 Jahre alt. Als die Krankheit bei ihm diagnostiziert wurde, hatte Ellsberg eine Chemotherapie abgelehnt. Für seinen Grabstein hatte er noch die Inschrift entworfen: "Mitglied der Anti-Kriegs- und der Anti-Atom-Bewegung". Die durch ihn erfolgte Veröffentlichung der Pentagon-Papiere im Jahre 1971 gilt als die wichtigste und einflussreichste Handlung eines Whistleblowers.

Der Harvard-Absolvent Daniel Ellsberg arbeitete ab 1958 für die Rand Corporation und beschäftigte sich mit geostrategischen Analysen. Im Jahre 1964 wurde er Berater des Pentagons und ging für zwei Jahre nach Vietnam, um die Kriegsführung der USA zu studieren. Was er vorfand, machte ihm zu einem überzeugten Kriegsgegner. Er kopierte in mühevoller Kleinarbeit eine Sammlung von Geheimdokumenten unter dem Titel "Report of the Office of the Secretary of Defense Vietnam Task Force". Die Dokumente und Analysen belegten, dass der Vietnamkrieg für die USA nicht zu gewinnen war. 1971 wurden diese Dokumente als Pentagon Papers veröffentlicht, nachdem es Ellsberg nicht gelungen war, befreundete Politiker wie William Fulbright und George McGovern davon zu überzeugen, die Papiere zu veröffentlichen. Ellsberg war davon überzeugt, dass die Aufdeckung eine Aufgabe des Parlamentes ist, das die Regierung kontrolliert.

Erst nach dem Scheitern dieser Bemühungen wandte er sich an die Presse. Die New York Times begann am 13. Juni 1971 mit dem Abdruck, gefolgt von der Washington Post. Beide Zeitungen wurden verklagt, doch das Verfahren wurde bereits am 30. Juni eingestellt: "Nur eine freie, unbehindert agierende Presse kann wirksam Täuschungen durch die Regierung aufdecken." Ellsberg wurde der Spionage und des Landesverrats angeklagt; sein Prozess endete 1973 mit einem Freispruch. Mit dem Verfahren wurde Ellsberg zu einem Idol der Friedensbewegung. Für US-Präsident Richard Nixon war er hingegen der gefährlichste Mann in Amerika. Er setzte Einbrecher ein, die die Praxis von Ellsbergs Psychiater durchsuchten. Sie fanden keine Beweise für die von Nixon vermutete Geisteskrankheit. Das Team flog später mit dem Watergate-Skandal auf.

Ellsberg blieb der Friedensbewegung verbunden und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Unermüdlich warnte er vor militärischen Eskapaden der USA.

Im September 2006 schrieb Ellsberg einen Artikel für "Harper's Magazine". In diesem Artikel über The Next War hoffte Ellsberg darauf, dass jemand Geheimdokumente zu den Kriegsvorbereitungen der USA gegen den Iran veröffentlicht, damit dieser sich abzeichnende Krieg verhindert werden kann. Anfang Dezember 2006 erhielt Ellsberg eine E-Mail einer damals unbekannten Organisation namens Wikileaks, die sich auf seinen Artikel berief und fragte, ob er zur Mitarbeit an einem Projekt bereit wäre, das massenhaft Geheimdokumente leaken soll. Ellsberg lehnte eine Mitarbeit bei Wikileaks ab, sympathisierte jedoch mit dem Projekt. Noch vor zwei Jahren erklärte er öffentlich: "Whatever Julian Assange is guilty of, I’m guilty of."

Sein letztes Interview gab Daniel Ellsberg der New York Times im März. "Ich verlasse eine Welt, die sich in einem schrecklichen Zustand befindet und die überall dort schrecklich ist, wo ich versucht habe, sie besser zu machen. Präsident Biden hat recht, wenn er sagt, dass es hinsichtlich eines Atomkrieges die gefährlichste Zeit seit der Kubakrise ist. Das ist nicht die Welt, wie ich sie mir für 2023 vorgestellt habe. Aber so ist sie."

(tiw)