NSA-Fall: Reality Winner klagt über harte Bewährungsauflagen und The Intercept

Der staatliche Druck sei auch nach der Haftentlassung enorm, moniert Whistleblowerin Reality Winner. The Intercept habe sie bewusst ans Messer geliefert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 68 Kommentare lesen

(Bild: Lightspring / shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Seit Kurzem befindet sich Reality Winner bei ihren Eltern im US-Bundesstaat Georgia, nachdem die frühere NSA-Vertragsarbeiterin im Juni zunächst nach fünf Jahren Haft in eine offene Anstalt verlegt worden war. Sie war 2016 zu 63 Monaten Gefängnis und drei anschließenden Jahren Freiheit unter Überwachung verurteilt worden, weil sie einen Geheimbericht an das US-Portal "The Intercept" weitergegeben hatte. Doch "frei" fühlt sich die 29-Jährige bislang nicht.

Sie sei in den vergangenen fünf Monaten zweimal einkaufen und etwa genauso oft zum Essen gegangen, berichtete die einstige Geheimdienstanalystin am Freitag per Videoschalte auf einer Konferenz des Disruption Network Lab in Berlin. Weitere "Ausflüge" seien ihr bislang untersagt worden mit Verweis auf die Pandemie. Ihr Bewährungshelfer habe ihr generell erklärt, dass sie in den nächsten drei Jahren immer zwischen 22 und 6 Uhr zuhause sein müsse. Reisen mit Übernachtung auswärts und Besuche bei weiter entfernt lebenden Familienmitgliedern seien damit gestrichen.

Ein Elternteil müsse sie auch immer wieder insgesamt 100 Meilen hin und zurück zu einer Einrichtung fahren, wo sie sich einem Drogen- und Medikamententest zu unterziehen habe, erklärte Winner. Es sei ihr ferner nur eingeschränkt erlaubt, mit Medien zu sprechen. Interviews etwa seien nicht mit den gerichtlichen Auflagen vereinbar, laute die Ansage ihres Bewährungshelfers: "Ich weiß nicht einmal, was die Folgen der Teilnahme an einer Diskussion wie dieser sind. Wenn ich offen spreche, könnte ich zurück ins Gefängnis kommen."

Sie habe inzwischen einen Job in der lokalen Gemeinde, müsse aber fast jeden Schritt außer Haus planen, führte die Ex-Informantin aus. Die Auflagen seien insgesamt sehr vage. Der Ball liege größtenteils bei ihrem Aufpasser, der sich keinerlei Zurückhaltung auflegen müsse. Dafür fehle der öffentliche Druck. Obwohl sie nun neben ihren Eltern auch wieder "vier Hunde, vier Katzen und ein Pferd, das sich für einen Hund hält", um sich habe, falle es ihr schwer zu erkennen, "dass es ein Schritt nach vorn ist". Als sie sich kurz nach der Entlassung in der Übergangsstation einmal zu weit ins Wohnzimmer vorgewagt habe, sei dies als Fluchtgefahr eingestuft worden. Aufgrund des "ständigen Dramas" habe sie schon zwei neue Panikattacken erlitten.

Billie Winner-Davis und Reality Winner (Screenshot)

Auch mit Kritik an ihrem früheren Medienpartner sparte Winner nicht. The Intercept hatte von ihr ein NSA-Papier erhalten, in dem der russische Militärgeheimdienst GRU beschuldigt wird, US-Wahlbehörden etwa durch Spear-Phishing angegriffen und die öffentliche Meinungsbildung vor der Kür Donald Trumps zum Präsidenten beeinflusst zu haben. Vor der Publikation des Dokuments und einer umfangreichen Geschichte dazu bat The Intercept die NSA und den US-Geheimdienstdirektor mit einem übersandten Scan um Stellungnahme. Eine mitgelieferte Druckerkennung führte so rasch zu Winner, die noch vor der Veröffentlichung des Leaks vom FBI festgenommen wurde.

