Frankreich: Höchstes Gericht kippt Vorratsdatenspeicherung​

Der Conseil d'État widersetzt sich den Wunsch der Regierung und besteht auf Umsetzung der EuGH-Urteile zur Vorratsdatenspeicherung. Paris gibt noch nicht auf.

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(Bild: Alexander Kirch / Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert

Frankreichs höchstes Verwaltungsgericht hat die im Land noch praktizierte Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Eine generelle Speicherung und einjährige Bevorratung von Verkehrsdaten widerspreche EU-Recht, urteilte der Conseil d'État am Mittwoch und folgte damit in wesentlichen Punkten der Linie der Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Das Gericht widersetzt sich damit auch dem ausdrücklichen Wunsch der französischen Regierung, die EuGH-Rechtssprechung nicht anzuwenden, weil diese die "Verfassungsidentität" verletze.

Die undifferenzierte Speicherung der Verkehrsdaten aller Internet- und Smartphonenutzer für ein Jahr, wie sie in Frankreich entgegen früherer europäischer Urteile nach wie vor existiert, erklärte der Conseil mit dem Urteil für rechtswidrig. Möglich sei eine allgemeine Speicherung lediglich im Falle nachweislich großer Gefahr für die nationale Sicherheit, beschränkt auf bestimmte Gruppen oder Gebiete. In dieser Frage waren die EuGH-Richter bei ihren Urteilen im Oktober 2020 schon etwas von ihrer bis dahin klaren Linie abgewichen – und hatten dem "Zombie Vorratsdatenspeicherung" damit wieder ein bisschen Leben eingehaucht.

Auch in weiteren Punkten folgte der Conseil dem EuGH. Die französischen Richter kritisierten die fehlende unabhängige Aufsicht der Überwachungsmaßnahmen, die auch dem Geheimdienst und Organisationen wie der Anti-Piraterie-Behörde Hadopi zur Verfügung stehen. Die Beschränkung von Zugriffsrechten auf schwere Straftaten sei unzureichend geregelt. Das Gericht räumt der Regierung sechs Monate Zeit ein, um das Gesetz anzupassen. Der Europäische Gerichtshof hatte die sofortige Wirksamkeit befürwortet.

Frankreichs Regierung hatte darauf plädiert, dass der EuGH keine Kompetenz habe, sich in Fragen der nationalen Sicherheit einzumischen. Die Richter des Conseil d'État betonten dagegen, Paris überschreite selbst seine Kompetenzen, wenn es die Aufgabenverteilung in der EU neu zu gestalten versuchte. Frankreichs Regierung müsste gewünschte Änderungen beim Ausgleich von Überwachungs- und Freiheitsrechten politisch in der Union durchsetzen. Das hat die Regierung offenbar auch vor.

Geklagt hatte die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net, die auch eines der vom EuGH entschiedenen Verfahren angestrengt hatte. Mit der Klage in Frankreich wollten die Bürgerrechtler erreichen, dass die EuGH-Urteile umgesetzt und die generelle Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt werden. Trotz des Erfolgs fiel die erste Reaktion zurückhaltend aus. Hinter der Illusion eines Sieges verstecke sich eine herbe Niederlage, schreibt die Organisation: "Das Prinzip des Generalverdachts und der politischen Überwachung wurde nachhaltig bestätigt."

[Update v. 22.04.2021, 07:58 Uhr]: Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature sieht in dem Urteil eine praktisch ungebremste Fortsetzung der Datenspeicherpraxis. Zwar muss Frankreichs Regierung ihre Vorratsdatenspeicherung und Geheimdienstaufsicht überarbeiten, nachdem der Staatsrat eine generelle Speicherung von Verbindungsdaten zur Verbrechensbekämpfung für unrechtmäßig erklärt hat. Die Speicherung zum Zweck der nationalen Sicherheit werde aber zugelassen, dabei der Begriff so ausgeweitet, dass eine fortgesetzte Speicherung auf Basis einer angenommenen systematischen Bedrohung dieser nationalen Sicherheit möglich sein werde. Zugleich erlaube der Conseil den Zugriff auf die vom Geheimdienst gespeicherten Daten durch die Strafverfolgungsbehörden. Trotz der von den Richtern abgewiesenen Forderung nach einer Zurückweisung des EU-Urteils spricht La Quadrature von einem Sicherheits-Frexit und will ihren Kampf gegen die neuen Gesetze fortsetzen. (vbr)