Missing Link: Der 3D-Drucker, oder: Die Enttäuschung, die nicht stattfand

Vor zehn Jahren kochte der Hype um den 3D-Druck hoch. Und nun Katerstimmung? Nur für die, die selbst nie einen 3D-Drucker benutzen. Anmerkungen von Peter König

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Missing Link: Der 3D-Drucker, oder: Die Enttäuschung, die nicht stattfand

Funktionsfähige Getriebe in einem Rutsch produzieren – das können nur 3D-Drucker. Wer so etwas braucht, wird damit selig, wer nicht, darf sich gerne anderen Dingen zuwenden.

Lesezeit: 11 Min.
Inhaltsverzeichnis

Als ich vor drei Wochen an dieser Stelle den schmissigen Abgesang auf den 3D-Druck als Patentrezept für alle Probleme der Zukunft las, musste ich doch grinsen: Von Lady Lovelace bis Lenin, von Makerbot bis zur Blockchain, alles in einem so kurzen Text komprimiert – Chapeau, so geht Feuilleton!

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Dann kam aber der Ärger. Denn ebenso komprimiert folgt dieses Feuilleton genau jenem Rezept, nach dem der 3D-Druck-Hype seinerzeit überhaupt erst gebraut wurde: Alles in einen Topf werfen, mit reichlich Wunschdenken und einer Prise Science Fiction würzen, als Hype aufkochen und hinterher klagen, dass niemand die Suppe auslöffeln will.

Also sieben wir den Sud besser gründlich durch, trennen den Schaum von der Substanz und klamüsern die jüngere Geschichte des 3D-Drucks mal auseinander. Denn je nach Perspektive sind in den vergangenen Jahren reichlich unterschiedliche Dinge passiert.

Für die Industrie beginnt die Ära des 3D-Drucks bereits Ende der Achtziger. Vor rund zehn Jahren waren Maschinen, die nach den verschiedensten additiven Fertigungsverfahren arbeiten, schon lange zu kaufen und auch im produktiven Einsatz – Stereolithographie, Lasersintern oder Laserschmelzen, farbiger 3D-Druck, Schmelzschichtverfahren (auch als FDM bekannt), das gab es alles in serienreif und nicht erst seit gestern. Einer breiten Öffentlichkeit war das unbekannt – interessierte wohl auch keinen. Die Preise für die günstigsten Systeme lagen weit jenseits der 10.000 Euro.

Ein Beitrag von Peter König

Peter König, Jahrgang 1971, ist seit 2014 stellvertretender Chefredakteur bei Make. Zuvor war er nach seinem Informatik-Diplom und einem Volontariat in der c't-Redaktion acht Jahre lang als Redakteur im Anwendungsressort der c't beschäftigt. Dort bearbeitete er ein breites Spektrum an Themen, das von der Vektorgrafik über Forschungsprojekte bis hin zu technischer Software reichte. Mit dem 3D-Druck beschäftigt er sich seit 2010 intensiv – nicht nur praktisch bei Tests, sondern auch mit allerlei Themen rundherum, von der Vorlagenkonstruktion mit CAD-Software, über 3D-Scanner und das Druckmaterial bis hin zu Sinnfragen.

Eine bahnbrechende technische Innovation gab es vor zehn Jahren nicht, nur viele kleine Fortschritte, wie sie in einer aktiven Branche üblich sind. Diese Forschritte brachten beispielsweise mit sich, dass 3D-Drucker nicht mehr nur Prototypen produzieren konnten, also etwa recht fragile Anschauungsmodelle oder grobe dreidimensionale Platzhalter, um mal einen bestimmten Montage-Arbeitsgang auszuprobieren, sondern auch praktisch und dauerhaft einsetzbare Werkstücke.

Zum Rapid Prototyping gesellte sich das Rapid Manufacturing von speziellen Bauteilen, bei denen der Einsatz der Technik sinnvoll ist – etwa, weil nur eine so geringe Stückzahl benötigt wird, dass sich der Formenbau und die Massenfertigung nicht lohnt, oder weil mit additiven Fertigungsverfahren Formen möglich sind, die sich sonst gar nicht herstellen lassen, etwa im Leichtbau.

Für Maker sind 3D-Drucker als Werkzeug schon immer ein Traum gewesen: Auf Knopfdruck erstellen sie komplizierte Bauteile, die von Hand nur mühsam zu bauen sind – und ihr Einsatz lohnt sich gerade auch für Einzelstücke, wie man sie als privater Bastler eben braucht. Um diesen Traum in Realität zu verwandeln, arbeiteten schon vor deutlich mehr als zehn Jahren Enthusiasten in Projekten wie RepRap und Fab@Home an Bauplänen für einfache 3D-Drucker unter Open-Source-Lizenz. Die funktionierten mit der aus der Industrie bekannten FDM-Technik, bei der thermoplastischer Kunststoff in Schichten aufgeschmolzen wird.

