Magnificent 7: Big-Techs alte, neue Probleme

Der Wall Street ist "gut" nicht gut genug. Die neuen Zahlen der Tech-Konzerne bringen Kursabschläge mit sich.

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(Bild: Vintage Tone/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
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Der Wind scheint wieder zu drehen. Für ein gutes Halbjahr konnten sich Big-Tech-Konzerne zurück in der besten aller Welten fühlen: Bis Ende Juli haussierten die Aktien der "Magnificent 7", wie Apple, Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla genannt werden, als hätte es die dramatischen Abverkäufe des vergangenen Jahres nicht gegeben. Nicht nur fielen die Kursgewinne in den ersten acht Monaten noch dynamischer als im ohnehin schon starken Leitindex Nasdaq 100 aus – Apple, Microsoft und vor allem AI-Liebling Nvidia gelang es sogar, an der Wall Street neue Allzeithochs aufzustellen.

Das scheint jetzt wie Notizen aus einer anderen Zeit zu sein. Die Sommertage sind vergessen, der Herbstblues schlägt den hoch kapitalisierten Big-Tech-Konzernen seit knapp drei Monaten entgegen – so lange befinden sich die Aktien der großen Tech-Konzerne nunmehr im Abwärtstrend, der sich nun zunehmend beschleunigt.

Auslöser dafür sind die jüngsten Unternehmensbilanzen, die an der Wall Street zum Anlass für neue Abverkäufe genommen werden. Als bedürfte es noch eines letzten Beweises, wie skeptisch Anleger den wertvollsten Konzernen der Welt gegenüberstehen, lieferte ihn Amazon am Donnerstag nach Handelsschluss.

Die neuste Quartalsbilanz übertraf so ziemlich nach jeder Lesart die Analystenerwartungen und verhalf der Aktie zunächst zu einem schnellen Kurssprung von 5 Prozent auf 126 Dollar, um in der folgenden Stunde dann jedoch schnell wieder ins rote Terrain bei unter 119 Dollar abzurutschen – genau wie Meta und Alphabet tags zuvor. Sogar Microsoft hat alle Zugewinne nach seiner besser als erwarteten Bilanz schon wieder abgeben müssen.

In Dollar und Cent laufen die Geschäfte bei den wertvollsten Technologiekonzernen der Welt dabei besser als zuvor erwartet. Amazon konnte im Geschäftszeitraum von Anfang Juli bis Ende September die Umsätze um 13 Prozent auf 143 Milliarden Dollar steigern und damit deutlich die Konsensschätzungen von 141,4 Milliarden Dollar übertreffen. Beim Konzernergebnis das gleiche Bild: Der 29 Jahre alte Internetpionier verdiente in den 92 Tagen des dritten Quartals unter dem Strich 9,9 Milliarden Dollar oder 94 Cent je Aktie – die Wall Street hatte lediglich mit 58 Cent je Anteilsschein gerechnet. Gegenüber dem Vorjahresquartal konnte der Nettogewinn damit mehr als verdreifacht werden.

Trotzdem stört sich die Wall Street an den Details. So konnte die viel beachtete Cloudsparte Amazon Web Services (AWS) zwar um 12 Prozent auf 23,1 Milliarden Dollar zulegen. Die Analystenschätzungen lagen jedoch minimal höher, nämlich bei 23,2 Milliarden Dollar. Die Werbesparte legte unterdessen um 25 Prozent zu und fuhr Erlöse von 12,06 Milliarden ein, während die Markterwartungen bei lediglich 11,6 Milliarden Dollar gelegen hatten.

Ebenfalls zweistelliges Wachstum konnte das GAFAM-Sorgenkind des vergangenen Jahres präsentieren: Meta unterstrich mit einer deutlich besser als erwarteten Bilanz, warum die Aktie seit Jahresbeginn in der Spitze um 150 Prozent zugelegt hatte. Die Umsätze zogen um 23 Prozent auf 34,14 Milliarden Dollar an, während die Konzerngewinne um 164 Prozent auf 11,58 Milliarden Dollar regelrecht explodierten.

