Die Milliarden-Klage gegen Getty Images: Eine Analyse

Nicht weniger als eine Milliarde Dollar fordert eine Fotografin von dem Bilderhändler Getty Images und anderen. Was steckt dahinter? Heise-Justiziar Joerg Heidrich hat für c't Fotografie die Klageschrift analysiert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Carol M. Highsmith ist eine renommierte Fotografin, die vor allem für ihre Fotografie des amerikanischen Lebens berühmt wurde. Mehr als 100.000 Fotografien, die sie im Laufe ihres Lebens aufgenommen hatte, hatte sie der Library of Congress kostenfrei zur Verfügung gestellt. Diese Aufnahmen dürfen als public domain genutzt werden. Ein weiteres Projekt von Frau Highsmith ist die "This is America! Foundation", die sich zur Aufgabe gemacht hat, eine landesweite visuelle Studie der Vereinigten Staaten im 21sten Jahrhundert zu erstellen. Dort findet sich unter anderem das Bild des Nelson-Atkins Museums of Art in Kansas City, welches nun zum Anlass einer aufsehenerregenden Streitigkeit wurde.

Mehr Infos

Den Artikel auf facebook, Google+ oder twitter teilen

Am 14. Dezember 2015 erhielt die "Dear This is America! Foundation" eine E-Mail der License Compliance Services, Inc.(LCS), eines Unternehmens, das sich dem "Schutz digitaler Bildnisse" verpflichtet hat. Diese handele im Auftrag von Alamy, einem britischen Unternehmen mit Sitz in den USA, dass sich selbst als der größten Stockfotosammlung der Welt bezeichnet. Nach Ansicht von LCS und Alamy habe die Foundation ein Bild veröffentlicht, an dem diese keine gültige Lizenz aufweise. Dieses stelle einen Verstoß gegen den Copyright Act dar. Alamy als Inhaber der Rechte an dem Bild habe daher Ansprüche gegen die Foundation. Diese habe nun drei Möglichkeiten: Eine ordnungsgemäße Lizenz nachzuweisen, das Bild nachträglich kostenpflichtig zu lizenzieren oder die Nutzung unverzüglich zu stoppen und einen Betrag von 120 Dollar zu zahlen. Ironischerweise ist die Website, mit der LCS die "unerlaubte Nutzung von Alamy Bildern" dokumentiert, immer noch online.

Highsmith hatte allerdings weder Alamy, noch dem Konkurrenten Getty Images gestattet, ihre Bilder kostenpflichtig anzubieten. Noch viel weniger hatte sie den Datenbanken nach eigenen Angaben solche exklusiven Rechte übertragen, die in der Abmahnung behauptet wurden. Sie nahm das Schreiben zum Anlass, die Datenbanken zu überprüfen. Und sie fand erstaunliches: So hatte Getty laut Klageschrift nicht weniger als 18.755 ihrer Bilder im kostenpflichtigen Angebot, Alamy über 500. Zu allem Überfluss war in einigen Fällen die Fotografin nicht einmal korrekt als Urheberin vermerkt.

Nach Angaben in der Klageschrift waren auch andere Bilder der Fotografin bereits Gegenstand von Lizenzforderungen durch die Bildhändler, ohne dass sie davon Kenntnis erlangt hatte oder finanziell beteiligt worden war. Alamy und Getty hätten sich dabei als Inhaber exklusiver Rechte ausgegeben und gegenüber den Empfängern ihrer Abmahnungen mit Copyright-Prozesses gedroht. Nachdem offenbar Verhandlungen fruchtlose geblieben waren, schaltete Highsmith nun ihrerseits die Gerichte ein.

Die am 25. Juli vor dem einem hiesigen Landgericht vergleichbaren District court in New York eingereichten Klage der Fotografin richtet sich gegen insgesamt sechs Unternehmen, darunter die beiden Bilderhändler Getty und Alamy, sowie mit LCS und Picscout zwei Unternehmen, die sich der Durchsetzung von Urheberrechten verschrieben haben. Diesen wird zunächst ein Verstoß gegen die Vorgaben des Digital Millennium Copyright Act (DMCA) vorgeworfen. Insbesondere hätten sie die Praxis der unberechtigten Lizenzierung auch noch dann fortgesetzt, nachdem ihnen bereits bekannt war, dass sie dafür nicht die entsprechenden Rechte aufweisen.

