Die Grünen richten ihre Sicherheitspolitik neu aus

Der kleine Koalitionspartner spricht sich gegen eine Vorratsspeicherung der TK-Daten, gegen Verschlüsselungsverbote, zentrale Biometriedateien und den gläsernen Flugpassagier aus; zugleich plädiert er für eine Reform des Datenschutzes.

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Die Grünen versuchen sich nach der Halbzeit der Legislaturperiode wieder als Bürgerrechtspartei ins Spiel zu bringen. Dies zeigt sich auch in einem Beschluss über die neue Ausrichtung der grünen Sicherheitspolitik (PDF), den die Bundesdelegiertenkonferenz am Sonntag auf dem Parteitag in Kiel gefasst hat. Das 14-seitige Grundsatzpapier stellt einen Rundumschlag dar zu Themen wie der seit dem 11. September 2001 ausgedehnten Überwachung der Bürger, zu Folter, Drogenpolitik, Nachrichtendiensten, europaweiter Polizeiarbeit oder Datenschutz und sicheren IT-Infrastrukturen. Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Ansage durch den Text, die Bürgerrechte nicht weiter auf dem Altar der inneren Sicherheit opfern zu wollen. Insgesamt erscheint der Beschluss als eine Kampfansage an Bundesinnenminister Otto Schily.

Schilys Initiativen wollen die Grünen klare Grenzen setzen. Ein Rechtsstaat sei ein Staat, halten sie prinzipiell und unter Anspielung auf Urteile wie das des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung des Großen Lauschangriffs fest, der die Grundrechte der Verfassung achtet und die von ihnen umschriebenen überwachungsfreien Lebenswelten ohne staatliche Eingriffe sichert. Bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus müsse "mit Augenmaß" hantiert werden. "Eine fragwürdige Sicherheit ohne Meinungs- und Versammlungsfreiheit und ohne rechtsstaatliche Verfahrensgarantien bei der Gefahrenabwehr wie bei der Strafverfolgung" lehnen die Grünen aufgrund dieser Überlegungen "entschieden" ab: "Wir müssen anerkennen, dass der Staat keine absolute Sicherheit gewährleisten kann." Insgesamt setzen sie auch angesichts des islamistischen Terrors weiter auf den Dialog und "offene Kontroversen auf gleicher Augenhöhe" statt auf internationale Konfrontation und rein "symbolische" Sicherheitsgesetze.

Bei der innerdeutschen Sicherheitsarchitektur sehen die Grünen Reformbedarf wegen zersplitterter Zuständigkeiten zwischen Bundes- und Landesbehörden sowie der Abgrenzung zwischen nachrichtendienstlicher und polizeilicher Arbeit. "Der Ruf nach mehr Zentralität, mehr Gesetzgebungskompetenzen für den Bund und mehr unreglementiertem Datenaustausch" werde dieses Problem aber nicht lösen. Konkret erheben die Bundesdelegierten die Forderung: "Statt undifferenziert alle Erkenntnisse über extremistische Aktivitäten in einer gemeinsamen Mega-Fundstellendatei der Verfassungsschutzbehörden und Polizeien zu sammeln, sollte vielmehr im Sinne eines 'case-managements' auf den Fall bezogen, personen- und sachbezogene Erkenntnisse zusammengetragen werden. Diese Informationsgewinnung sollte sich auf tatsächliche potenzielle terroristische Gewalttäter und sie unterstützende Extremisten konzentrieren."

Weiter bekennen sich die Grünen zu der bisher vernachlässigten Zusage aus dem Koalitionsvertrag 2002, das Datenschutzrecht "umfassend" zu reformieren. Um die Telekommunikationsüberwachung wieder zu einer "ultima ratio" der Strafverfolgung zu machen, drängen sie auf Verfahrenssicherungen, "die eine wirksame richterliche Kontrolle der Durchführung der Maßnahmen ermöglichen und durch Verstärkung von Berichtspflichten Transparenz für die Öffentlichkeit schaffen". Die über Brüssel derzeit erneut ins Spiel gebrachte umstrittene Vorratsspeicherung sämtlicher Kommunikationsdaten lehnen sie ab. Sie verstoße klar gegen den Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung und würde darüber hinaus unnötig die Wirtschaft mit erheblichen Kosten belasten. In dem Papier heißt es wörtlich: Ein so starker und umfassender Eingriff in das Fernmeldegeheimnis "kann von uns nicht mitgetragen werden".

Auch dem Thema IT-Security widmen die Grünen einen Absatz. Hier sprechen sie sich "generell gegen Verschlüsselungsverbote und die Verpflichtung zur Hinterlegung von Schlüsseln aus", um die Entwicklung von verlässlichen IT-Lösungen nicht zu behindern. Zudem setzt der kleine Kooperationspartner auf Open Source: In Freier Software erkennt er aufgrund des offenen Quellcodes und dem dahinterliegenden Entwicklungsmodell "große Chancen für mehr Softwarevielfalt, Nachhaltigkeit und Sicherheit in der Informationsgesellschaft".

Im internationalen Bereich machen sich die Grünen letztlich für eine bessere Kontrolle der europäischen Polizeibehörde Europol stark, die nach Plänen von US-Justizminister John Ashcroft und der Brüsseler Kommission künftig enger mit dem FBI zusammenarbeiten soll. Gleichzeitig plädieren sie für eine "zensurfreie, kritische Medienlandschaft". Zentrale Filtermaßnahmen im Internet lehnen sie ab. Auch die Weitergabe der Flugdaten europäischer Passagiere an die Behörden der Vereinigten Staaten wird von der Partei "nachdrücklich missbilligt". Stattdessen unterstützen die Delegierten "die vom Europäischen Parlament eingeleitete Anfechtung der zwischen EU und USA geschlossenen Abkommen zur Flugpassagier-Datenübermittlung". (Stefan Krempl) / (anw)