Internetpionier Vint Cerf für lastabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung im Netz

Der bei Google als Netzevangelist arbeitende "Vater" des Internet hat sich für Zeiten hohen Verkehrsaufkommens auf der Datenautobahn für eine Begrenzung der Übertragungsgeschwindigkeit ausgesprochen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 51 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Vint Cerf, Mitentwickler von TCP/IP und als einer der "Väter des Internet" tituliert, hat sich für eine Art Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Datenautobahn zur Vermeidung von Staus ausgesprochen. Im netzpolitischen Blog seines derzeitigen Arbeitgebers Google schlägt Cerf eine Begrenzung der Übertragungsraten von Daten in Zeiten mit hohem Verkehrsaufkommen vor. Bei diesem Verfahren würden die Nutzer "den Zugang zum Internet zu einer vorgegebenen minimalen Datenrate kaufen", erläutert Cerf seinen Vorschlag. Es stünde ihnen dann frei, mindestens bis zu dieser Bandbreitenbegrenzung nach Belieben alle erdenklichen Inhalte zu übertragen. Sollten es die Netzwerkkapazitäten zulassen, könnte der Transfer aber auch schneller erfolgen.

Der Vorschlag ähnelt gängigen Tarifangeboten von Providern, in denen Nutzer eine Flatrate für Übertragungsraten etwa mit 6 Mbit/s oder 16 Mbit/s erstehen. Allerdings wird dabei eine maximale Bandbreite vorgegeben, während die real erreichte Übertragungsgeschwindigkeit in der Regel bei Alltagsanwendungen im Internet darunter liegt. Cerf geht es dagegen um die Garantie einer Mindestbandbreite in Stoßzeiten, während etwa bei weniger Verkehr auf der Datenautobahn die Transferraten höher lägen.

Mit dem Vorstoß reagierte der Internet-Evangelist des Suchmaschinenprimus auf die am Freitag ergangene Entscheidung der US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) gegen Comcast, wonach der US-Kabelnetzbetreiber einzelne Dienste wie Filesharing-Protokolle nicht mehr ausbremsen darf. Ganz ohne "Netzwerkmanagement" geht es nicht, zeigt Cerf ein wenig Verständnis für die Argumentation Comcasts.

Da die Kapazität in Form der Übertragungsrate ein einschränkender Faktor in allen Kommunikationsnetzen sei, laute auch bei den heutigen Breitbandverbindungen die Frage nicht, ob die darüber laufenden Verkehrsflüsse reguliert werden sollen, sondern wie dieses Management auszusehen habe. Und da sei sein Votum für eine Geschwindigkeitsbegrenzung der bessere Weg als die Rückkehr zu volumenabhängigen Abrechnungsmodellen, wie sie derzeit Netzbetreiber wie Time Warner Cable erneut ausprobieren. Dabei könne der Nutzer seine monatlichen Kosten nämlich nicht wirklich abschätzen. Ein Klick auf eine unerwartete Streaming-Seite oder ein größerer Datentransfer dürften in diesem Tarifansatz bereits für Ungemach sorgen.

Keine Einwände hat Cerf auch gegen die Vergabe höherer Prioritäten für eine raschere Übertragung bestimmter Datenpakete mit niedrigen Latenzzeiten, wie sie etwa Video- oder Sprachanwendungen erfordern. Dabei ist es wichtig, dass die einzeln zusammengeschnürten Bits und Bytes ohne größere Verzögerungen von A nach B kommen. Wert legt der Internetpionier aber darauf, dass solche Vorrechte dann nicht nur für einzelne Applikationen erteilt werden: "Es sollte nicht die Aufgabe von Breitbandanbietern sein, Gewinner und Verlierer im Markt unter dem Vorwand des Netzwerkmanagements auszuwählen."

Allgemein gilt Cerf genauso wie sein Arbeitgeber als Verfechter einer gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität. "Mein Unternehmen glaubt, wie viele andere auch, dass das Internet offen bleiben und für alle gleich erreichbar sein muss", erklärte er vor zwei Jahren. Andernfalls müsse man kartellrechtliche Schritte einleiten. Im Streit um die Netzneutralität geht es großen US-Breitbandanbieter und einigen europäischen Carriern darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Content zur Kasse zu bitten. Sie wollen Möglichkeiten zur unterschiedlichen Behandlung des Datenverkehrs in ihren Backbones erhalten, abhängig beispielsweise von Quelle, Dienst und Bandbreitenhunger.

Gesetzesvorstöße zur Regelung der Netzneutralität sind im Kongress bislang immer wieder gescheitert. Einer der führenden Unterstützter entsprechender Entwürfe bei den Demokraten, der Abgeordnete Ed Markey, kündigte in diesem Licht bei seiner Einschätzung der FCC-Watsche für Comcast daher eine neue gesetzgeberische Initiative erst gar nicht an. Die Rüge der Regulierungsbehörde sende ein "starkes Signal an die Kabelfirmen und Telcos", dass die praktizierte Verletzung des Prinzips des offenen Internet nicht geduldet werde, betonte er stattdessen. Man blicke der weiteren Zusammenarbeit mit der FCC hoffnungsvoll entgegen, um das Netz diskriminierungsfrei zu halten.

Mitch Bainwol, Vorsitzender der Recording Industry Association of America (RIAA), warnte die FCC dagegen vor Abwegen. Wenn Netzwerkbetreiber die Verkehrsaufkommen nicht mehr beeinflussen dürften, müssten sie andere Wege einschlagen. Der Regulierer drängt die Breitbandanbieter nach Ansicht des Lobbyverbands der Musikindustrie geradewegs zur Einführung nutzungsbasierter Tarife. Das wäre aber die schlechteste Option für alle Anbieter von Inhalten oder Applikationen.

Zur Auseinandersetzung um die Netzneutralität siehe auch die Hintergrundinformationen und die Übersicht zur bisherigen Berichterstattung in dem Online-Artikel in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)