Kern der Klage ist aber der von Highsmith geltend gemachte Zahlungsanspruch. Dieser beziffere sich nach US Copyright-Recht auf eine Zahlung zwischen 2.500 und 25.000 Dollar – pro Verstoß. Bereits hieraus ergebe sich ein Anspruch zwischen rund 47 und 470 Millionen Dollar. Da Getty jedoch bereits in einem vergleichbaren Verfahren zu einer Zahlung verurteilt worden war, sei der Zahlungsanspruch aufgrund des dadurch nachgewiesenen "bad faith business" auf einen Betrag von einer Milliarde Dollar zu erhöhen. Diese Summe dürfte weit über dem liegen, was bisher in vergleichbaren Klagen gefordert worden war.

Ob die Fotografin tatsächlich diesen oder auch nur einen annährend hohen Betrag in dem Verfahren erhalten wird, steht in den Sternen. Allerdings dürfte ihre Chancen auf eine hohe Zahlung in einem Prozess mit einer Jury durchaus gut stehen. In einer Stellungnahme zu der Klage spricht Getty von "Missverständnissen", die mit der Klägerin so schnell wie möglich aufgeklärt werden sollen. Sollte dies nicht möglich sein, werde man sich energisch gegen die Klage zur Wehr setzen.

Getty Images ist auch in Deutschland dafür bekannt, Urheberrechte aggressiv mit Abmahnungen und im Rahmen von Gerichtsverfahren zu verteidigen. Allerdings sind keine Fälle bekannt, in denen das Unternehmen auf Basis von tatsächlich nicht vorhandenen Nutzungsrechten gegen Nutzer vorgegangen wäre.

Ein Fotograf, dessen Bilder ohne seine Zustimmung etwa im Rahmen von Stock-Market-Angeboten vertrieben werden, hätte grundsätzlich auch nach deutschem Recht die Möglichkeit, dagegen vorzugehen und Schadensersatz zu verlangen. Zentrale Vorschrift ist hier Paragraf 97 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG). Danach kann der Betroffene zunächst verlangen, dass die rechtswidrige Verwendung der Bilder sofort und dauerhaft unterlassen werden muss.

Handelt der unberechtigte Anbieter der Bilder dabei vorsätzlich oder fahrlässig, so ist er dem Verletzten „zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“. Bei der Berechnung des Schadensersatzes hat er ein Wahlrecht aus drei verschiedenen Möglichkeiten: Er kann den tatsächlich durch den Rechtsbruch erzielten Gewinn verlangen, den entgangenen Gewinn oder den Betrag verlangen, den der Verletzer als „angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte“. Die letzte Möglichkeit ist die in der Praxis gebräuchlichste.

Hätte sich der Fall von Frau Highsmith in Deutschland ereignet, so hätte sich ein möglicher Schadensersatz nach Paragraf 97 UrhG bestimmt. Würde man hier für jede Lizenz eines Bildes in der Qualität der Highsmith’schen Aufnahmen etwa 500 Euro ansetzen, so käme man hierzulande bei 18.755 Bildern auf einen Betrag von immerhin rund 9,3 Millionen Euro. Im Falle von nicht ordnungsgemäßen Hinweis auf den Urheber kann sich der Betrag jeweils für die einzelnen Bilder verdoppeln.

Schließlich hätten sich die Verantwortlichen für die Abmahnungen und die unerlaubte Nutzung der Bilder sogar strafbar gemacht. Paragraf 106 UrhG regelt die unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke. Danach macht sich derjenige strafbar, der „ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt“. Es droht immerhin eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Handeln die Täter gewerbsmäßig, so geht der Strafrahmen des Paragraf 108a sogar bis zu fünf Jahre. (keh)