Google und Section 230: US-Gerichtsurteil könnte "Internet auf den Kopf stellen"

Der Supreme Court verhandelt über elementare US-Haftungsprivilegien für soziale Netzwerke. Google mahnt, diese zu erhalten, sonst drohe weitgehende Zensur.

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(Bild: nepool/Shutterstock.com)

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Google warnt: Ein erwartetes Urteil in einem Fall vor dem Obersten Gerichtshof der USA zur Haftungsfreistellung für soziale Netzwerke wie YouTube, Facebook, Instagram, TikTok oder Twitter könnte "das Internet auf den Kopf stellen" und zu einer weit verbreiteten Zensur führen. Sollten die Richter die Privilegien einschränken, sähen sich große Betreiber gezwungen, mehr potenziell anstößige oder schädliche Inhalte zu blockieren. Die Macher kleinerer Webseiten dürften dagegen ihre Filterbemühungen und Faktenchecks aussetzen, um gar nicht erst in den Haftungsbereich zu kommen, der sich aus einer Moderation von Inhalten ergeben kann.

Über die entsprechende Eingabe von Google an den Supreme Court berichtet das Wall Street Journal. Die Klage reichte die Familie der US-Studentin Nohemi Gonzalez ein, die 2015 bei den Terroranschlägen des "Islamischen Staates" (ISIS) in Paris getötet wurde. Ihr Vorwurf in der Auseinandersetzung "Gonzales vs. Google" lautet, dass das zu dem beklagten Konzern gehörende Portal YouTube ISIS unterstützt habe, indem es Nutzern Propaganda-Videos der Terrorgruppe empfahl.

Im Kern geht es in dem Streit um Abschnitt 230 des Communications Decency Act (CDA). Dieser schützt Online-Plattformen im Allgemeinen davor, wegen schädlicher Inhalte verklagt zu werden, die Nutzer auf ihren Seiten veröffentlichen. Der Paragraf gibt ihnen auch weitreichende Möglichkeiten zum eigenständigen Filtern und Löschen von Inhalten, ohne dass sie dafür haftbar gemacht werden können. Die Familie Gonzalez behauptet nun, dass die 1996 vom US-Kongress eingeführte Klausel mit der Zeit von der Rechtsprechung so ausgedehnt worden sei, dass sie Handlungen und Umstände abdecke, die der Gesetzgeber nie vorgesehen habe. Den Klägern zufolge dürfen bestimmte Tätigkeiten von Plattformen wie das Empfehlen schädlicher Inhalte nicht geschützt werden.

Der Supreme Court hat sich mit der Annahme des Falls bereit gezeigt, die Frage zu klären: Befreit Abschnitt 23 interaktive Computerdienste von der Haftung, "wenn sie gezielt die Aufmerksamkeit auf Informationen lenken, die von einem anderen Anbieter von Informationsinhalten zur Verfügung gestellt werden"? Die Verfassungsrichter sollen auch klarstellen, ob die Klausel die Haftung nur beschränkt, wenn Plattformen traditionelle redaktionelle Aufgaben wahrnehmen, also etwa entscheiden, ob sie Informationen überhaupt anzeigen oder nicht.

In dem aktuellen jüngsten Fall von bislang dreien, die US-Berufungsgerichte bereits zum Abschnitt 230 aufgegriffen haben, sind fünf Richter der niederen Instanz zum Schluss gekommen, dass der Paragraf eine breite Straffreiheit schafft. Drei Gerichte haben eine solche Immunität abgelehnt. Ein Berufungsrichter meinte, dass ein Präzedenzfall die Haftung für solche Empfehlungen ausschließt. Google argumentiert, eine sinnvolle Unterscheidung zwischen Empfehlungs- und Suchalgorithmen sei nicht möglich. Abschnitt 230 sollte daher für alle einschlägigen Ranking-Verfahren gelten. Zuletzt hatte die US-Regierung insbesondere unter Ex-Präsident Donald Trump Anläufe unternommen, die Klausel umzuformulieren. Deutsche Medienforscher sehen im CDA eines der wichtigsten Internetgesetze der Welt.

(tiw)