Live-Überwachung: Mehrheit der EU-Staaten drängt auf Audio-Chatkontrolle

Für Datenschützer ist es ein rotes Tuch, doch viele EU-Mitgliedsländer drängen jetzt auch auf Scans von Sprachnachrichten. Die Begründung: Kinderschutz.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 101 Kommentare lesen

(Bild: Primakov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Eine deutliche Mehrheit des EU-Ministerrates ist dafür, die im Namen des Kinderschutzes geplante systematische Kontrolle von privaten Chatnachrichten auf Audiokommunikation auszuweiten. Viele Mitgliedsstaaten seien dafür, den Vorschlag der Kommission zu verschärfen, berichtet das Online-Magazin "Euractiv" unter Verweis auf ein Dokument der schwedischen Ratspräsidentschaft.

Eine solche Ausweitung der von der EU-Kommission geplanten "Aufdeckungsanordnungen" für Provider auch auf gesprochene Kommunikation dürfte sehr weitreichende Folgen haben. So könnten etwa neben Sprachnachrichten über Messenger-Dienste auch auf Online-Anrufbeantwortern hinterlassene Botschaften oder Telefonanrufe umfasst sein.

Kern des Kommissionsvorschlags sind Überwachungsanordnungen, auf deren Basis Anbieter verschlüsselter sowie unverschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nach bekannten und neuen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs suchen müssten. Der heftig umkämpfte Entwurf der Kommission schließt das Durchsuchen von Audiokommunikation insbesondere im Zusammenhang mit der gezielten Ansprache von Kindern durch Täter nicht aus.

Der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) und der EU- Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski warnten dagegen schon voriges Jahr in einer gemeinsamen Stellungnahme vor so einem Schritt, da dieser besonders tief in die Grundrechte einschneiden würde. Der Einbezug von Audiokommunikation erfordere eine aktive, ständige "Live"-Überwachung. Zudem genieße die Privatheit des gesprochenen Wortes in einigen Mitgliedstaaten einen besonderen Schutz, betonten die Kontrolleure.

Die zwei FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz zählten ein Durchleuchten von Audionachrichten ebenfalls schon vorigen Sommer zu ihren roten Linien. Auf ein entsprechendes Nein hat sich auch die Bundesregierung mit ihrer jüngsten Stellungnahme zu dem Verordnungsentwurf geeinigt. Im Rat droht die Position Deutschlands aber unterzugehen. Laut "Euractiv" haben nur drei der 27 EU-Staaten nicht auf eine Umfrage der Schweden zu dem Vorhaben geantwortet. Damit zeichne sich insgesamt eine deutliche Mehrheit im Rat für den Einbezug von Audiokommunikation ab.

Ein Insider aus der Telekommunikationsbranche hat die Pläne laut dem Bericht scharf kritisiert. Die Überwachung von Audiokommunikation liefe nicht nur der Vertraulichkeit von Gesprächen zuwider, sondern auch der Sicherheit des gesamten Netzwerks. Zudem unterscheide der Ratsvorsitz in dem Dokument nicht mehr zwischen Messaging-Apps und nummerngebundenen Telekommunikationsnetzen. Dabei sah ein Kompromissvorschlag der Schweden jüngst vor, letztere vom Anwendungsbereich auszunehmen.

Laut der schwedischen Ratspräsidentschaft unterstützen die meisten EU-Staaten die Aufdeckungsanordnungen für bekannte Missbrauchsdarstellungen. Bei darüber hinaus gehenden Maßnahmen seien die Positionen dagegen "differenzierter" – etwa in der Frag, ob Dienste mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erfasst werden sollen.

Die Bundesregierung hat inzwischen klar gegen eine Chatkontrolle mithilfe von Client-Side-Scanning (CSS) Position bezogen, also dem besonders umstrittenen Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer. Gegen die Überwachung privater, unverschlüsselter Kommunikation durch serverseitiges Scannen von Chats und Cloud-Speicher will Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) zudem gegebenenfalls sein Veto einlegen.

Das Dossier stand am heutigen Mittwoch auf einer Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (Coreper), in dem Diplomaten Ratsentscheidungen vorbereiten. Ergebnisse dieses Treffens sind noch nicht bekannt. Der Juristische Dienst des Ministerrats brachte jüngst massive und gravierende Bedenken gegen die Chatkontrolle insgesamt vor. Er hält die Initiative in weiten Teilen für grundrechtswidrig. Dies scheint den Vorsitz und die beteiligten Länder bislang aber nicht anzufechten.

(vbr)