HDTV ohne analoges Loch

Gut vier Monate nach Premieres Ankündigung, ab dem 1. November 2005 über ASTRA drei Programme mit Filmen, Dokumentationen und Sport im hochaufgelösten Fernsehformat senden zu wollen, gab der Sender jetzt Details bekannt - und die dürften nicht allen HDTV-Fans gefallen.

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Von
  • Nico Jurran
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Der deutsche Pay-TV-Sender Premiere hat nun bekannt gegeben, seine angekündigten HDTV-Programme nicht mit dem mittlerweile veralteten Algorithmus MPEG-2 komprimieren zu wollen, sondern mit dem wesentlich effizienteren MPEG-4 AVC (Advanced Video Coding), besser bekannt unter dem Namen H.264. Passend dazu setzt der Münchner Sender auf DVB-S2. Die Weiterentwicklung des heutigen digitalen Satellitenübertragungsstandards schließt nicht nur H.264 ein, sondern wartet mit verbesserter Fehlerkorrektur und zusätzlichen Modulationsverfahren für höhere Datendichten auf. Auf der IBC 2004 zeigten Präsentationen, dass sich über DVB-S2 bequem sechs in H.264 komprimierte HD-Programme pro Transponder ausstrahlen lassen [1].

Derzeit entwickeln Humax, Pace und Philips Premiere-HDTV-geeignete Receiver, die ab dem vierten Quartal 2005 zu noch nicht genannten Preisen auf den deutschen Markt kommen sollen. Der Humax-Receiver soll auch in MPEG-2 komprimierte Sendungen in HDTV- und PAL-Auflösung verarbeiten können, womit das Gerät ebenfalls für das heutige Premiere- und Free-to-Air-Angebot geeignet wäre.

Nach Vorgabe von Premiere müssen alle HDTV-Receiver hochaufgelöste Sendungen in den Auflösungen 1080i (Halbbilder mit 1920 x 1080 Bildpunkten) und 720p (Vollbilder mit 1280 x 720 Pixeln) empfangen und verarbeiten können - und zwar jeweils mit einer Bildwiederholfrequenz von 50 und 60 Hertz. Darüber, in welchem Format letztlich gesendet wird, äußerten sich die Münchner noch nicht.

Käufer eines Displays mit dem von der Industrievereinigung EICTA (www.eicta.org) jetzt eingeführten Logo „HD ready“ sollen auf jeden Fall auf der sicheren Seite sein, da diese alle genannten HDTV-Auflösungen unterstützen. Die native Mindestauflösung des Displays muss jedoch nur 720 Zeilen betragen.

Eine wichtige Rolle spielt bei Premiere-HDTV und beim HD-ready-Logo die digitale Video-Verbindung: So sollen alle Premiere-HDTV-Receiver einen kopiergeschützten digitalen Videoausgang in Form des „High-Definition Multimedia Interface“ (HDMI) besitzen, das qua Standard mittels Intels „High-bandwidth Digital Content Protection“ (HDCP) gesichert ist. HD-ready-Displays müssen wiederum einen HDMI- oder einen HDCP-gesicherten DVI-Eingang besitzen (siehe auch [2]).

Daneben ist für die Erteilung des HD-ready-Logos ein Komponenteneingang (YUV) zur analogen Einspeisung der HDTV-Signale Pflicht. Davon sollte man sich jedoch nicht zu viel versprechen: So fordert die Premiere-HDTV-Spezifikation keinen entsprechenden Ausgang am Receiver. Und selbst wenn die Boxen diesen integriert haben, wird der Sender ihn über den TV-Datenstrom steuern können. Was der Komponentenausgang bei einer Premiere-HDTV-Sendung letztlich ausgibt (Videobilder in voller HD-Auflösung, in PAL-Auflösung oder sogar gar nichts), bestimmt laut Premiere der Rechteinhaber. Und Hollywood erlaubt sicher keine analoge HD-Ausgabe.

Wer ein Display oder einen Projektor besitzt, der nur über einen analogen Komponenten- oder einen ungesicherten DVI-Eingang verfügt, schaut demnach bei Premiere-HDTV wohl meist in die Röhre. Da die Receiver der ersten Generation selbst keine Aufnahmefunktion besitzen werden und sich an HDMI-Ausgängen keine Aufzeichnungsgeräte anschließen lassen, kann man selbst mit den kommenden Blu-ray- und HD-DVD-Recordern nur zur Aufnahme freigegebene Premiere-HDTV-Sendungen über den Komponentenausgang in HD-Auflösung aufzeichnen. Ob man die Spiele der Fußball-WM 2006 über YUV in HD sehen und aufnehmen können wird, konnte Premiere bis zum Redaktionsschluss nicht sagen.

Der Pay-TV-Sender selbst will später Receiver mit Festplatte anbieten, auf denen sich HDTV-Sendungen in voller Auflösung speichern lassen - wobei derzeit Diskussionen laufen, ob man die Generation einfacher Geräte überspringt und gleich Modelle anbietet, die HD-Video-On-Demand unterstützen. Hier würde Premiere Videos auf einem speziell reservierten Teil der Festplatte zum späteren Abruf verschlüsselt ablegen.