Dass die heiß gelaufene Meta-Aktie nach dem starken Zahlenwerk dennoch um knapp 4 Prozent abverkauft wurde, lag in erster Linie an den zurückhaltenden Äußerungen von Finanzchefin Susan Li, die erklärte, dass der Nahostkonflikt seinen Niederschlag in der aktuellen Werbebuchung finde. "Wir haben zu Beginn des vierten Quartals schwächere Anzeigen beobachtet, die mit dem Beginn des Konflikts korrelieren, was in unserem Umsatzausblick für das vierte Quartal erfasst ist", erklärte Li.

Wie gnadenlos die Aktienmärkte auf eine Erwartungsverfehlung in der Bilanz reagieren können, musste unterdessen der wertvollste Internetkonzern der Welt erfahren. Alphabet, sonst ein Musterbeispiel an Konstante, erlebte einen der schwärzesten Handelstage seit Börsenlisting vor 19 Jahren. Beim Kurssturz von fast 10 Prozent radierte der Mutterkonzern von Google knapp 180 Milliarden Dollar an Börsenwert aus. Der Wertverlust entspricht in etwa dem Unternehmenswert von Netflix, Disney oder Nike. Auch gestern setzte sich der Ausverkauf mit einem weiteren Minus von knapp 3 Prozent fort, sodass sich Alphabets Minus in der Marktkapitalisierung binnen 48 Stunden auf 200 Milliarden Dollar summierte.

Auslöser für den historischen Kurssturz war eine schwächere Entwicklung der Cloud-Sparte, die – seit Jahren als Hoffnungsträger gehandelt – im dritten Quartal weniger erlöst und verdient hatte als erwartet. Vor allem gegenüber Tech-Pionier Microsoft, dessen Cloud-Segment um Azure (+29 Prozent) stärker als erwartet zulegte, erschienen der Wall Street Googles Cloud-Bemühungen zu wenig ambitioniert. Ob der Internet-Dino mit seinem Cloud-Geschäft (Umsätze im dritten Quartal: 8,4 Milliarden Dollar) die Platzhirsche Amazon AWS und Microsoft (beide rund 23 und 24 Milliarden Dollar-Cloud-Umsatz) einiges Tages herausfordern kann, erscheint für Anleger aktuell offenbar ungewisser denn je.

Doch selbst Microsoft kam nach einem Fabel-Quartal nicht ungeschoren davon: Der nach Apple nur noch knapp zweitwertvollste Konzern der Welt notierte gestern nach kräftigen Kursverlusten sogar schwächer als vor der Bilanzvorlage. Wie passt die unternehmerische Stärke, die die Big Techs im dritten Quartal fast ausnahmslos demonstriert haben, zur aktuellen Schwächephase an der Wall Street?

Einerseits haben Big-Tech-Aktionäre nach einem starken Börsenjahr mit durchgehend zweistelligen Kursgewinnen von mindestens 33 Prozent einiges zu verlieren – das viel zitierte Haar in der Suppe reicht da zum Abverkauf. Andererseits jedoch scheint sich die Wall Street darum zu sorgen, wie krisenfest die wertvollsten Konzerne in einer immer noch möglichen Rezession im kommenden Jahr operieren würden. Die Karte der Kosteneinsparungen durch Massenkündigungen haben die Tech-Giganten in diesem Jahr bereits praktisch ausnahmslos gespielt.

Allein vorgestern haben die "Magnificent 7" eine halbe Billion Dollar an Börsenwert verloren – binnen eines Handelstages. "Beginnen Tech-Aktien, eine Rezession einzupreisen?" fragt sich etwa der viel zitierte Research-Dienst The Kobeissi Letter. Damit plagen Big-Tech-Anleger ganz ähnliche Probleme wie vor einem Jahr: Tech-Aktionäre gehen entsprechend sorgenvoll auf die Zielgerade des Börsenjahres.

Update

"Magnificant" zu "Magnificent" korrigiert in der Überschrift.

(emw)