Für die Maker-Szene passierte tatsächlich vor genau zehn Jahren etwas Wesentliches: 2009 lief das Patent für das FDM-Verfahren aus. Noch im selben Jahr kam mit dem MakerBot Cupcake CNC der erste Bausatz für einen günstigen 3D-Drucker auf den Markt – günstig im Sinne von: unter 1000 Euro. Viele neue kleine Hersteller zogen nach. Auf einmal konnte jeder einen 3D-Drucker besitzen. Ja, in der Tat: Für Maker war das eine kleine Revolution.

Lag es an den charismatischen Qualitäten der MakerBot-Galionsfigur Bre Pettis, der gerne und vielleicht auch zu laut für die Maschinen seiner Firma trommelte? Daran, dass es gefühlt täglich neue günstige 3D-Drucker-Projekte im Internet auftauchten? Oder an eine diffusen Sehnsucht nach eine neuen universellen Problemlösetechnik für eine leuchtende Zukunft? Nach einer neuen industriellen Revolution?

Genau lässt sich das nicht mehr festmachen. Vielleicht klang einfach alles auch so toll nach Science Fiction, nach dem Replikator auf der Enterprise, dem Matter Compiler aus Neal Stephensons Diamond Age ... Jedenfalls war irgendwann wie aus heiterem Himmel der Hype rund um den 3D-Druck da – und bestand von Anfang an aus überzogenen Erwartungen, die gepuscht wurden von Leuten, die von den Details keine Ahnung hatten, und zwar in Medien, die sich lieber mit Visionen als mit Technik beschäftigten.

Differenzierung? Kein Bedarf. Das Maker-Versprechen, jeder könne einen eigenen 3D-Drucker besitzen, wurde nachgeplappert als Behauptung, jeder werde einen eigenen 3D-Drucker besitzen. Das war schon immer Quatsch, denn ein 3D-Drucker ist ein Werkzeug für Leute, die etwas bauen wollen und damit umgehen können, wie eine Tischkreissäge oder eine Oberfräse. Die braucht auch nicht jeder.

Die Meldung aus der Industrie, man könne jetzt auch Kleinserien mit dem 3D-Drucker herstellen, mutierte flugs zur Vorstellung, der 3D-Druck stelle alle anderen Fertigungstechniken komplett in Frage. Das allgemeine Geschwafel hob an, vom Ende der Ära der Massenproduktion, von der Dezentralisierung und Demokratisierung der Produktionsmittel, von der Fabrik in jedem Haus. Marx, Engels und Lenin ließen grüßen.

In der Hitze des Hypes prallten die Welten unweigerlich aufeinander. Auf den den einschlägigen Industriemessen wie Euromold oder Rapid.Tech wunderten sich die Fachleute – diesen Hype buchstäblich aus dem (technischen) Nichts hatte keiner kommen sehen. Mache waren durchaus irritiert, warum auf einmal die Tagesthemen prominent einen 3D-Drucker von der CES in Las Vegas präsentierten, als wäre es der erste der Welt. (Dabei war es nicht mal der erste für Privatanwender.)

Medienhypes verstärken sich selbst – Spin Doctors mit einer Nase für Trends können sie geschickt für ihre Zwecke nutzen und heizen sie damit weiter an. Eine Zeit lang war breite Aufmerksamkeit sicher, wenn eine Pressemitteilung für ein beliebiges Produkt oder irgendein Forschungsprojekt herausstrich, dass die Entwickler oder Wissenschaftler dabei einen 3D-Drucker genutzt hatten (für welches Kinkerlitzchen auch immer).

Debatten brandeten auf, die sich um mögliche Urheberrechtsverletzungen durch 3D-Dateien im Internet drehten, um potenzielle gesellschaftliche Veränderungen durch die vermutete Abkehr von der Massenproduktion und nicht zuletzt darum, wie groß die Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Pistole aus dem 3D-Drucker ist.

Als wäre der Status Quo nicht faszinierend genug, beschäftigte sich außerhalb der Fachwelt kaum jemand mit der real existierenden 3D-Druck-Technik – die diente meist nur als Basis für Spekulationen über sicherlich ausstehende bahnbrechende Fortschritte in der Zukunft, über die man sich natürlich jetzt schon Gedanken machen müsste.

