Hacked Democracy: Ruf nach einer DSGVO gegen Fake News und Filterblasen

Die EU sollte Facebook & Co. im Kampf gegen Fake News und politische Manipulation ähnlich regulieren wie beim Datenschutz, fordert Ex-Clinton-Berater Ben Scott.

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Hacked Democracy: Ruf nach einer DSGVO gegen Fake News und Filterblasen
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Nicht die Russen haben Donald Trump ins Weiße Haus gebracht, sondern der von sozialen Netzwerken und digitalen Technologien vorangetriebene Wandel der Öffentlichkeit, ist sich Ben Scott aus dem Vorstand der Stiftung neue Verantwortung sicher. Auf Facebook, Google oder Twitter sähen alle Nachrichtenquellen gleich aus, sodass "wir nicht mehr zwischen wahr und falsch unterscheiden können", konstatierte der Ex-Berater von Hillary Clinton am Dienstag auf der netzpolitischen Soiree der grünen Bundestagsfraktion in Berlin. Die EU müsse den Online-Markt daher im Kampf gegen Desinformation und Filterblasen ähnlich scharf regulieren wie mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

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Nötig sei ein neuer "Gesellschaftsvertrag für die Technologie", schloss sich Scott auf der Veranstaltung mit dem Titel "Hacked Democracy?" dem Appell etwa des Web-Erfinders Tim Berners-Lee an. Damit es dabei aber nicht bei Symbolpolitik bleibe, müsse ein klarer Umsetzungsplan dazukommen. Um die Demokratie vor den Auswüchsen des "Überwachungskapitalismus im Internet" in Form der massiven Nutzerausspähung und dem damit ermöglichten Anzeigen zielgerichteter "Dark Ads" ohne Absenderkennung zu retten, müsse der Gesetzgeber tätig werden und die Online-Größen ähnlich anfassen wie Gas- oder Stromversorger.

Der Politikberater Ben Scott forderte einen Gesellschaftsvertrag mit einem klaren Umsetzungsplan.

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

Eine funktionierende öffentliche Sphäre sei darauf angewiesen, dass der Großteil der Menschen über die gleiche, auf Fakten beruhende Nachrichtenlage verfüge, unterstrich der Kommunikationswissenschaftler. Vor allem in sozialen Netzwerken gingen die wichtigen Meldungen dagegen derzeit unter in der Häufigkeit angezeigter Nachrichten, die dem eigenen Geschmack entsprächen und durch "versteckte Techniken" wie Social Bots oder über Troll-Armeen noch stärker verbreitet würden. Die Folge sei, dass "extreme radikale Ideen plötzlich als normal angesehen werden" und sich die gesellschaftliche Spaltung vergrößere.

Kommentarspam auf Twitter oder Facebook müsse daher genauso untersagt werden wie E-Mail-Spam oder zumindest entsprechend gekennzeichnet werden, verlangte Scott. Aus Online-Anzeigen sollte genau hervorgehen, auf Basis welcher Datenauswertung man diese zu Gesicht bekomme, wer der Auftraggeber beziehungsweise der Geldgeber der Kampagne sei und was dieser dafür springen lasse. Würden Banner anhand politischer Einstellungen eingeblendet, müsse dafür auch zunächst die erforderliche Einwilligung der Betroffenen eingeholt werden. Nötig sei es ferner, "über die Algorithmen zu reden, die entscheiden, was wir in sozialen Medien angezeigt bekommen".

Der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, teilte die Problembeschreibung des US-Amerikaners weitgehend. Im Internet finde jeder Spinner Tausende von Menschen, die ihn in seiner Mindermeinung unterstützten, erklärte der CDU-Politiker. "Die Ränder werden stärker, werden nicht mehr durch das gesellschaftliche Umfeld kontrolliert." Extreme Positionen erhielten Zulauf, wofür nicht immer Dark Ads oder Meinungsroboter ins Spiel kommen müssten.

Von der Notwendigkeit einer weiteren harten Regulierung sozialer Netzwerke ist Braun aber noch nicht ganz überzeugt. Der Staat kümmere sich im Bereich der Meinungsfreiheit im Kern nur um Äußerungen, bei denen das strafrechtliche Maß überschritten sei. Dies schlage sich etwa im umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nieder, mit dem er persönlich "nie glücklich" gewesen sei. Sinnvoll sei es darüber hinaus sicher, "extreme Beeinflussungen durch Algorithmen konsequent zu unterbinden". Ob aber etwa Instrumente eingesetzt werden sollten, um Versuche für Wahlmanipulationen zu erkennen, lasse die Bundesregierung derzeit noch erforschen.

