Diese KI-Kamera macht Fotos, ohne zu fotografieren

Die Kamera Paragraphica braucht kein Objektiv, um Bilder zu schießen. Sie lässt den KI-Bildgenerator Stable Diffusion und Geodaten für sich arbeiten.

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Paragraphica

(Bild: Bjørn Karmann / Paragraphica)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Eike Kühl

Bjørn Karmann hat eine Kamera entwickelt, die "Fotos" macht – die Anführungszeichen sind wichtig. Denn tatsächlich bricht die Erfindung des dänischen Designers mit der gängigen Definition von Fotografie als die Abbildung der Realität mithilfe eines optischen Systems. Karmanns Kamera, Paragraphica genannt, verfügt nämlich über keinerlei Optik, sprich über keine Linse. Sie fotografiert deshalb auch nicht, sondern sie generiert Inhalte – mithilfe künstlicher Intelligenz.

Streng genommen handelt es sich bei Paragraphica um einen Mini-PC in einem per 3D-Druck gefertigten Gehäuse, dessen auffällige Vorderseite an das Tastorgan eines Maulwurfs angelehnt ist. Die Basis bildet ein Raspberry Pi, der an einen Bildschirm angeschlossen ist. Das System sammelt via GPS und eine Wetter-App verschiedene Daten über den aktuellen Standort und die Begebenheiten: Welcher Tag und welche Uhrzeit ist es, wie ist das aktuelle Wetter und welche Geschäfte oder Besonderheiten gibt es in der unmittelbaren Nähe?

Auf Basis dieser Informationen erstellt Paragraphica eine entsprechende Beschreibung. Zum Beispiel: "Ein Abendfoto, aufgenommen in der Karl-Wiechert-Allee 10 in Hannover. Das Wetter ist sonnig bei 25 Grad und es ist Donnerstag, der 1. Juni 2023. In der Nähe befindet sich eine Hochschule und ein Hotel."

Diese Beschreibung ist der Ersatz für das, was bei einer normalen Kamera eigentlich das Objektiv erfasst. Gleichzeitig ist es der Prompt für den Text-Bild-Generator Stable Diffusion. Über eine mobile Internetverbindung verbindet sich Paragraphica mit dessen API und drückt somit den virtuellen Auslöser: Stable Diffusion beginnt, anhand der Beschreibung ein entsprechendes Bild zu generieren, das Karmann anschließend, wie bei einer Digitalkamera, auf dem Bildschirm angezeigt wird.

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Um die Haptik einer traditionellen Kamera zu simulieren, gibt es noch drei Rädchen an der Oberseite des Gehäuses, über die sich die Prompts anpassen lassen: So lässt sich einstellen, in welchem Radius rund um den Standort Daten mit in die Erstellung einbezogen werden sollen und wie stark sich die Algorithmen an die Vorgaben der Beschreibung halten sollen, wie stark also der Fokus – im übertragenen Sinne – sein soll.

Und die Ergebnisse? Natürlich haben die "Fotos", die Paragraphica halluziniert, bisweilen wenig mit der Realität zu tun, auch wenn das letztlich immer vom tatsächlichen Standort abhängt. Die Algorithmen von KI-Bildgeneratoren wie Stable Diffusion, DALL-E und Midjourney sind mit Milliarden von öffentlich zugänglichen Bildern im Netz trainiert. An Orten, von denen es viele Aufnahmen gibt, ist der Algorithmus in der Lage, ein Bild zu erstellen, das tatsächlich recht nah an der Realität ist. An weniger bekannten und abgelegenen Orten muss sich die KI dagegen "vorstellen", wie es dort aussehen könnte.

In einigen Fällen zeigen die generierten Fotos tatsächlich die Welt, wie sie um ihn herum aussehe, schreibt Bjørn Karmann auf seiner Webseite: "Interessanterweise fangen die Fotos einige Stimmungen und Emotionen der Orte ein, wenn auch auf unheimliche Weise."

Auf Twitter erklärt er, dass es sich bei Paragraphica um ein persönliches Kunstprojekt handele. Weder wolle er aus der Kamera ein käufliches Produkt machen, noch gehe es ihm darum, traditionelle Fotografie in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Vielmehr wolle er zeigen, wie künstliche Intelligenz die physische Welt interpretiert. Wer Paragraphica ausprobieren möchte, muss sich die Kamera übrigens nicht erst nachbauen: Karmann hat auch eine Version für den Browser entwickelt (die aber derzeit stark überlastet ist).

(jle)