Koalition mit drittem Entlastungspaket – mehr als 65 Milliarden Euro

Einige Entlastungsschritte, auf die sich die Ampel-Koalition geeinigt hat, haben Wirkungen bis weit über den Winter hinaus. Andere sollen kurzfristig greifen.

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Mann in Anzug hält breit gefächerte Dollarscheine in die Kamera

(Bild: AlAnton/Shutterstock.com)

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  • dpa
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Die Ampel-Koalition von Kanzler Olaf Scholz (SPD) will Bürgerinnen und Bürger angesichts steigender Preise mit einem dritten Unterstützungspaket in Höhe von mehr als 65 Milliarden Euro entlasten. "Deutschland steht zusammen in einer schwierigen Zeit. Wir werden als Land durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Scholz am Sonntag in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse der Beratungen des Koalitionsausschusses. Die ersten beiden Entlastungspakete hatten zusammen einen Umfang von 30 Milliarden Euro.

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten etwa 18 Stunden lang bis zum Sonntagmorgen über Details verhandelt. Neben Scholz nahmen unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) an den Beratungen teil. Auch weitere Minister sowie die Spitzen der drei Bundestagsfraktionen und Parteien waren im Kanzleramt versammelt.

Scholz betonte, mit den ersten beiden früher im Jahr beschlossenen Paketen komme man nun auf insgesamt 95 Milliarden Euro. Es gehe um sehr viel Geld, aber die Ausgaben seien notwendig. Zum Ziel der Entlastungen sagte er: "Es geht darum, unser Land sicher durch diese Krise zu führen." Viele Menschen machten sich derzeit Sorgen. "Wir nehmen alle diese Sorgen sehr, sehr ernst." Erneut betonte Scholz: "You'll never walk alone, wir werden niemanden alleine lassen."

Der Kanzler kündigte an, dass übermäßige Gewinne am Strommarkt abgeschöpft werden sollen. Er sprach von einer "großen und dramatischen Entlastung" auf dem Strommarkt. "Die erste Aufgabe ist also, solche Zufallsgewinne zu nutzen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger."

Im Beschlusspapier steht dazu: "Zudem werden auf europäischer Ebene Möglichkeiten der Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Energieunternehmen diskutiert, die in der aktuellen Marktlage aufgrund des europäischen Strommarktdesigns deutlich über die üblichen Renditen hinausgehen. Dazu gehören insbesondere Erlös- bzw. Preisobergrenzen für besonders profitable Stromerzeuger."

Scholz machte den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen dessen Angriffskriegs auf die Ukraine für die schwierige Lage auch in Deutschland verantwortlich. Der Krieg habe Folgen auch für Engpässe bei der Energieversorgung: "Putins Russland ist vertragsbrüchig geworden", es erfülle seine Lieferverträge schon lange nicht mehr. Scholz ergänzte: "Russland ist kein zuverlässiger Energielieferant mehr." Der Kanzler äußerte sich zugleich zuversichtlich, dass man die schwierige Zeit überstehen werde: "Wir werden durch diesen Winter kommen", sagte er.

