Erdgasbranche setzt auf blauen, türkisen und grünen Wasserstoff

Die deutsche Energiewirtschaft stellt sich darauf ein, klimaneutral zu werden. Wie das mit Hilfe von Wasserstoff gelingen soll, zeigt sie nun auf.

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Hybridkraftwerk.

(Bild: BDEW / Swen Gottschall)

Lesezeit: 4 Min.

Für die deutsche Energiebranche ist klar, dass sie ihre bisherigen Geschäftsmodelle aufgeben muss, wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral wirtschaften soll. Sie muss sich wandeln, vor allem, indem sie anstelle von Erdgas neue Gase wie Biogas, Wasserstoff und seine Derivate erzeugt, importiert, transportiert und verteilt. Wie das gelingen soll, haben der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und Zukunft Gas nun dargelegt.

Nicht nur Klimaschutz lautet das Ziel, sondern auch Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine habe dies noch einmal verdeutlicht, erläuterte Kirsten Westphal vom BDEW. Die bestehende Gasnetzinfrastruktur sei ein wesentlicher Faktor der Transformation des Energiesystems, sagte DGWV-Vorsitzender Gerald Linke. Das etwa eine halbe Million Kilometer lange Leitungsnetz, das auf Stahl basiert, könne zu 100 Prozent Wasserstoff aufnehmen.

Darüber hinaus zeigten Untersuchungen, dass die neuen Gase in ausreichenden Mengen und zu tragbaren Kosten verfügbar sein könnten, ergänzte Linke. Es sei damit zu rechnen, dass im Jahr 2030 etwa 230 bis 599 TWh Biomethan und Wasserstoff aus Importen und heimischer Erzeugung verfügbar seien, im Jahr 2045 bis zu 1029 TWh. Zum Vergleich: 2021 wurden nach Angaben des BDEW in Deutschland 1017 TWh Erdgas verbraucht, 2022 waren es 882 TWh.

Allerdings sei teilweise unklar, wofür und in welchen Mengen neue Gase zukünftig konkret eingesetzt werden, heißt es in dem Papier Transformationspfad für die neuen Gase der Verbände. Wegen der unwägbaren technologischen, wirtschaftlichen, (geo-)politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gebe es hier große Unsicherheiten. Gerade deshalb sei es wichtig, sich Handlungsoptionen zu erhalten und die bestehende Infrastruktur zu nutzen.

Die angestrebte Energieeffizienz und Elektrifizierung könnten in bestimmten Bereichen nicht ausreichen, beispielsweise für Hochtemperaturprozesse in der Industrie und im Schwerlaststraßenverkehr. Eine weitere Herausforderung sei die Wärmeversorgung. Bisher sei Erdgas mit 50 Prozent Anteil der am häufigsten genutzte Energieträger. Infrastruktur und Heizungstechnik seien mit geringem Aufwand auf einen vollständigen Wasserstoffbetrieb umrüstbar. Das sei wichtig vor dem Hintergrund, dass der Wärmepumpen-Hochlauf die Stromverteilnetze stark auslasten werde. Zudem müssten viele Gebäude für diese Heiztechnik saniert werden, was aufwendig sei und viel koste, außerdem gebe es einen deutlichen Fachkräftemangel.

Als "unbestrittene Anwendungsfälle" für erneuerbare und dekarbonisierte Gase sieht die Energiebranche die stoffliche Nutzung in der Industrie, zum Beispiel in der Stahlerzeugung, für Verkehrsmittel, die nicht elektrisierbar seien, wie der Flug- und Schiffsverkehr sowie als Energiespeicher, um die Versorgung mit Energie in Dunkelflauten abzusichern. Die Verbände gehen nach Berechnungen der Beratungsfirma Team Consult davon aus, dass sich für das Jahr 2030 ein Bedarf an "unverzichtbaren" neuen Gasen von 49 bis 133 TWh ergibt. Im Jahr 2045 werde der Bedarf zwischen 127 und 396 TWh betragen.

Biomethan, Wasserstoff und dessen Derivate sollen aus heimischer Produktion kommen und zu "erheblichen Anteilen" importiert werden. Während der Transformationsphase hin zu Klimaneutralität werde "blauer Wasserstoff" wichtig sein. Dieser wird aus fossilem Erdgas per Reformierungsverfahren gewonnen, dabei wird Carbon-Capture-and-Storage-Technik angewendet, mit der CO₂ abgeschöpft und gespeichert wird. Nach und nach sollen vor allem "grüner" und "türkiser" Wasserstoff eingesetzt werden und langfristig auch in Form von Derivaten dominieren. "Grüner Wasserstoff" wird komplett aus erneuerbaren Energien gewonnen, "türkiser" ebenfalls aus fossilem Erdgas mittels Pyrolyse produziert. Bei seiner Erzeugung fällt fester Kohlenstoff als Nebenprodukt an. Wenn dieser verwendet wird, werde sichergestellt, dass dabei kein CO₂ freigesetzt wird, heißt es in dem Papier der Energieunternehmen.

(anw)