Himmels-Rasterfahndung: BKA erhielt 424 Millionen neue Fluggastdaten in 2022

Die anlasslose massenhafte Verarbeitung von Flugpassagierdaten durch das BKA ist laut einem Urteil rechtswidrig. 2022 schöpfte es aber noch aus dem Vollen.

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(Bild: Robert Kneschke/Shutterstock.com)

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Das Bundeskriminalamt (BKA) muss seine über Jahre hinweg praktizierte anlasslose und massenhafte Fluggastüberwachung aufgrund europäischer beziehungsweise nationaler Urteile deutlich zurückfahren. Im vorigen Jahr konnte die Polizeibehörde bei der umstrittenen Himmels-Rasterfahndung aber noch einmal aus dem Vollen schöpfen: 2022 übermittelten Luftfahrtunternehmen 424.305.929 sogenannter Passenger Name Records (PNR) an die beim BKA angesiedelte Fluggastdatenzentralstelle. Davon waren über 121 Millionen Flugpassagiere betroffen, wobei es zu Mehrfachnennungen aufgrund von Vielfliegern kommen konnte.

Die Zahlen stammen aus einer heise online vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion des Bundestags. Die Zahlen liegen rund die Hälfte über denen von 2021, als die Airlines noch 211 Millionen Datensätze von etwa 62 Millionen Flugreisenden an die Sammelstelle geschickt hatten. 2020 waren es rund 100 Millionen PNR. Mit Stand vom 30. Juni 2022 waren so rund 575 Millionen Datensätze im Fluggastdaten-Informationssystem gespeichert, wie die Regierung bereits im August mitteilte. Der Berg muss nun aber schrumpfen: Auslöser ist das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juni 2022, mit dem dieser die Hürden für die bisher praktizierte PNR-Vorratsspeicherung deutlich höher gelegt hat. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden stufte die BKA-Rasterfahndung daraufhin Ende vorigen Jahres als rechtswidrig ein.

Um die PNR-Auswertung den EuGH-Anforderungen anzupassen, hat das Bundesinnenministerium (BMI) laut der Antwort "gemeinsam mit den betroffenen Behörden ein Maßnahmenpaket erarbeitet". Soweit die Luxemburger Richter "einen objektiven Zusammenhang zwischen strafbarer Handlung und der Beförderung von Fluggästen" forderten, werde dies inzwischen bei der Verarbeitung von Fluggastdaten geprüft. Die "Trefferausleitung" sei entsprechend eingeschränkt worden. Die Behörden arbeiteten zudem daran, die EuGH-Ansage umzusetzen, dass PNR grundsätzlich nur noch sechs Monate gespeichert werden dürfen. Von April an greife eine entsprechende Löschkennzeichnung. Nur bei "verifizierten und ausgeleiteten Registertreffern" soll noch eine Aufbewahrung von bis zu fünf Jahren möglich sein.

PNR zu Flügen innerhalb der EU verarbeitet das BKA der Regierung zufolge nur noch, "wenn es hinreichend konkrete Umstände für die Annahme gibt", dass Deutschland "mit einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden terroristischen Bedrohung konfrontiert ist". Das BMI erarbeite zudem momentan einen Referentenentwurf für eine Novelle des Fluggastdatengesetzes und werde diesen dann im Ressortkreis abstimmen. Einen konkreten Zeitplan dafür gebe es noch nicht. Den Entwurf der EU-Kommission, parallel mehr API-Daten (Advance Passenger Information) zu sammeln und über einen zentralen Router an zuständige Behörden zu übermitteln, müsse man noch genauer bewerten.

Die Zahl der "fachlich positiv überprüften und deshalb ausgeleiteten Vorgänge" auf Basis des Abgleichs der PNR mit anderen Datenbanken zur Personen- und Dokumentenfahndung sowie einer vom BKA durchgeführten Mustererkennung war auch 2022 mit 87.845 wieder überschaubar. 19.827 verdächtige Passagiere traf die Polizei vor Ort an, 1387 nahm sie fest, während es 2021 nur 1052 waren. Demgegenüber stehen beträchtliche Ausgaben: Bis zur Inbetriebnahme der Fluggastdatenzentralstelle im August 2018 sind im BKA für deren Aufbau Kosten von 13,75 Millionen Euro entstanden, dem Bundesverwaltungsamt (BVA) für den Aufbau des zugehörigen Informationssystems 40,55 Millionen Euro. Die laufenden Betriebskosten lagen allein 2022 bei 3,2 beziehungsweise 11,4 Millionen Euro – der Einsatz internen Personals nicht eingerechnet.

"Das PNR-System schluckt weiterhin die Daten von Millionen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger", kritisierte die Linke-Innenpolitikerin Martina Renner gegenüber heise online. Erste Ansätze zur Einschränkung und Löschung nach sechs Monaten seien zwar Fortschritte, "aber das Grundproblem besteht fort". Letztlich werde nur ein Bruchteil der Daten überhaupt genutzt und nur ein Fünftel der gesuchten Personen tatsächlich an den Flughäfen von der Polizei angetroffen. Die Bundesregierung habe ihre eigenen Vorhaben im Koalitionsvertrag offenbar bereits vergessen: "Chatkontrolle, Vorratsdaten oder PNR zeigen, wie ernst sie den Schutz der Bürger und ihrer Daten tatsächlich nimmt." Die Linksfraktion hält die PNR-Speicherung generell für "in hohem Maße unverhältnismäßig" und zu personalintensiv angesichts hunderter Planstellen beim BVA und BKA.

(olb)