Mainframe-Modernisierung: Die Anwendungswelt ist entscheidend, nicht die Technik

Sollen Mainframe-Anwendungen in die Cloud abwandern? Oder sollen sie lieber auf neue Füße gestellt werden? Welcher Weg der richtige ist, erklärt Björn Langmack.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Berthold Wesseler
Inhaltsverzeichnis

Wenn es darum geht, komplexe Legacy-IT-Systeme komplett vom Mainframe in andere IT-Umgebungen zu migrieren, ist Björn Langmack in seinem Element. Er verantwortet bei Deloitte weltweit das Marktangebot für die Modernisierung von Mainframe-Anwendungen sowie in manchen Fällen ihre Migration in die Cloud für alle Branchen. Die vierte Folge der iX-Interviews rund um den Mainframe klärt, welche Wege Unternehmen offen stehen und welche sich wann anbieten.

Die Mainframe-Interviews, Folge 4: Deloitte

Björn Langmack ist Global App Modernization & Migration Leader im Consulting bei Deloitte. Zu der aktuell weltweit über 340.000 Mitarbeiter starken Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Unternehmensberatung kam der Betriebswirt Langmack im Jahr 2017; damals hatte Deloitte die im Jahr 2000 gegründete schwäbische Hightech-Schmiede innoWake übernommen, deren Co-Founder und Geschäftsführer Langmack war. Heute versteht sich die Deloitte innoWake GmbH als technologischer Vorreiter im Team für die Application Modernization der Amerikaner, mit über 30.000 Experten weltweit und weitgehend automatisierten Lösungen für Source-Code-Transformation, Cloud-Migration und Anwendungsmodernisierung von Java-, Natural- oder Cobol-Programmen.

Herr Langmack, Mainframes unterstützen die „kritischen“ Geschäftsprozesse. Das legt die Vermutung nahe: Die Anwendungsprogramme sind à jour und top gepflegt. Stimmt diese Vermutung mit der Praxis überein? Und wie oft werden Sie mit dem Thema „technische Schulden“ bei Ihren Mainframe-Kunden konfrontiert?

Da beginnen Sie mit einer spannenden Frage. Die Anwendungen, die wir heute auf den Mainframe-Systemen vorfinden, stellen in der Regel den Kern der Geschäftsprozesse der Unternehmen dar, die bereits im letzten Jahrtausend mit der Digitalisierung begonnen haben. Und ja, sie wurden bisher immer gepflegt und weiterentwickelt, insbesondere da sie durch den langjährigen Einsatz ausgereift und nahezu fehlerfrei sind.

Wie Ihre Frage nach den „technischen Schulden“ andeutet, gibt es aber einige Themen, die mehr und mehr zu Herausforderungen führen. Ich möchte an dieser Stelle drei von denen nennen, die aus meiner Sicht am wesentlichsten sind:

  1. Die Anzahl der Entwickler, welche über Mainframe-spezifisches Wissen verfügen, sich mit Batch-Verarbeitungen auskennen und die verwendeten Programmiersprachen wie Cobol, PL/1, Assembler und so weiter beherrschen, wird immer geringer. Es ist schon schwierig genug, Java-Entwickler zu finden.
  2. Die Vorgehensweise bei der Anwendungsentwicklung hat sich über die Zeit stark verändert. Während heute Microservices erstellt werden, die autonom ihre Arbeit verrichten, wurden früher Codestrecken kopiert und dann angepasst, wodurch die Anwendung immer komplexer wurde. Aus dem Grund spricht man auch von Systementwicklern – da Anpassungen an einer Stelle leicht zu Fehlern in einem anderen Bereich der Anwendung führen konnten.
  3. Die Anwendungen sind in der Regel nicht dokumentiert. Entwickler würden hier widersprechen, da ja alles im Code steht. Aber dafür muss man den Code erst mal verstehen.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich sehe die Herausforderung weniger in den technischen Schulden seitens der Anwendungen, sondern vielmehr in einer veränderten Welt um die Anwendungen herum. Das rührt daher, dass ohne Not an funktionierenden Abläufen nur sehr selten etwas geändert wird.

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Warum kommen IT-Leiter mit der Idee einer Anwendungsmodernisierung auf Sie zu? Gibt es typische Auslöser für solche Projekte?

Das ist ganz unterschiedlich. In der Regel steht die Realisierung der großen Kosteneinsparungspotentiale nicht an erster Stelle. Vielmehr ist es die Erkenntnis, dass immer weniger Experten im Unternehmen die Anwendungslandschaft oder einzelne Anwendungen verstehen und beherrschen. Dabei geht es nicht um die alten Entwicklungssprachen, sondern vielmehr über das Verständnis, wie die Anwendung funktioniert.

Ein zweiter Treiber für Veränderungen ist die gestiegenen Anforderungen des Business, welche agilerer Weiterentwicklung oder den Einsatz von ML/AI erforderlich machen. Last but not least sind Cloud-Strategien immer häufiger der Anlass. Um die Vorteile und Kosteneinsparungen der Cloud nutzen zu können, müssen auch die Anwendungen auf dem Mainframe berücksichtigt werden.