Kompromiss bei Speicherung der Telekommunikationsdaten weiter fraglich

In der Telekommunikationsbranche sorgen Berichte für Verwunderung, wonach neben Größen wie der Telekom auch Arcor oder 1&1 bei der geplanten monatelangen pauschalen Überwachung der Nutzer eingelenkt haben sollen.

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In der Telekommunikationsbranche sorgen Berichte für Verwunderung, wonach neben Größen wie der Telekom auch Arcor oder 1&1 bei der geplanten monatelangen pauschalen Überwachung der Nutzer eingelenkt haben sollen. Das Handelsblatt zitiert am heutigen Donnerstag Arcor-Chef Harald Stöber mit den Worten, dass die Verbindungsdaten beim Telefonieren "bis zu einem halben Jahr aufbewahrt werden könnten, ohne die Kosten explodieren zu lassen". Man bewege sich dabei "gerade so an der Grenze". Auch Internet-Provider würden sich "inzwischen kompromissbereit geben", berichtet die Wirtschaftszeitung weiter. Demnach soll der Anbieter 1&1 mit einem fünfstelligen Betrag rechnen, um die Verbindungsdaten ein halbes Jahr lang aufzubewahren. Ein Sprecher der Firma habe erklärt, dass man das Geld zwar "lieber für etwas anderes" ausgeben würde. "Aber der Aufwand steht im Verhältnis zu seinem Nutzen."

Das klingt nach ganz neuen Tönen aus der Branche, die sich größtenteils über ihre Verbände bislang massiv gegen die Verpflichtung zu einer erweiterten Speicherung von Telekommunikationsdaten gewehrt hat. "Der Bedarf ist zweifelhaft, der Nutzen kann nicht dargelegt werden und die Kosten sind bislang nicht dokumentiert", zählte Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder die Argumente gegen eine Vorratsdatenspeicherung bei der Vorstellung einer internationalen Vergleichsstudie im Dezember auf. Der Verband der Telekom-Wettbwerber, der VATM, hatte am Montag nachgelegt. Die Telcos dürften nicht gezwungen werden, "Hilfssheriff zu spielen", hatte Geschäftsführer Jürgen Grützner erklärt. Stöber, der beim VATM im Präsidium sitzt, scheint anderer Ansicht zu sein.

Die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung läuft momentan aber auf zwei Ebenen ab, was in der Branche selbst für Verwirrung sorgt. Zum einen hat es Hintergrundgespräche zwischen dem Bundesinnenministerium, dem Bundesjustizministerium und einigen größeren Anbietern gegeben. Dabei war immer davon die Rede, bereits kurzfristig gespeicherte Daten wie IP-Adressen oder die momentan rund drei Monate vorgehaltenen eigentlichen Verbindungsdaten aus dem Bereich der Sprachtelefonie -- also wer wann mit wem telefoniert hat -- sowie auch Standortdaten aus dem Mobilfunk länger zu speichern. Die Ermittler selbst gaben sich mit 180 Tagen zufrieden, Innenminister Schily dringt auf 12 Monate.

Die tatsächlichen Verpflichtungen zur Vorratsdatenspeicherung werden gegenwärtig aber in Brüssel festgezurrt. Die dort diskutierten Pläne gehen weit über die Eckdaten aus den Berliner Hinterzimmern hinaus. Geht es etwa nach dem EU-Rat, sollen TK-Firmen künftig alle Informationen bis zu 36 Monate archivieren, die beim Aufbau und dem Betrieb von TK-Diensten entstehen. Dabei handelt es sich längst nicht mehr nur um eine angerufene Telefonnummer. Vielmehr geht es um sämtliche Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen. Das elektronische Leben der rund 450 Millionen EU-Bürger wäre damit größtenteils überwachbar.

Die EU-Politiker seien aus auf eine "Registrierung aller Dinge, die jemand liest, empfängt oder für die er Interesse zeigt", erläuterten die Bürgerrechtsorganisationen Privacy International und die "European Digital Rights"-Initiative im vergangenen Jahr den Weg die Big-Brother-Gesellschaft. Datenschützer warnen zudem seit längerem vor der "Sabotage am Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation". Sie verweisen darauf, dass es in der digitalen Telekommunikation zu einer problematischen Vermischung der angeblich allein anvisierten "technischen" Verkehrsdaten mit Inhalten komme. Die erfasste Adresse einer Website etwa gebe Aufschluss über die betrachteten Informationen und sich daraus ableitende -- auch politische oder sexuelle -- Präferenzen. Jegliche Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Aspekte geraten momentan -- trotz eines klaren Beschlusses des Bundestags -- in den Hintergrund der nationalen Debatte um die Vorratsdatenspeicherung und sind einzelnen Firmen und Medien anscheinend noch nicht bewusst.

Die Verbände bleiben daher bei ihrer ablehnenden Haltung zu dem über Brüssel ausgebrüteten Vorhaben. "Die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der ganzen rechtlichen Situation der Maßnahme sind weiterhin vollkommen ungeklärt", fasst Hannah Seiffert, Justiziarin beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eco, die Haltung der Provider zusammen. Nirgends werde auf politischer Ebene etwa die neuere Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts einbezogen, das im vergangenen Jahr dem umstrittenen Großen Lauschangriff deutliche Grenzen gesetzt hat und momentan über die Rechtmäßigkeit der "präventiven" Telekommunikationsüberwachung verhandelt. Auch 1&1-Sprecher Michael Frenzel bezeichnete gegenüber heise online die Brüsseler Vorhaben als "völlig unrealistisch". Die dort verlangte Datenspeicherung sei "nicht machbar".

Vergleichbares ist nach wie vor vom Bitkom zu hören: "Die ITK-Branche gehört zu den Wachstumsmotoren der deutschen Wirtschaft. Mit einer umfassenden Vorratsdatenspeicherung nimmt man ihm die Kraft", fürchtet Rohleder. "Der Entwurf, der momentan auf EU-Ebene diskutiert wird, ist in dieser allumfassenden Form völlig inakzeptabel", ergänzt Carsten Kreklau, Mitglied der Geschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Soweit sich eine Pflicht zur Datenspeicherung nicht völlig verhindern ließe, müsse zudem die Entschädigungsfrage bereits jetzt Teil der Diskussion werden. (Stefan Krempl) / (jk)