Heftige Schelte für die neuen Anti-Terrorpläne der EU-Kommission

Vertreter von Oppositionsparteien sprechen gerade angesichts der vorgeschlagenen Risikobewertung von Flugreisenden von einem weiteren Schritt in den Überwachungsstaat und einer um sich greifenden Datensammelwut.

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Die neuen Anti-Terrorpläne der EU-Kommission sind bereits kurz nach ihrer Vorstellung in Brüssel durch Justizkommissar Franco Frattini heftig umstritten. So sprechen Vertreter von Oppositionsparteien in Brüssel und Berlin gerade angesichts der vorgeschlagenen Risikobewertung von Flugreisenden von einem "weiteren Schritt in einen europäischen Überwachungsstaat" und einer um sich greifenden "Datensammelwut". Die "direkt von den USA kopierten" Pläne zur Flugpassagierüberwachung "machen jeden Bürger von vornherein zum Terrorverdächtigen", moniert etwa Cem Özdemir, grünes Mitglied im Innenausschuss des EU-Parlaments.

"Bei der Konstruktion der europäischen Fluggastdatenüberwachung werden die gleichen Fehler gemacht wie bei der zugrunde liegenden Vereinbarung mit den USA", bemängelte auch Alexander Alvaro. Für den innenpolitische Sprecher der liberalen Fraktion in der EU-Völkervertretung ist nicht erkennbar, dass die Kommission aus den zahlreichen Diskussionen im EU-Parlament oder in Abgeordnetenhäusern der Mitgliedstaaten zu dem Thema gelernt hat.

Die Brüsseler Behörde will mit dem mehrteiligen Vorschlagpaket besser gegen den Terrorismus vorgehen. So sollen etwa die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat sowie die Anwerbung und Ausbildung für terroristische Zwecke unter Strafe gestellt werden. Auch die Nutzung von Passenger Name Records (PNR) bei strafrechtlichen Ermittlungen soll geregelt werden. Ein weiterer Vorstoß zielt darauf ab, Terroristen an der Verwendung von Sprengstoffen zu hindern. Bestandteil des Pakets ist ferner der zweite Bericht über die Durchführung des bestehenden Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung.

Alvaro begrüßte das Vorhaben der Kommission, in diesem Rahmen die Implementierung der Maßnahmen zur Terrorbekämpfung in den Mitgliedstaaten abzufragen. Es könne nicht sein, "dass die Gesetzesmaschinerie in Brüssel auf vollen Touren läuft und die Mitgliedstaaten mit halber Lunge bei der Sache sind". Ebenfalls auf Zustimmung des liberalen EU-Abgeordneten stößt der Ansatz, ein Kommunikationssystem unter den Mitgliedstaaten zu etablieren, das eine rasche Benachrichtigung der notwendigen Behörden im Falle des Diebstahls oder Verlustes von Sprengstoffen sicher stellen soll. Die Notwendigkeit der Einführung neuer Straftatbestände hinterfragt der FDP-Politiker dagegen, da er negative Auswirkungen auf die "Meinungs-, Vereinigungs-, und Religionsfreiheit" fürchtet. Glücklicherweise habe Frattini zumindest seinen Vorschlag, bestimmte Webseiten etwa mit Bombenbauanleitungen sperren zu lassen, zunächst wieder in der Schublade verschwinden lassen.

Beim geplanten Aufbau eines europäischen PNR-Überwachungssystems beklagt Alvaro konkret, dass es der Initiative an Vorschriften zum Datenschutz sowie zu Auskunftsrechten der Betroffenen mangele. Den alleinigen Verweis auf den noch gar nicht verabschiedeten und "wachsweichen" Rahmenbeschluss zum Datenschutz für den Sicherheitsbereich hält er für "unseriös". Für Özdemir steht die vorgeschlagene Erstellung von Risikoprofilen über alle Fluggäste mit einer 13jährigen PNR-Speicherung "im Widerspruch zum europäischen Selbstverständnis von Datenschutz und Privatsphäre". Besonders bedenklich sei, dass weder der Europäische Gerichtshof noch das EU-Parlament hier starke Mitwirkungs- und Kontrollrechte zum Schutze der Bürger besäßen. Bestehende Richtlinien zur Einreisekontrolle würden dagegen nicht voll umgesetzt. Es sei zu verhindern, dass der Kampf gegen den Terror zu einer Aushöhlung der Demokratie führe.

Oppositionspolitiker im Bundestag zeigten sich ebenfalls besorgt. "Nachdem die USA bereits auf dem besten Weg zu einer weitgehenden Überwachung der Bürger sind, versucht die EU, diesen Irrweg mitzugehen", wetterte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Ernst Burgbacher. Bislang sei völlig unklar, ob eine wirksame Terrorismusbekämpfung durch das Sammeln von Fluggastdaten erreicht werden kann. Durch den pauschalen Terrorismusverdacht gegenüber Flugpassagieren würden hingegen die Freiheitsrechte der Passagiere unnötig beschränkt. Diese müssten wohl bald auf den entstehenden Datenfriedhöfen beerdigt werden.

"Heute führt ganz normales Alltagsverhalten dazu, dass Risikoanalysen über Bürger erstellt und über Jahre gespeichert werden", stemmte sich auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar, gegen das vorgestellte PNR-Regime. "Wir sehen die große Gefahr, dass in wenigen Jahren die Datenbanken der Sicherheitsbehörden über die Reisefreiheit des Einzelnen entscheiden." Schon heute sei es in den USA Realität, dass politische Aktivitäten wie gegen den Irak-Krieg dazu führen würden, dass Menschen auf "No Fly"-Listen landen und damit von Flugreisen ausgeschlossen sind. Die Grünen seien aber gegen ein "Europa, in dem es die Reisefreiheit nur noch für den sicherheitsüberprüften, politisch angepassten Fluggast mit nachgewiesener Bonität gibt".

Frattini selbst hatte seine Gesetzesentwürfe als "starkes Signal gegen alle Verbrecher- und Terrorgruppen" bezeichnet. Der Terrorismus stelle nach wie vor eine "Bedrohung für das politische Fundament der Europäischen Union wie für das Leben und Wohlergehen unserer Bürger dar". Man wisse nie, wann, wo und mit welchen Mitteln der nächste Anschlag erfolge. Kritik von Hütern der Privatsphäre bezeichnete der Italiener als unbegründet: "Sicherheit ist ein Grundrecht, und deshalb sehe ich keinen Widerspruch zu anderen Grundrechten". EU-Datenschützer hatten die europäische Fluggastüberwachung zuvor als unnötig bezeichnet. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx erinnerte schon im Juni in einem Schreiben an die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft daran, dass im Anti-Terrorkampf die Grundrechte "unter allen Umständen geschützt werden müssen". (Stefan Krempl) / (pmz)