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  • Strompreisbremse: Privathaushalte sollen die Strommenge für einen Basisverbrauch zu einem vergünstigten Preis erhalten. Für kleine und mittlere Unternehmen mit Versorgertarif soll dies auch gelten. Finanziert werden soll die Preisbremse mit Einnahmen durch eine neue Erlösobergrenze für Energieunternehmen. Zudem sollen die beim Strompreis relevanten, voraussichtlich steigenden Netzentgelte damit bezuschusst werden.
  • CO₂-Preis: Die am 1. Januar anstehende Erhöhung des CO₂-Preises um fünf Euro pro Tonne wird um ein Jahr auf 2024 verschoben, auch die Folgeschritte sollen sich verschieben. Heute liegt der CO₂-Preis bei 30 Euro pro Tonne.
  • Wohngeld: Ein weiterer Heizkostenzuschuss soll im Herbst an die Wohngeldbeziehenden gehen. Er beträgt einmalig 415 Euro für einen 1-Personen-Haushalt. Im Zuge der für Jahresbeginn geplanten Wohngeldreform soll er dann zur dauerhaften Komponente des Wohngelds werden. Zudem soll der Kreis der Wohngeldberechtigten auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert werden. Ende 2020 hatten laut Statistik-Amt 618.200 Haushalte Wohngeld bezogen.
  • Bürgergeld: Bedürftige sollen mit der für 1. Januar geplanten Weiterentwicklung des heutigen Hartz-IV-Systems zu einem Bürgergeld um 50 Euro höhere Regelsätze erhalten – etwa 500 Euro monatlich. Dies soll durch einen "Paradigmenwechsel" (Bundeskanzler Olaf Scholz) geschehen: Bei der Berechnung der Sätze soll künftig schon die zu erwartende Inflation im Jahr der Anpassung berücksichtigt werden – bisher wurden nur zurückliegende Werte angesetzt.
  • Steuerentlastung: 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen bei der Steuer entlastet werden. Dazu soll an Stellschrauben des Einkommensteuertarifs gedreht werden. Steuererhöhungen infolge der Inflation sollen verhindert werden. Denn durch die sogenannte kalte Progression droht vielen Menschen unter anderem, dass ihre Kaufkraft sinkt.
  • Unternehmenshilfen: Energieintensive Unternehmen, die Kostensteigerungen nicht weitergeben können, sollen mit einem neuen Programm unterstützt werden. Der Spitzenausgleich bei den Strom- und Energiesteuern soll um ein weiteres Jahr verlängert werden. Bestehende Unternehmenshilfen unter anderem mit zinsgünstigen Krediten und erweiterten Bürgschaften sollen bis 31. Dezember verlängert werden. Geprüft werden Schritte für Unternehmen, die aufgrund von Gasmangel und hoher Energiepreise die Produktion temporär einstellen müssen.
  • Nahverkehr: Nach dem 9-Euro-Ticket soll ein Nahverkehrsticket eingeführt werden – bundesweit nutzbar, digital buchbar, als Abo-Ticket. Preis: 49 bis 69 Euro. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro dafür zuschießen, wenn die Länder mindestens ebenso viel zahlen.
  • Weitere Steuerschritte: Steuerzahler sollen ab 1. Januar ihre Rentenbeiträge voll absetzen können; Renten sollen künftig in der Auszahlungsphase besteuert werden. Mit einer Senkung der Umsatzsteuer auf Gas zum 1. Oktober auf 7 Prozent soll die Gasumlage ausgeglichen werden. Die bis Ende 2022 verlängerte Homeoffice-Pauschale soll entfristet und verbessert werden.
  • Kindergeld: Es soll zum 1. Januar um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind angehoben werden. Die Erhöhung soll für 2023/2024 gelten. Heute beträgt das Kindergeld jeweils 219 Euro für das erste und zweite Kind. Beim Kinderzuschlag für Familien mit niedrigem Einkommen soll der Höchstbetrag ab 1. Januar auf 250 Euro monatlich steigen.
  • Steuerfreie Prämie: Der Bund bietet Arbeitgebern und Beschäftigten an, dass er auf Steuern und Abgaben verzichtet, wenn Unternehmen zusätzliche Zahlungen an ihre Beschäftigten bis zu 3000 Euro leisten.
  • Rente: Rentnerinnen und Rentner sollen zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro von der Rentenversicherung erhalten. Sie waren bei der ersten Pauschale für Berufstätige leer ausgegangen. Wegen der Steuerpflichtigkeit wirkt die Pauschale bei niedriger Rente stärker.
  • Studierende: Studierende und Berufsfachschülerinnen und -schüler sollen eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten. Der Bund will mit den Ländern eine schnelle Auszahlung beraten.
  • Midi-Jobs: Beschäftigung knapp über der Mini-Job-Schwelle mit geringeren Sozialbeiträgen soll erleichtert werden. Die sogenannten Midi-Jobs sollen künftig monatlich bei bis zu einem Verdienst von 2000 Euro liegen können.
  • Kurzarbeit, Gastronomie, Mieter: Ein wegen des Corona-Abschwungs eingeführter erleichterter Zugang zur Kurzarbeit soll verlängert werden – ebenso die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf 7 Prozent. Mieterinnen und Mieter sollen gegebenenfalls vor einer Überforderung durch steigende Nebenkostenvorauszahlungen geschützt werden. Strom- und Gassperren sollen vermieden werden.

(bme)