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Mobilfunk: Regulierer setzt "Orientierungspunkte" für Frequenzvergabe

Volker Briegleb

(Bild: Timofeev Vladimir/Shutterstock.com)

Bei der Neuvergabe auslaufender Nutzungsrechte für Mobilfunkspektrum wird es der Bundesnetzagentur schwerfallen, alle Interessen unter einen Hut zu bringen.

Im Hinblick auf die in naher Zukunft anstehende Neuvergabe von Nutzungsrechten für begehrte Mobilfunkfrequenzen hat die Bundesnetzagentur einige "Orientierungspunkte" für das weitere Verfahren veröffentlicht. Damit stellt die Regulierungsbehörde ihre Überlegungen zur künftigen Frequenzvergabe sowie noch zu klärende Fragen zur Diskussion. Auch sind die interessierten Netzbetreiber aufgefordert, ihren Frequenzbedarf anzumelden. Bis zum 21. März 2022 können die Orientierungspunkte kommentiert werden.

"Die Orientierungspunkte skizzieren den Sachverhalt für eine spätere Bereitstellung der Frequenzen", teilte die Bundesnetzagentur mit. Laut dem am Montag veröffentlichten Papier [1] strebt die Behörde ein "objektives, transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren" an. Dafür steht die Bereitstellung von gegebenenfalls auch zusammenhängenden Frequenzen in verschiedenen Bändern mit "angemessenen Laufzeiten" zur Diskussion.

Dabei will die Behörde unter Berücksichtigung der Marktentwicklung und des von den Netzbetreibern angemeldeten Frequenzbedarfs darauf achten, dass der Wettbewerb keinen Schaden nimmt und die Chancen des Neueinsteigers 1&1 auf Zugang zu Spektrum gewahrt bleiben. In diese "Orientierungspunkte" sind auch erste Erkenntnisse aus den Rückmeldungen der betroffenen Unternehmen und Verbände auf den im vergangenen Herbst veröffentlichten Frequenzkompass eingeflossen.

Ende 2025 laufen die Nutzungsrechte für Frequenzen in den Bereichen 800 MHz, 1800 MHz und 2,6 GHz aus, die derzeit Telefónica, Telekom und Vodafone besitzen. Die drei Netzbetreiber verfügen über weitere Frequenzen im 1800-MHz-Band, deren Nutzungsrechte 2033 zusammen mit anderem Spektrum bei 700 MHz, 900 MHz und 1500 MHz auslaufen. Gerade die Frequenzen unter 1000 MHz sind aufgrund ihrer hohen Reichweite sehr begehrt. "Sie tragen derzeit wesentlich zur mobilen Breitbandversorgung in der Fläche bei. Hierzu gehen wir nun den nächsten Schritt", sagt der scheidende Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann.

Bisher teilen sich die drei etablierten Netzbetreiber das begehrte Spektrum. Jetzt gibt es aber einen vierten, der ebenfalls Anspruch auf die Flächenfrequenzen erhebt. Dass man das Spektrum viertelt und nicht drittelt, kommt laut Bundesnetzagentur nicht infrage. "Es ist technisch nicht sinnvoll, das Spektrum bei 800 Megahertz symmetrisch auf vier Netzbetreiber aufzuteilen", sagt Behördenchef Homann.

Um die Frequenzvergabe zu harmonisieren, überlegt die Bundesnetzagentur, die 2025 auslaufenden Nutzungsrechte zumindest vorübergehend zu verlängern [2]. Die Mobilfunkfrequenzen "kurzfristig und bedingt zu verlängern" und später neu zu vergeben sei möglich, sagte Homann am Montag. Das ist ein Szenario, mit dem auch die Monopolkommission leben kann, die sich aber grundsätzlich für eine Beibehaltung der Auktionen ausgesprochen hat.

2033 könnte die Behörde dann mehr zusammenhängendes Spektrum vergeben – zumal es Bestrebungen gibt, das derzeit von TVB-T2 [3] und Veranstaltungstechnik genutzte Spektrum zwischen 470 und 694 MHz für den Mobilfunk [4] umzuwidmen. Für Bühnen- und Theatertechniker ist diese dritte "digitale Dividende" ein Déjà-vu: Sie mussten dem Frequenzhunger der Mobilfunker schon bei der zweiten weichen [5].

(Bild: swissdrone / Shutterstock.com)

Die Debatte über die Frequenzvergabe ist schon voll im Gange. Angesichts der zahlreichen Interessen, die unter einen Hut gebracht werden wollen, ist der Regulierer um die Aufgabe nicht zu beneiden. In den "Orientierungspunkten" skizziert die Bundesnetzagentur nüchtern die Kampflinie: auf der einen Seite die etablierten Netzbetreiber, die ihre Frequenzen gerne verlängert hätten [6], auf der anderen 1&1, das noch ein Stück vom Frequenzkuchen haben möchte. Nur in einem herrscht weitgehend Einigkeit: Ein Ausschreibungsverfahren will niemand.

