Moratorium bei der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten gefordert

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix plädiert dafür, angesichts zahlreicher verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die pauschale Überwachung der Nutzerspuren die Umsetzung der Brüsseler Vorgaben auszusetzen.

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Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix plädiert dafür, angesichts zahlreicher rechtlicher Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetdaten die Umsetzung der Brüsseler Vorgaben auszusetzen. Er sei für ein Moratorium, erklärte der Datenschützer auf einer Tagung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung am heutigen Dienstag in Berlin. Der Gesetzgeber solle vor eigenen Schritten zumindest die Entscheidung der Klage von Irland und der Slowakei vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) abwarten. Die beiden Länder hatten jüngst Beschwerde gegen die Richtlinie zur pauschalen Überwachung der elektronischen Nutzerspuren eingelegt, weil diese ihrer Ansicht nach auf einer falschen rechtlichen Grundlage basiert.

Der Bundestag hielt es nicht für erforderlich, die Bundesregierung zur Beteiligung an der Klage aufzufordern. Dies hätte eine aufschiebende Wirkung auf die Notwendigkeit zur Umsetzung der Direktive ins nationale Recht mit sich gebracht. Aber auch so geht Dix davon aus, dass während der Verhandlungen vor dem EuGH in dieser Sache mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission im Falle eines gesetzgeberischen Moratoriums nicht zu rechnen ist.

Die vom EU-Parlament mit abgesegnete Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten würde laut Dix "unkontrollierbare Datenbestände" schaffen. Weder Datenschutzbeauftragte noch Gerichte wären imstande, die Einhaltung etwaiger Zwecksicherungen zu überwachen. Vielmehr sei von vornherein eine "schleichende Zweckentfremdung" der Milliarden Daten zu Telefonaten und Internet-Nutzungen vorgezeichnet. Für überaus bedenklich hält der Datenschützer in diesem Zusammenhang den Plan der Bundesregierung, im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie zur zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte einen Auskunftsanspruch gegen Internet-Zugangsanbieter zu schaffen. Eine solche Regelung sei an sich mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbaren. Allerhöchstens Strafverfolgungsbehörden dürften Zugriff auf Daten wie gespeicherte IP-Adressen haben

Auch die vom Bundestag befürwortete Linie, die berechtigten Stellen auch bei "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" in den Datenbergen schürfen zu lassen, ist laut Dix weder "grundrechtsschonend" noch mit EU-Recht in Einklang zu bringen. Mehr noch als die vom Bundesverfassungsgericht eingeschränkte Rasterfahndung sei die Vorratsdatenspeicherung "ein riesiges Instrument zur Verdächtigengewinnung". Die systematische Erfassung der begehrten Daten könne zudem den besonders geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung erfassen, etwa bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patient, wo die geplante Einführung der elektronischen Gesundheitskarte die Sachlage noch verkompliziere. Dix verwies zudem darauf, dass selbst Kaufhäuser die über RFID-Chips generierten Verbindungsdaten speichern müssten, da diese von der Richtlinie erfasst seien.

Verfassungsmäßige Probleme sieht auch Christoph Fiedler vom Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ) schon in der Tatsache der Vorratsdatenspeicherung. "Die Gefahr der Abschreckung von Informanten ist klar", wenn die Behörden Lecks in den eigenen Reihen nach Zeitpunkt einer Veröffentlichung über die gespeicherten Verbindungsdaten mindestens sechs Monate lang zurückverfolgen könnten. Er forderte die Bundesregierung und das Parlament auf, eine besondere Sicherung der Journalisten und der Pressefreiheit bei der Umsetzung der Richtlinie vorzusehen. Gerade in Zeiten des Terrorismus, in denen Staaten vermehrt insgeheim agieren und Grundrechte beeinträchtigen, sei jede Demokratie auf eine robuste und effektive Pressearbeit angewiesen.

Eine vorsorgliche Ausfilterung der Telekommunikationsdaten etwa von Journalisten oder so genannten Berufsgeheimnisträgern ist bei der pauschalen Überwachungsmaßnahme jedoch nicht möglich. "Beim Datenverkehr können wir nicht unterscheiden, wer mit wem telefoniert", erläuterte Jan Mönikes von der Initiative Europäischer Netzbetreiber (IEN). Die Provider dürften die Inhalte der IP-Pakete nicht wissen und seien daher gezwungen, "zunächst alles zu speichern". Weder Politik noch Strafverfolger hätten sich zudem klar geäußert, ob für sie letztlich "jedes Verbindungsdatum" interessant sei, also etwa auch der Zugriff auf bestimmte Webdomains, oder "nur" die bisher für Abrechnungszwecke benötigten Informationen. Mönikes pochte auch auf eine angemessene Kostenerstattung, da gerade aufgrund vermuteter Urheberrechtsverletzungen schon heute ein Mitgliedsunternehmen 40.000 Auskunftsersuche innerhalb von drei Tagen erhalten habe und derlei "massenhafte Begehrlichkeiten" mit der Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinien wachsen dürfen.

Hans-Jürgen Förster, Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium, versuchte abzuwiegeln: Noch gebe es nicht einmal einen Referentenentwurf zur Vorratsdatenspeicherung, der zudem nicht in seinem Haus, sondern im Bundesjustizministerium erstellt werde. "Die Probleme, die hier aufgeworfen werden, sind da geläufig; es wird nichts Neues erfunden an Materie, die umzusetzen ist", beteuerte der Beamte. Generell bezeichnete er die gefundene Lösung zur verdachtsunabhängigen Überwachung der Nutzer als ein gutes Beispiel für ein Verhandlungsergebnis, mit dem "sowohl die berechtigten Interessen der Nutzer und der Wirtschaft als auch die der Strafverfolgungsbehörden in Ausgleich" gebracht worden seien. Zugleich machte er sich für einen verbesserten Informationsaustausch zwischen Ermittlern europaweit und mit Drittstaaten stark und kritisierte die Planungen der EU-Kommission zur Festlegung von Datenschutzvorschriften für den Strafverfolgungsbereich.

Der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, gestand dagegen ein, dass der von Schwarz-Rot befürwortete Kompromiss bei der Vorratsdatenspeicherung eine "Niederlage des Datenschutzes" darstelle. Falls erkennbar würde, dass ein entsprechender Gesetzesentwurf verfassungswidrige Züge trage, würde er sich an einer Klage in Karlsruhe beteiligen. Auch die Frage eines Moratoriums will Tauss prüfen. (Stefan Krempl) / (pmz)