Bei Trollen und Bots sieht der Christdemokrat zudem ein "gemeinsames Interesse" mit den Plattformbetreibern, gegen solche Auswüchse vorzugehen, da sie auch die Qualität der Netzwerke verschlechterten. Daher würden "immer mehr Accounts gesperrt", was aber angesichts der Weite solcher Maßnahmen nicht ganz einfach umzusetzen sei. "Extrem professionelle Hackerangriffe" erforderten ferner eine "enorme Härtung der IT-Systeme", was der Bund gerade mit der laufenden "Konsolidierung" in diesem Sektor mit "richtig viel Zeit und Geld" vorantreibe. Sichere IT-Infrastrukturen müssten schon "vom Chip her" einen Manipulationsschutz bieten.

Auf dem Podium der Soiree diskutierten Renate Nikolay, Ben Scott, Moderatorin Katrin Bennhold, Helge Braun und Tabea Rößner (v. l. n. r.).

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

"Wir dürfen kein Wahrheitsministerium schaffen", wandte sich auch Renate Nikolay, Kabinettschefin von EU-Justizkommissarin Vĕra Jourová, gegen ein Vorpreschen des Regulierers bei "Hate Speech" oder Falschmeldungen. Ein NetzDG wäre daher auf europäischer Ebene nicht machbar gewesen, hier setze die Kommission weiter auf die von klaren Vorgaben unterfütterte Selbstkontrolle der Internetwirtschaft. Bei Terrorinhalten dränge die Brüsseler Regierungsinstitution dagegen darauf, dass diese gesetzlich verpflichtend binnen einer Stunde aus dem Netz müssten.

Ein Aktionsplan gegen Desinformation, den die Kommission am heutigen Mittwoch präsentieren will, setze auf eine Mischung aus Kooperation und präventiven Ansätzen, verriet Nikolay. Im Blick auf mögliche Manipulationen vor oder während der Europa-Wahlen im Mai unterstrich die Deutsche: "Wir müssen Gefahren wie Russland ansprechen und die Kommunikationsstrategien der Außenminister infrastrukturell stärken". Nötig seien etwa "mehr Fakten-Checker" und Transparenz bei politischer Werbung: "Wir haben den Wilden Westen, wenn es um Social Campaigning online geht." Internetgrößen mit beträchtlicher Marktmacht drohte sie zugleich: "Das nächste, was wir diskutieren werden, ist das Wettbewerbsrecht." Die kommende Kommission werde wohl auch die Haftungsprivilegien für Provider auf den Prüfstand stellen müssen.

Auf der Ebene des Europarates, dem auch Staaten wie Russland, die Ukraine oder die Türkei angehören, arbeitet der Grüne Frithjof Schmidt parallel an einem Bericht mit Antworten auf die Gefahr der gehackten Demokratie. Als zentrales Spannungsfeld hat er dabei ausgemacht, wie mögliche Löschvorgaben rechtsstaatlich abgesichert werden können. Wichtig sei eine internationale Architektur oder Konvention, um Hackerangriffe besser ihren Verursachern zuordnen zu können. Generell sei das Internet aber auch ein "Motor für die Demokratie", sodass er im Frühjahr eine Online-Beteiligungsoption rund um die zentralen Forderungen des Berichts einrichten wolle.

"Wir befinden uns in einem Informationskrieg", der sich einbette in eine "robuster" werdende Außenpolitik mit politischen Tötungen, mahnte Grünenvize Konstantin von Notz zum Handeln. Der Staat müsse etwa "seine Schutzverantwortung für die digitale Infrastruktur stärker wahrnehmen". Die sich im Bund noch in der Opposition befindliche Fraktion wolle "das Kartellrecht angehen" und Möglichkeiten schaffen, Facebook & Co. zu "entflechten", ergänzte die grüne Netzexpertin Tabea Rößner. Sie könne sich auch vorstellen, die für die Medienregulierung zuständigen Landesmedienanstalten mit mehr Befugnissen auszustatten, sodass sie etwa Auskünfte von Portalbetreibern einfordern könnten. Erforderlich seien zudem "Must be found"-Vorgaben für Qualitätsmedien im Netz, um die Filterblasen zu durchbrechen. (olb)