Glasfaser für alle bis 2030: Ab 2026 wird es happig

Netzbetreiber befürchten durch die neue Gigabitstrategie einen "Förder-Tsunami", der den eigenwirtschaftlichen Ausbau hindert. Der Schuh drückt sie anders.

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Hozhaus; Arbeit auf hoher Leiter spannt ein Kabel zum Dach des Gebäudes

FTTH (Fibre to the Holzhaus) – Verlegearbeiten im Yukon im dünn besiedelten Norden Kanadas.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit der Gigabitstrategie will die Bundesregierung erreichen, dass bis 2025 50 Prozent und bis 2030 alle Haushalte Deutschlands mit Glasfaser versorgt werden können. Das Zwischenziel sei "nicht sonderlich ehrgeizig", meint Torsten J. Gerpott, der an der Uni Duisburg-Essen den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung innehat, am Montag bei einer Anhörung im Ausschuss für Digitales des Bundestags. Die Vorgabe für 2030 sei dagegen umso ambitionierter.

Bis 2025 könnten eventuell sogar schon 60 Prozent der hiesigen Haushalte grundsätzlich einen Glasfaseranschluss buchen, nimmt Gerpott angesichts der aktuellen Ausbauraten im Markt an. Dies hänge etwa davon ab, ob sich mindertiefe Verlegeverfahren wie Trenching durchsetzten. Danach würden aber "immer kleine Restkomponenten bleiben", also Flecken, in denen sich Glasfaserversorgung für die Unternehmen nicht lohnt und auch staatliche Förderung binnen einiger Jahre nicht zum gewünschten Erfolg führt.

Formulierungen wie "baldmöglichst" oder "werden prüfen" stoßen dem Ökonom angesichts dieser Lage in dem Strategiepapier übel auf: "Das ist zu wenig." Bei Berichten über 40 bis 50 Milliarden Euro Investitionszusagen aus der Wirtschaft innerhalb der nächsten Jahre mahnte Gerpott zur Vorsicht: Hier fehle es einfach an Verbindlichkeit.

Für Netzbetreiber lohne sich ein Projekt bei einer Vorvermarktungsquote zwischen einem Drittel und 50 Prozent. Die aktuell vom Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) gemeldete "Take-up-Rate" von 47 Prozent liege deutlich über dem Schnitt. Gerpott warnte davor, quasi "alles förderbar" zu machen: Davon würde er schon angesichts der "Verdrängungssituation bei Tiefbaukapazitäten" abraten.

"Das Ziel 2025 werden wir mit Sicherheit schaffen", gab auch Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Branchenverbands VATM, als Parole aus. Danach stehe der ländliche Bereich an, "der längere Ausbauphasen benötigt", schon aufgrund längerer Strecken. Zudem bewegten sich die Betreiber dort auf einem Terrain, "in dem es überwiegend schon Gigabit gibt". Vielen dürfte es daher schwerfallen, dort hohe Buchungsraten zu erzielen.

Entscheidend ist für Grützner staatliche Förderung, "die Investoren nicht aus dem Markt treibt". Diese wollten gerade auch im ländlichen Bereich ihr Geld einbringen. Doch das brauche Zeit. Der Markt und Kommunen müssten erst einmal sehen, wo die Potenziale liegen, plädierte er für die auch in der Strategie erwähnte einschlägige Analyse: Der private Ausbau komme vielleicht erst zwei Jahre später, könne den geförderten Ausbau dann aber eventuell noch überholen.

Mit großer Sorge betrachtet Grützner, dass die europarechtliche Aufgreifschwelle für öffentliche Förderprojekte in "grauen Flecken" von Januar an weitgehend fällt. Viele Landkreise wollten dann Anfang 2023 "sofort mit der Förderung starten". Dies würde zu vielen Projekten mit Steuergeldern führen, "die definitiv unnötig" seien. Auf jeden Fall müsse Überbau in Städten wie Köln verhindert werden, wo es bereits Open-Access-Verträge gebe, die Wettbewerbern diskriminierungsfreien Zugang zu einem bestehenden Netz oder Leerrohren garantieren.

Für "lebenswichtig" hält Grützner zudem einen Fonds, um potenzielle Schäden bei Trenching & Co. an der Straßeninfrastruktur auszugleichen. Bei alternativen Verlegetechniken gehe in der Regel zwar auch nicht mehr kaputt als beim konventionellem Buddeln. Ein solcher Finanztopf könnte Bürgermeistern und Baumeistern aber die Angst nehmen und dieses rein psychologische Problem lösen: "Wir brauchen Mut, etwas anderes auszuprobieren." Die Abwehrhaltung hierzulande beruhe auch auf einem Wirtschaftskampf einer etablierten Bauindustrie, die den kommunalen Verantwortlichen "gewisse Risiken vor Augen hält, die in anderen Ländern lange nicht mehr gesehen werden".

