Scannen von Nachrichten: EU-Kommission will freiwillige Chatkontrolle verlängern

Die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs soll um zwei Jahre bis August 2026 verlängert werden.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Mann mit Wurstfingern textet eine Nachricht auf einem Smartphone

(Bild: Tero Vesalainen/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Die EU-Kommission zweifelt, dass sich ihre Gesetzgebungsgremien bald auf einen Kompromiss zum umstrittenen Entwurf einer Online-Überwachungsverordnung zum Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch einigen werden. Sie schlägt daher vor, die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach einschlägigen Missbrauchsdarstellungen bis August 2026 zu verlängern. Diese Option für die sogenannte freiwillige Chatkontrolle führten die EU-Gesetzgeber 2021 durch eine eilig verabschiedete Ausnahme von der E-Privacy-Richtlinie ein. Die Bestimmung läuft am 3. August 2024 aus, soll laut dem Kommissionsvorschlag aber zwei Jahre länger gelten.

Mit der Ausnahmebestimmung können Facebook, Google, Microsoft und andere Diensteanbieter private Nachrichten ihrer Nutzer in der EU auf einer gesetzlichen Basis nach Missbrauchsdarstellungen durchsuchen. Die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof, Ninon Colneric, hält die Ausnahmebestimmung aber für unvereinbar mit dem EU-Recht. Die Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre, Datenschutz und freie Meinungsäußerung würden damit unverhältnismäßig verletzt. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte das Instrument scharf, da es eine "flächendeckende und anlasslose Überwachung von digitalen Kommunikationskanälen" ermögliche.

Die Kommission schreibt in ihrem Entwurf für eine Verordnung zur Verlängerung der Ausnahmebestimmung hingegen, dieser sei mit den EU-Grundrechten vereinbar und verhältnismäßig. Das Vorhaben nennt sie alternativlos; eine Folgenabschätzung sei nicht erforderlich. Ohne die Verlängerung ließe sich Kindesmissbrauch im Internet nicht aufdecken und melden.

Eigentlich hatte die EU-Kommission gehofft, bis Ende des Jahres ihren Vorschlag für einen langfristigen Rahmen mit einer verpflichtenden Chatkontrolle unter Dach und Fach zu haben. Damit verband sie die Möglichkeit, die besonders umstrittenen Aufdeckungsanordnungen zu erlassen, auf deren Grundlage die Anbieter auch verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nach bekannten und neuen Missbrauchsdarstellungen suchen müssten. Das EU-Parlament will mit seiner jüngst beschlossenen Position durchsetzen, dass dieses Instrument allenfalls als letztes Mittel zum Einsatz kommt und nicht für Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation gilt.

Im Ministerrat hängt das Dossier aber nach wie vor fest, weil die spanische Regierung für eine massive Chatkontrolle plädiert und Staaten wie Deutschland, Österreich, Polen, Finnland, Estland und Slowenien ihr Veto dagegen ankündigten. Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) hat daher schon den Abgesang auf das Vorhaben angestimmt, da die Zeit zur Kompromisssuche vor den Europawahlen im Juni nicht mehr reiche.

Das Bundesdigitalministerium klärte die Kommission bereits voriges Jahr auf, dass Messaging-Dienste in Deutschland dem Fernmeldegeheimnis unterlägen. Damit ist es diesen Anbietern untersagt, sich oder anderen über das technisch erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Eine freiwillige Kontrolle von Chats ist daher hierzulande unzulässig.

Für den EU-Abgeordneten Patrick Breyer (Piratenpartei) ist der neue Schachzug der Kommission ein Eingeständnis des Scheiterns ihrer aktuellen "Zensursula"-Pläne. Zugleich hält er seine Kritik an der freiwilligen Chatkontrolle aufrecht, gegen die er zusammen mit einem Missbrauchsopfer klagt. Die Kommission sei den seit Monaten überfälligen Bericht zur vermeintlichen Wirksamkeit dieses Werkzeugs bis heute schuldig geblieben. Die freiwillige Massenüberwachung privater Kommunikation leiste nämlich keinen signifikanten Beitrag zur Rettung missbrauchter Kinder oder Überführung von Missbrauchstätern. Vielmehr kriminalisiere sie "tausende Minderjährige", überlaste Strafverfolger und öffne "einer willkürlichen Privatjustiz der Internetkonzerne Tür und Tor".

(mack)