Selbstredend traten auch Kritiker auf den Plan. Während manche versuchten, die überzogenen Erwartungen einfach nur wieder einzufangen (was habe ich mir da den Mund fusselig geredet), stellten andere den gesamten 3D-Druck rundheraus in Abrede, nachdem sie einmal ein verzogenes ABS-Teil aus einem Billig-Drucker der ersten Generation gesehen, für schrecklich befunden hatten und meinten, sie wüssten jetzt Bescheid.

Die Industrie kannte die harten technischen Limits der additiven Technik sehr wohl: So kann ein FDM-Drucker nicht gleichzeitig schneller und feiner drucken, der limitierende Faktor ist die begrenzte Geschwindigkeit des Druckkopfes. Das ist reine Mechanik und Geometrie, da ist auch kein Quantensprung in Sicht.

Für die Massenproduktion taugt kein additives Fertigungsverfahren, denn Kosten und Produktionsdauer pro Stück bleiben praktisch gleich, ganz egal, wie viel man davon herstellt. Wer viele tausend Exemplare eines identischen Plastikteils braucht, kommt mit Spritzguss günstiger und schneller ans Ziel, und das wird auch noch sehr lange so bleiben.

Und vielleicht das wichtigste: Kein 3D-Drucker der Welt produziert einfach so das gewünschte Objekt – er braucht ein exaktes 3D-Datenmodell als Vorlage. Und das muss man erst mal haben, was in der Regel heißt: selbst konstruieren. Das geht, und auch die CAD-Software dafür gibt es oft gratis, aber man muss es können.

Die Industrie nutzte dennoch die Chance des Hypes, münzte die Aufmerksamkeit für ihre Branche in reelles Wachstum um, indem sie Lösungen an Firmen verkaufte, bei denen Rapid Prototyping und Rapid Manufacturing Sinn ergeben. Manche große Firmen schluckten kleine, wie der ursprüngliche FDM-Patentinhaber Stratasys das Vorzeige-Startup Makerbot. Aber auch einige kleine Hersteller, die mit Maker-Druckern angefangen haben, wandten sich dem deutlich profitableren Profi-Markt zu – so entwickeln etwa Ultimaker und German RepRap heute keine neuen Maschinen für Privatkunden mehr.

Klar produzierte der Hype auch Verlierer. Wer allzu blauäugig an die Mär vom zukünftigen Massenmarkt für 3D-Druck geglaubt und als Start-up dort seinen Claim abgesteckt hatte, ging oft baden – sei es mit einem 3D-Druck-Laden in der Innenstadt oder mit dem gefühlt dreihundertsten günstigen FDM-3D-Drucker (billiger als die Chinesen kann man die halt nicht bauen).

Aber dem großen Teil der 3D-Druck-Branche und auch den Nutzern war es am Ende ziemlich egal, dass der Medienhype im Rest der Welt erst überschäumte und zusammenbrach. Es war sogar eine gewisse Erleichterung zu spüren, das man wieder in Ruhe weiter entwickeln und wachsen konnte.

Für die Maker waren die letzten zehn Jahre eine goldene Zeit. Denn dank der Vorarbeit des RepRap-Projekts, dessen Technik in vielen Einsteigerdruckern der ersten Generation stecke, lieferten viele der erst günstigen, heute billigen 3D-Drucker fast von Anfang an praktisch nutzbare Teile – mit etwas Glück sogar der legendäre erste MakerBot CupCake CNC: Vor knapp zehn Jahren druckte ich damit ein fehlendes Zwischenstück für die Esstischlampe zu Hause und das hält immer noch.

Heute kostet ein brauchbarer 3D-Drucker für den privaten Anwender nur noch so viel wie ein Mittelklasse-Smartphone, die Werkstücke daraus sind nach wie vor nützlich und sehen – nicht zuletzt durch Fortschritte beim Druckmaterial – um so vieles besser aus als damals. In der Maker-Szene ist der 3D-Drucker heute fast so gängig wie die Lötstation und sicher verbreiteter als das Oszilloskop. Dabei benutzen die meisten Bastler ihn vor allem für praktische Sachen, drucken Perestaltikpumpen für Cocktailroboter, Tiefdruckpressen, Head-Up-Displays fürs Multimeter, schnelle Akkuschrauberrenner, allerlei Gehäuse und eher nebenbei auch mal Plastikblumen und Nippesfiguren.

Und jetzt? Mein Vorschlag zur Güte: Ihr beerdigt Euren Hype, mit so viel Häme und Brimborium und Leichenreden, wie ihr dafür braucht. Okay? Und im Gegenzug lasst ihr uns in Zukunft in Ruhe weiter 3D-drucken und verschont uns mit ungebetenen Vorträgen darüber, dass sich der 3D-Druck niemals durchsetzen wird. Deal? (pek)