Auch wenn die Regierung dem eigenwirtschaftlichen Ausbau den Vorrang einräume, werde Förderung ein zentraler Baustein bleiben, betonte Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag. Schließlich müssten noch 90 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum mit Glasfaser versorgt werden. Ab 1. Januar würden einige Landkreise Förderanträge stellen. Die Zunahme im ersten Quartal werde ein einmaliger Effekt sein: "Es wird keinen Förder-Tsunami geben."

"Die Potenzialanalyse als Kompass tragen wir mit", versuchte Ritgen die Branche zudem zu beruhigen. Wichtig sei nur, dass dieses Werkzeug "keine Sperrwirkung entfaltet". Die Kreise könnten selbst abschätzen, "wo Ausbaupotenzial besteht". Selbst wenn es theoretischbestehe, sollte Förderung möglich sein.

Ritgen begrüßte, dass das beim DIN schon vor zehn Jahren gestartete Normierungsverfahren für mindertiefe Verlegemethoden endlich Schwung aufnehme. Einen "dramatischen Beschleunigungseffekt" erwarte er von einem fertigen Standard aber nicht. Die ebenfalls vorgesehene oberirdische Verlegung könne im Einzelfall sinnvoll sein. Im Emsland seien auf Holzmasten schon 120 Kilometer Glasfaser verteilt worden.

Weitere Pilotprojekte, wie sie mit der Gigabitstrategie geplant sind, brauche es nicht: Es sei bekannt, wo die Masten stehen. Die Deutsche Telekom, die deren "wesentlicher Eigentümer" sei, müsse sie nur zur Verfügung stellen.

Acht von zehn Betreibern in Gemeindehand wie Stadtwerke böten bereits Open Access an, berichtete der Geschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen, Thomas Abel. Er forderte daher eine Option für diese, einem "strategischem Überbau solcher kommunalen Glasfasernetze zu widersprechen". Probleme mit mindertiefer Verlegung gebe es durchaus. Neben der Normung seien daher Haftungsfragen zu klären.

Fedor Ruhose, Staatssekretär im Digitalministerium von Rheinland-Pfalz, warb dafür, den "geförderten und eigenwirtschaftlichen Ausbau bestmöglich zu verknüpfen". Der Staat müsse dabei darauf achten, "dass alle Gebiete profitieren". Für Antragsteller, die Fördergelder beziehen wollen, hatte er die gute Nachricht bereit, dass das von Rheinland-Pfalz und Hessen entwickelte Breitbandportal dafür einsatzbereit sei.

Laut Gigabitstrategie soll ein von der Bundesnetzagentur (BNetzA) eingerichtetes Gigabitforum "gemeinsame Prinzipien, Positionen und Standards für den Ausbau von Hochleistungsnetzen und die Migration von Kupfer- auf Glasfasernetzen" gemeinsam mit allen Markakteuren aufstellen. Auf gutem Weg sei bereits eine "mögliche Selbstverpflichtung" zu Open Access, erläuterte der Präsident der BNetzA, Klaus Müller. Eine grundsätzliche Verständigung auf Leerrohrzugang sei greifbar.

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Mit einem Gigabit-Grundbuch würden zudem relevante Informationen aus dem Breitband- und dem Infrastrukturatlas gebündelt und mit der Überwachung der Auflagen im Mobilfunk verknüpft. Das gesamte "Breitband-Monitoring" solle verbraucherfreundlicher und zielgenauer werden.

Bislang nicht gut integriert sei der Nachhaltigkeitsteil der Gigabitstrategie, monierte Dominik Bay vom Dortmunder Provider Rrbone. Helfen könnte ein Gütesiegel. Antragsteller sollten dafür etwa melden müssen, wie viel Kupferinfrastruktur sie durch Glasfaser ersetzt haben, wie hoch der Energiebedarf im Zugangsnetz tatsächlich sei, und wie das Verhältnis von Bandbreite zu Stromverbrauch ausfalle. Zudem müssten Handwerkskammern Arbeit in den beteiligten Gewerben attraktiver machen, da Fachkräfte auch für die Instandhaltung der Netze in den nächsten 50 bis 70 Jahren gebraucht würden.

(olb)