"Eine Abkehr von überteuerten Auktionen ist überfällig", meint Markus Haas, CEO der Telefónica Deutschland, und verweist auf die "rund 67 Milliarden Euro", die dann für Investitionen fehlten. "Die Politik muss nun eine Frequenzplanung entwickeln, die nicht nur die nächsten zwei Jahre betrachtet", fordert Haas und plädiert für "eine zeitlich angemessene Verlängerung, bis weiteres Spektrum für ländliche Regionen verfügbar sein wird".

So lange will 1&1 nicht warten. "Neben der Flächendeckung außerhalb großer Städte sind die sogenannten Low-Band-Frequenzen auch für die Versorgung von Innenräumen unabdingbar", kontert eine 1&1-Sprecherin. Die United-Internet-Tochter hatte bei der Auktion 2019 Spektrum im 2-GHz-Band und bei 3,6 GHz ersteigert [7], das sie ab 2026 nutzen kann. Bis dahin kann 1&1 zwei Blöcke bei 2,6 GHz nutzen, die Telefónica Deutschland im Zuge der Fusion von O2 und E-Plus freimachen musste [8] und an 1&1 vermietet hat [9].

Bisher vermarktet 1&1 Mobilfunkprodukte als virtueller Netzbetreiber (MVNO) auf dem Telefónica-Netz und wird künftig auf ein Roaming-Abkommen mit Telefónica [10] zurückgreifen können. Vodafone hält das offenbar für ausreichend und meint, dass 1&1 doch einfach seinen Zugang zum Netz von Telefónica weiternutzen könnte. Der Newcomer will sich damit aber nicht abspeisen lassen. "Um als vierter Netzbetreiber dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein, ist es für 1&1 zwingend notwendig, neben den 2019 ersteigerten 5G-Frequenzen demnächst auch Low-Band-Frequenzen im Bereich 800 Megahertz erwerben zu können", betont die Sprecherin.

Aus der Politik kommen unterschiedliche Signale. Der Vorsitzende des Netzagentur-Beirats, Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD), plädiert für eine Verlängerung. Ende des Jahrzehnts könnte laut einem SPD-Papier dann entschieden werden, wie es weitergeht – "dann könnte das Instrument der Versteigerung zu diesem Zeitpunkt wieder in sinnvoller Weise zum Einsatz kommen". Sein Beiratskollege Reinhard Houben (FDP) spricht sich gegen eine Verlängerung und für eine "Negativauktion" aus. Bei so einem Verfahren setzt sich die Firma durch, die am wenigsten staatliches Fördergeld haben will und sich zu umfangreichen Ausbaupflichten bekennt.

Der Streit um das begehrte und nur begrenzt verfügbare Spektrum dürfte bis zu der für 2023 erwarteten Ansage der Bundesnetzagentur weiter an Schärfe zunehmen. Noch ist nichts entschieden: "Vor einer Entscheidung ist noch eine Vielzahl von Verfahrensfragen zu klären", betont Homann, der mit der Beantwortung dieser Fragen nicht mehr viel zu tun haben wird: Nach zehn Jahren an der Spitze der Bundesnetzagentur scheidet er Ende Februar aus dem Amt. Die Bundesregierung hat bereits den bisherigen Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, als Nachfolger [11] ins Spiel gebracht.

(vbr [12])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Frequenzen/OffentlicheNetze/Mobilfunk/Orientierungspunkte2022.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[2] https://www.heise.de/news/Frequenzvergabe-Chefregulierer-offen-fuer-Verlaengerung-statt-Auktion-6279445.html
[3] https://www.heise.de/news/Umstellung-auf-DVB-T2-HD-Am-Mittwoch-bleibt-der-Fernseher-schwarz-3666007.html
[4] https://www.heise.de/news/Studie-zum-TV-UHF-Band-Es-wird-eng-fuer-DVB-T2-nach-2030-6301487.html
[5] https://www.heise.de/news/Bundesnetzagentur-gibt-Frequenzen-fuer-drahtlose-Mikrofone-frei-4700179.html
[6] https://www.heise.de/news/Frequenzvergabe-Mobilfunker-gegen-gesetzliche-Vorfestlegung-auf-Auktion-5999924.html
[7] https://www.heise.de/news/5G-Frequenzauktion-beendet-4445365.html
[8] https://www.heise.de/news/Regulierer-O2-und-E-Plus-muessen-nach-Fusion-Spektrum-abgeben-2249767.html
[9] https://www.heise.de/news/Mobilfunk-1-1-Drillisch-mietet-Frequenzen-von-Telefonica-4619488.html
[10] https://www.heise.de/news/Viertes-Mobilfunknetz-1-1-Drillisch-nimmt-Angebot-von-Telefonica-an-5054812.html
[11] https://www.heise.de/news/Bundesnetzagentur-Verbraucherschuetzer-Mueller-soll-neuer-Chef-werden-6332713.html
[12] mailto:vbr@heise.de