Röhren-, LCD- und Plasma-Displays mit HDMI-Eingang dürften in Zukunft immer häufiger anzutreffen sein. Um ihre Verbreitung zu fördern, bedient Silicon Image (SI) mit seinem neuen Empfänger-Chip SiI 8100 auch analoge Eingänge: Er enthält neben einem HDMI-Receiver für digitale Videobilder bis zur Auflösung 1080p (mit Voll- statt Halbbildern) beziehungsweise bis SXGA (mit 1280 x 1024 Pixeln) auch einen Analog-Digital-Wandler, der analoge Videosignale mit einer Halbbildauflösung von bis zu 1080i beziehungsweise PC-Bilder bis zu SXGA-Auflösung mit einer Frequenz von 75 Hz entgegennimmt.

Zur Wandlung der angelieferten Halbbilder in die vom Display verlangten Vollbilder ist ein bewegungsadaptiver Deinterlacer mit an Bord. Dank PAL- und NTSC-Unterstützung und 50/60-Hertz-Upspeed-Funktion lassen sich die mit dem SiI 8100 ausgestatten Displays weltweit betreiben. Daneben bietet der SiI 8100 einen integriertem Farbraum-Konverter zwischen YUV und RGB, einen Videoscaler, einen Microcontroller vom Typ 8051 mit 40 MHz Taktfrequenz sowie eine programmierbare On-Screen-Display-Engine mit Unterstützung von Font- und Bitmap-basierten Grafiken.

Zudem bringt Silicon Image mit dem SiI 9011 nun einen „Billig-Empfänger-Chip“ zum 10K-Preis von knapp 7 US-Dollar auf den Markt, während das Unternehmen im vergangenen Jahr bei Abnahme von 10 000 Stück für einen HDMI-Receiver noch rund 10 bis 15 US-Dollar verlangte. Erklärtes Ziel ist es, den Mainstream-Markt mit Display-Größen zwischen 20 und 36 Zoll (50,8 bis 91,44 Zentimeter) zu erobern. LG Electronics hat bereits bekannt gegeben, den SiI 9011 in eine Reihe seiner neuen Plasma- und LCD-Fernsehgeräten einzubauen.

Über die HDMI-Verbreitung bei größeren Displays braucht sich der Chiphersteller in den USA aufgrund einer Anordnung der dortigen Regulierungsbehörde FCC keine Gedanken mehr zu machen: Danach muss jeder nach dem 1. Juli 2005 verkaufte Fernseher mit einer Bilddiagonalen über 36 Zoll, der für den Empfang des amerikanischen Digitalfernsehens vorbereitet ist, mit einem HDMI- oder einem HDCP-geschützten DVI-Eingang ausgestattet sein.

Dolby erklärte bereits, HDMI bei Playern und Recordern der kommenden Disc-Formate Blu-ray Disc und HD-DVD und an HDTV-Receivern auch als Ausgang für sein neues Surround-Sound-Format Dolby Digital Plus nutzen zu wollen. Eine Übertragung über den gewöhnlichen SPDIF-Digitalausgang ist schon aufgrund der Datenraten von bis zu 6144 kBit/s ausgeschlossen. Allerdings soll bei der Wiedergabe von DD+ das Grundformat Dolby Digital via SPDIF ausgegeben werden - mit einer Datenrate 640 kBit/s, was über den für Video-DVDs spezifizierten 448 kBit/s liegt, von aktuellen Surround-Verstärkern mit Dolby-Digital-Decoder aber bereits verarbeitet werden kann.

Der angekündigte Humax-Receiver soll neben Dolby Digital auch schon DD+ dekodieren können. Zwar will Premiere zunächst nur Dolby-Digital-Ton senden, denkt aber darüber nach, später auf das neue Format umzusteigen. Derzeit spricht Premiere daher mit Dolby über die Möglichkeit, die in den ersten Receivern verbauten Chips upzudaten.

[1] Dr. Volker Zota, Hochaufgelöste TV-Euphorie, c't 20/04, S. 32

[2] Nico Jurran, Digital an einem Strang, c't 7/04, S. 134

Im Wettlauf der Kompressionsverfahren für HDTV und High-Definition-Discs ist der größte Konkurrent für H.264 Microsofts VC-1, eine bei der Society Of Motion Picture And Television Engineers (SMTPE) zur Standardisierung eingereichte, verallgemeinerte Version des bekannten WMV9-Codecs. Mit der Entscheidung von Premiere für H.264 fallen die Redmonder jedoch weiter zurück, nachdem sich in den USA schon die Satelliten-TV-Provider DirecTV und Voom für MPEG-4 als HDTV-Codec entschieden hatten - obwohl sich laut amerikanischer Presseberichte Voom zunächst noch öffentlich für VC-1 als Codec ausgesprochen hatte.

Ungemach droht Microsoft aber auch von anderer Seite: Im Rahmen der Einrichtung des für die Lizenzierung nötigen Patent-Pools haben sich bislang bei der MPEG Licensing Administration (MPEG LA) bereits zwölf (namentlich nicht genannte) Unternehmen gemeldet, die essentielle Patente an den Grundlagen von VC-1 besitzen wollen. Wird dies bestätigt, müsste Microsoft künftig für die Nutzung von VC1 in Windows Media 9 selbst Lizenzgebühren zahlen, würde als Pool-Mitglied aber nur einen Teil davon zurückerhalten. Denkbar ist auch, dass die Lizenzgebühren für die Nutzung von Windows Media 9 steigen, die bislang deutlich unter denen von H.264 lagen.

Laut MPEG-LA-Sprecher Larry Horn sei es zudem wahrscheinlich, dass sich die Zahl der Pool-Mitglieder bei VC-1 noch erhöhe. So seien bei Einrichtung des MPEG-2-Pools zunächst sogar nur acht Unternehmen erfasst worden; mittlerweile sei die Zahl jedoch auf 24 angestiegen. (nij)