Kritik von vielen Seiten: Digitalzwang bei der BahnCard sorgt für Unmut

Die Bahn begründet die Zwangsdigitalisierung bei ihrer Rabattkarte bis zum Juni mit Umweltschutz. Verbraucher- und Datenschützer warnen indes vor mehr Tracking.

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ICE 4 - Baureihe 412

ICE 4 - Baureihe 412

(Bild: MediaPortal der Deutschen Bahn)

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Die Deutsche Bahn (DB) will ab 9. Juni die BahnCards 25 und 50 nur noch digital anbieten. Die Rabattkarten wird es dann bloß mit einem Online-Konto über bahn.de beziehungsweise direkt über die aus Datenschutzsicht umstrittene App DB Navigator geben. Allein bei der BahnCard 100 macht der Berliner Transportkonzern eine Ausnahme. In einer Mail an Kunden begründet er dies vor allem mit seiner "besonderen Verantwortung" als Anbieter eines klimafreundlichen Verkehrsmittels: "Um gemeinsam mit Ihnen unserer Umwelt Gutes zu tun, werden wir künftig auf Plastik bei der BahnCard verzichten." Zudem würden 60 Prozent der Bahnfahrer die Karte schon jetzt in digitaler Form in der App nutzen, heißt es. Im Fernverkehr verkaufe man mittlerweile insgesamt 84 Prozent aller Tickets digital.

Daten- und Verbraucherschützer halten das Umweltschutz-Argument für ein Feigenblatt und vorgeschoben. "Es gäbe viele Möglichkeiten für eine ressourcensparende Digitalisierung der Tickets, bei der Kund:innen trotzdem eine Wahl haben", betont die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage. Warum die Bahn unbedingt wolle, dass möglichst viele Menschen ein Online-Kundenkonto bei ihr haben, erkläre sie praktischerweise selbst in ihren Geschäftsbedingungen (AGB). Darin steht: "Im Rahmen Ihres Kundenkontos tauschen wir untereinander Informationen aus, mit dem Zweck, unsere Angebote speziell auf Sie zuschneiden zu können." Das übersetzt Digitalcourage so: "Der Bahn geht es nicht um Plastikvermeidung bei den Karten, sondern um noch mehr trackingbasiertes Marketing."

Auch Ramona Pop, Vorständin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen bezeichnet es als ärgerlich, dass die Bahn Kunden, "die keinen digitalen Zugang haben, geradezu von Tarifvorteilen ausschließen will". Außen vor blieben auch Bahnfahrer, "die sparsam mit ihren Daten umgehen und nicht überall ein Kundenkonto haben wollen". Pop fordert daher: "Die BahnCard muss für alle verfügbar sein." Der ersatzweise gültige Papierausdruck dürfe nicht an einen Online-Account gebunden werden, für den die Angabe einer gültigen E-Mail-Adresse nötig ist. Genauso sei es möglich, diesen im Reisezentrum ausgehändigt zu bekommen. Die Verbraucherschützerin unterstreicht: "Kostenlos, versteht sich."

Als datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde über das Konsumentengeschäft der DB fungiert der hessische Datenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel. Dieser teilte heise online mit, dass zu dem Sachverhalt derzeit ein Austausch zwischen der Deutschen Bahn und seiner Behörde stattfinde. Zum jetzigen Zeitpunkt könne er daher die Problematik mit der BahnCard "noch nicht abschließend bewerten". Wie lange sich der Dialog noch hinziehen dürfte, ließ Roßnagel offen.

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Grundsätzliche Kritik übt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber. "Digitale Lösungen dürfen nicht dazu führen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt wird", unterstreicht der bald aus dem Amt scheidende Informatiker gegenüber heise online. "Das gilt umso mehr, wenn die digitalen Lösungen mit Risiken behaftet sind oder keinen gleichwertigen Ersatz zu analogen Lösungen bieten." Das Ziel müsse eine barrierefreie und weitgehend anonym nutzbare Digitalisierung sein, die sich an den Bedürfnissen der Bürger orientiere.

Wer das nicht gewährleisten könne, "muss im Zweifelsfall auch analoge Wege erhalten". Kelber hatte erst vorige Woche zu einem politischen Frühjahrsforum mit dem Titel "Ausschließlich digital? – Wie weit geht das Recht auf ein analoges Leben?" in Berlin geladen. Dabei wollte er mit Experten "dem Phänomen des Digitalzwangs" nachgehen.

(mho)