Sie habe sich auf ein kommerzielles Medienunternehmen eingelassen, das wisse, dass sich schlechte Nachrichten mit einem negativen Spin am besten verkauften, bereut die Hinweisgeberin nun. Dessen Vorgehen sei kein Fehler gewesen: "Sie haben es bewusst gemacht und eine Art von Vorfall inszeniert." Das Presseorgan habe jemand gebraucht, "der das Ganze lukrativer macht", eine Art tragische Figur für weitere Schlagzeilen. "Ich habe den Preis dafür bezahlt."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ex-CIA-Agent John Kiriakou, der als erster aus "der Firma" öffentlich über die Foltermethode Waterboarding gesprochen hatte und später zu 30 Monaten Haft verurteilt wurde, wiederholte seine Vorwürfe gegen den Intercept-Reporter Matthew Cole. Dieser habe auch ihn für eine Titelstory sowie weitere Whistleblower ans Messer geliefert. Der 57-Jährige warf die Frage auf, ob der Journalist fürs FBI arbeite. Zugleich wollte er in Bezug auf die Webseite wissen: "Können sie so dumm oder so schlechte Journalisten sein und immer dieselben Fehler machen?"

Die Auflagen für Winner bezeichnete Kiriakou als "ungewöhnlich hart". Er selbst habe zwar auch zunächst ein Fahrverbot, Meldepflichten für Tests und den Besuch von Fortbildungskursen aufgebrummt bekommen. Nachdem er auf seine Verfassungsrechte gepocht habe, sei aber alles zurückgenommen worden. An Winner gewandt sagte er: "Sie schikanieren dich, weil sie denken, dass sie damit durchkommen."

Als Grund vielen Übels machte der Ex-Geheimdienstler das US-Spionagegesetz von 1917 aus, auf dessen Basis immer wieder Whistleblower wie Edward Snowden und Julian Assange angeklagt und teils verurteilt werden. Das Justizministerium missbrauche diesen Espionage Act, indem es versuche, damit politische Probleme zu lösen. Die Gerichte verschärften ihre Rechtsprechung zugleich. So werde ein Präzedenzfall, wonach es auf eine kriminelle Absicht beim Durchstechen vertraulicher Informationen ankomme, nicht mehr anerkannt.

Realitys Mutter Billie Winner-Davis, die sich mit anderen Aktivisten für eine offizielle Begnadigung ihrer Tochter einsetzt, bezeichnete es als überaus schwierig, für dieses Anliegen Unterstützung von US-Abgeordneten zu bekommen: "Kein einziger hat sich bis heute zu ihr bekannt." Daran sei ebenfalls der Espionage Act schuld: "Keiner will jemand helfen, der der Spionage angeklagt ist." Eine Reform des drakonischen Gesetzes und des enthaltenen Strafmaßes sei überfällig. Der US-Regierung warf sie vor, ihr Kind zu verfolgen, nur weil es genau das Richtige zur passenden Zeit getan habe. Ohne den Leak hätte die Öffentlichkeit kaum etwas über die russischen Machenschaften erfahren.

Im Rahmen der Konferenz wollen die Veranstalter auch das von ihnen herausgegebene Buch "Whistleblowing for Change" präsentieren. Zudem fand die deutsche Premiere des Dokumentarfilms "United States vs. Reality Winner" statt. Dessen Regisseurin Sonia Kennebeck bedauerte, dass investigative Recherchen teuer und zeitaufwändig seien. Das Filmteam habe das FBI verklagen müssen, um an eine Audiodatei zu kommen. Gewundert habe sie sich, dass der "historische" Prozess gegen Winner in den USA von den Medien kaum beachtet worden sei. Viele fürchteten wohl, den Zugang zu Regierungsquellen zu verlieren. Sie hätten sich eine Art Selbstzensur auferlegt.

(tiw)