Erster Verhandlungstag in US-Filesharing-Prozess

Vor einem Gericht in Boston beginnt die Verhandlung in dem zweiten Filesharing-Verfahren, das es bis vor die Geschworenen gebracht hat. Im Falle einer Verurteilung droht dem beklagten Joel Tenenbaum eine Strafe von bis zu 4,5 Millionen US-Dollar.

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Mitten in der Nacht vor der Prozesseröffnung am heutigen Montag noch ein schwerer Rückschlag für die Verteidigung: Auf Antrag der klagenden Labels verwehrt Richterin Nancy Gertner dem Beklagten Joel Tenenbaum, der sich wegen des Vorwurfs der Urheberrechtsverletzung durch die Verbreitung von Musikstücken über das Filesharingnetz Kazaa verantworten muss, die Berufung auf "Fair Use" – die "faire", vom US-Copyright straffrei gestellte Nutzung geschützten Materials.

Für den 25-jährigen Studenten ist das eine schwere Hypothek. Tenenbaum hatte auch unter Eid bereits eingeräumt, Kazaa für den Download von Musik benutzt zu haben. Damit wird es in dem Gerichtssaal des Bostoner Bundesgerichts in dieser Woche wohl vorwiegend um die Frage gehen, ob Sony Music und die mitklagenden vier Labels dem Studenten eine Urheberrechtsverletzung durch Verbreitung der Songs nachweisen können.

Lassen sich die Geschworenen davon überzeugen, werden sie auch über die Höhe des Schadensersatzes entscheiden. Die Labels fordern Schadensersatz in dem vom US-Copyright vorgesehenen Rahmen, der sich nicht am tatsächlich entstandenen Schaden orientieren muss. Die Jury kann für jeden einzelnen der 30 in der Anklageschrift aufgeführten Songs eine Summe zwischen 750 und 30.000 US-Dollar zusprechen.

Kommen die Geschworenen darüber hinaus zu der Überzeugung, dass die Urheberrechtsverletzung bewusst und mit voller Absicht begangen wurde, können sie einen Schadensersatz von bis zu 150.000 US-Dollar verhängen – für jeden der 30 Songs, um die es geht. Im schlimmsten Fall droht Joel Tenenbaum ein Urteil über 4,5 Millionen US-Dollar.

Nicht ganz so schlimm hatte es im Juni die US-Amerikanerin Jammie Thomas-Rasset getroffen, die in dem ersten verhandelten Filesharing-Verfahren für Urheberrechtsverletzung in 24 Fällen zu 1,9 Millionen US-Dollar Schadensersatz verurteilt worden war und dagegen inzwischen in Berufung gegangen ist.

In beiden Fällen spielt der angesichts des überschaubaren Handelspreises von ein paar Songs unverhältnismäßig hohe mögliche Schadensersatz eine zentrale Rolle für die Argumentation der Verteidigung. Für Tenenbaum haben Harvard-Professor Charles Nesson, ein Team seiner Studenten sowie der zuletzt für Thomas-Rasset in die Bresche gesprungene Kiwi Camara die Verteidigung übernommen.

Das Team um Nesson hatte in den Wochen vor Prozessauftakt mit zahlreichen Anträgen von sich reden gemacht. So wollte Nesson erreichen, das ganze Verfahren, zumindest aber einzelne Anhörungen der Vorbereitungsphase live ins Internet übertragen zu lassen, was schließlich abgewiesen wurde. Auch darf das "Team Tenenbaum" zwei Zeugen, die etwa über den kulturellen Hintergrund des Filesharings aussagen sollten, nicht in den Zeugenstand rufen.

Im Gerichtssaal werden zur Stunde die Geschworenen befragt, die Eröffnungsplädoyers werden für 14:00 Uhr (Ortszeit) erwartet. Richterin Gertner hat fünf Verhandlungstage angesetzt und will den Fall am kommenden Freitag den Geschworenen übergeben. Aus dem Gerichtssaal selbst dürfen keine Nachrichten nach außen gesendet werden, doch werden Nesson, sein Team und Prozessbeobachter wie der Copyright-Anwalt Ben Sheffner oder sein Kollege Ray Beckerman in den Pausen twittern (#JFB) und bloggen.

Siehe dazu auch:

(vbr)