Drohkulisse

Seit fünf Jahren geht Greenpeace der IT-Industrie auf die Nerven. Mit einer riskanten Strategie, aber zunehmend erfolgreich – wie der jüngste Öko-Report der Aktivisten zeigt.

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Inhaltsverzeichnis

Siebzehn Mal haben Greenpeace-Aktivisten ihren „Guide to Greener Electronics“ neu aufgelegt. Sie haben Hunderte Fragebögen verschickt und ausgewertet, sich von Firmenzentralen abgeseilt und mit chinesischen Zulieferern sowie Steve Jobs persönlich diskutiert. Trotzdem erreichten sie jahrelang kaum messbare Fortschritte.

Erst jetzt, fünf Jahre nach dem Start der Kampagne, feiern die Aktivisten ihren ersten Erfolg. „Führende Hersteller haben sich der Herausforderung gestellt, die gefährlichsten Schadstoffe aus ihren Produkten zu verbannen“, sagte Herausgeber Tom Dowdall vor Kurzem bei der Vorstellung des jüngsten Öko-Reports. Mit den Schadstoffen meint er PVC und bromierte Flammschutzmittel (BFR) – Chemikalien, die mit Weichmachern versetzt werden, in der Natur kaum abgebaut werden oder bei der Verbrennung krebs-erregende Dioxine erzeugen.

Bislang verzichtet zwar nur ein PC-Hersteller, Apple, auf die Stoffe. Doch mit HP hat nun auch der Marktführer die Umstellung fast geschafft, Samsung und Sony haben ebenfalls Fortschritte erzielt. Das allein ist ein erstaunlicher Wandel für eine Branche, die für Kostendrückerei berüchtigt ist.

Im aktuellen „Guide to Greener Electronics“ überholt HP den Ex-Spitzenreiter Nokia. Der Report ist allerdings kein Einkaufsführer für Umweltbewusste, sondern ein Druckmittel der Öko-Aktivisten im Ringen mit den Herstellern.

Zumal Greenpeace ohne politische Unterstützung auskommt. Die EU verwarf 2010 ein Verbot von PVC und BFR und will erst in einigen Jahren wieder darüber beraten. Außerdem fahren die Aktivisten eine riskante Strategie: Sie bewerten in erster Linie Öko-Infos und -Versprechen. Wer seine Versprechen nicht hält, kassiert Minuspunkte. „In wettbewerbsintensiven Märkten achten die Unternehmen sehr auf die öffentliche Wahrnehmung ihrer Marke“, sagt Dowdall.

Der Nachteil der Methode: Der Greenpeace-Guide ist keine ernstzunehmende Öko-Rangliste, sondern nur ein Druckmittel. Berechnet ein Hersteller etwa den eigenen Treibhausgas-Ausstoß und gelobt, diesen bis 2015 um zehn Prozent zu reduzieren, erhält er Punkte. Der Konkurrent, der klimafreundlicher produziert, aber darüber schweigt, geht leer aus.

Greenpeace riskierte also von Anfang an eine Blamage. Das erkannte auch Steve Jobs. „Ihr verlasst Euch zu sehr auf blumige Ankündigungen“, blaffte er 2007 zwei Greenpeace-Gesandte an. Er habe nichts gegen eine Rangliste, diese müsse allerdings auf Fakten basieren. Die Umweltschützer sollten schleunigst „mehr Ingenieure einstellen“.

Im Jahr 2008 geschah das Befürchtete: Den Aktivisten wurde klar, dass die meisten Hersteller ihre Versprechen nicht halten würden. Ein Manager gestand Greenpeace, dass er trotz der Ankündigung keinen Fahrplan für den Schadstoffverzicht festgelegt hatte. „Damals stand die ganze Kampagne auf der Kippe“, erinnert sich Dowdall.

Doch ein Hersteller hielt Wort: Apple verkündete Anfang 2009 die Umstellung. Damit hatte Greenpeace für seinen PR-Feldzug den Beweis, dass der Verzicht auf PVC und BFR machbar ist – Dowdall nannte Steve Jobs deshalb posthum einen „wertvollen Verbündeten“. Die Aktivisten erhöhten fortan den Druck auf die Nachzügler. Sie verteilten nicht nur Minuspunkte im Report, sie kletterten auch auf Gebäude von HP, Samsung und Dell und entrollten Protestbanner. So zwangen sie die Hersteller, neue Fristen zu verkünden.

Diese laufen Ende 2011 aus. Dowdall rechnet nicht nur damit, dass HP die Umstellung schafft; er sieht auch Acer, Dell und Lenovo kurz vor dem Wechsel zu umweltfreundlicheren Produkten. Trotzdem verteilt der aktuelle Report wieder schlechte Noten. Nur HP landet halbwegs im grünen Bereich. Denn die Aktivisten haben die Kriterien erneut verschärft und erweitert: Neben Schadstoffen, Recycling und Klimaschutz berücksichtigen sie nun auch die Rohstoffquellen der Hersteller.


2006: Mit dem ersten „Guide to Greener Electronics“ greift Greenpeace die IT-Industrie an. Die Aktivisten verlangen Recyclingprogramme und den Verzicht auf PVC und bromierte Flammhemmer (BFR).

(Bild: Greenpeace)


2006: Die ersten Firmen lenken ein. Dell, Lenovo und Acer verkünden Fristen für den Verzicht auf PVC und BFR. Das verlangt Greenpeace auch von Apple – und startet die Kampagne „GreenMyApple“.

2007: Steve Jobs gibt nach: Apple-Produkte sollen ab Ende 2008 ohne PVC und BFR auskommen.


2008: Greenpeace verschärft die Kriterien bezüglich Chemikalien und Recycling und fügt einen dritten Punkt hinzu: Klimaschutz.

2009: Apple erreicht sein Ziel und verzichtet als erster PC-Hersteller auf die Stoffe.

2009: Greenpeace macht auf den illegalen Elektroschrott-Export aufmerksam: Mitarbeiter stöbern in Nigeria einen Fernseher auf, den sie zuvor bei einer offiziellen Sammelstelle in England abgegeben hatten.

2009–2010: Rückschläge in Serie: Dell, Lenovo, HP, Samsung und weitere Hersteller brechen ihre PVC-/BFR-Versprechen. Greenpeace reagiert mit öffentlichkeitswirksamen Protesten.

(Bild: Philip Reynaers/Greenpeace)


2010: Der indische Hersteller Wipro bringt einen PVC- und BFR-freien Desktop-PC auf den Markt – Greenpeace nutzt das Produkt, um die großen Marken unter Druck zu setzen.

2011: Im jüngsten Report sieht Greenpeace die Industrie kurz vor dem Durchbruch zur PVC- und BFR-freien Produktion. (cwo)