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NetzDG: Beschwerden bei Facebook um 1844 Prozent gestiegen

Stefan Krempl

(Bild: Lukasz Stefanski/Shutterstock.com)

Im ersten Halbjahr gingen bei Facebook mit neuem Meldeverfahren 77.671 Beschwerden nach dem NetzDG ein, in den sechs Vormonaten waren es nur 4211.

Die großen Social-Media-Betreiber haben am Freitag ihre Halbjahresbilanzen zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgelegt. Einen massiven Anstieg der Eingaben um 1844 Prozent meldet dabei Facebook in seinem neuen Transparenzbericht. Zwischen Anfang Januar und Ende Juni 2021 wurden demnach insgesamt 67.028 Inhalte in 77.671 Beschwerden eingereicht. Im Halbjahr davor zwischen Juli und Dezember waren es erst 4401 Beiträge in 4211 Meldungen gewesen.

Nutzer können bei Facebook generell mehrere Inhalte in einer einzigen NetzDG-Beschwerde anführen. Die enorme Zunahme der Hinweise um das über 18-fache erklärt der US-Konzern unter anderem damit [1], dass das NetzDG-Meldeformular seit diesem Halbjahr allen Betrachtern der Website zur Verfügung stehe. Zuvor sei der Link neben einem Inhalt nur für registrierte Mitglieder sichtbar gewesen.

13.642 Eingaben machten Beschwerdestellen, 64.029 kamen von Nutzern. Die meisten Hinweise bezogen sich mit fast 30.000 auf potenzielle Beleidigungen. Üble Nachrede landet mit 24.330 Beschwerden auf Platz 2, gefolgt von Volksverhetzung und Verleumdung mit 22.696 beziehungsweise 20.315 Hinweisen. Dabei ist zu beachten, dass in einer NetzDG-Beschwerde mehrere Gründe für die Rechtswidrigkeit angeführt werden können. Daher übersteigt die Gesamtzahl der zu den Straftaten erfolgten Eingaben die der übermittelten Beschwerden.

Nach der Prüfung durch Teams von derzeit 129 "Fachkräften und Juristen" löschte oder sperrte Facebook im ersten Halbjahr 2021 11.699 Inhalte auf Basis von 11.560 Beschwerden. In den sechs Monaten davor waren es 1276 Beiträge aufgrund von 1117 Hinweisen.

Darüber hinaus entfernt das kalifornische Unternehmen Inhalte aufgrund von Verstößen gegen seine Gemeinschaftsstandards größtenteils automatisiert mithilfe von Upload-Filtern, wobei es hierzulande nach einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs künftig aber sorgfältiger vorgehen und Widerspruch ermöglichen muss [2]. Weltweit hat der Betreiber nach eigenen Angaben allein zwischen Januar und März "rund 25,2 Millionen Inhalte entfernt, weil sie gegen unsere Richtlinien für Hassrede verstoßen haben". Mittlerweile erkenne man fast 97 Prozent einschlägiger Kommentare dank der Filtertechnik, noch bevor Nutzer sie meldeten.

Die Zahlen von Facebook waren bislang nicht direkt mit denen der anderen großen Plattformen vergleichbar, da der Anbieter auf einen "gesonderten Meldeweg" setzte. Mitglieder mussten lange Zeit ein spezielles Formular ausfüllen. Erst 2020 testete der Anbieter die neuen Optionen, bei denen Nutzer über einen zusätzlichen Link in der Menüauswahl eines jeden Inhalts zum NetzDG-Meldeformular gelangen.

Das Beschwerdeaufkommen ist bei der Konkurrenz insgesamt noch deutlich höher, die Zuwächse fallen aber viel moderater aus. YouTube meldet sogar einen leichten Rückgang. So liefen bei dem Videoportal von Google im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 311.839 NetzDG-Meldungen auf [3]. 203.956 von Nutzern, 107.883 von Online-Hotlines. Zwischen Juli und Dezember 2020 waren es zusammengenommen 323.792 Beschwerden, wobei auf das Konto von Usern 220.301 Eingaben gingen.

Mit über 84.000 Hinweisen machten YouTube zwischen Januar und Juni erneut vor allem "Hassrede oder politischer Extremismus" zu schaffen. An zweiter Stelle folgen mit 71.316 Fällen wieder "Persönlichkeitsverletzungen oder Beleidigung". Auf pornografische Inhalte bezogen sich 46.505 Hinweise. Entfernt hat der Anbieter insgesamt 48.157 Beiträge, während im Halbjahr davor 73.477 weichen mussten. 84,56 Prozent der gemeldeten Inhalte blieben im ersten Halbjahr 2021 online, da diese weder gegen NetzDG-Straftatbestände noch gegen Community-Richtlinien verstoßen haben.

Der jüngere, auf Kurzvideos spezialisierte Konkurrent TikTok hat zwischen Januar und Juni insgesamt 174.224 Beschwerden über Straftaten nach dem NetzDG erhalten [4]. Davon reichten Nutzer 129.121 ein, in 45.103 Fällen wurden Beschwerdestellen aktiv. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2020 erreichten den Dienst, hinter dem der chinesische Konzern ByteDance steht, 141.830 Eingaben [5]. Damals legte der Betreiber erstmals einen aussagekräftigen NetzDG-Transparenzbericht vor. Im zweiten Halbjahr 2020 meldete TikTok das bisherige Rekordaufkommen von 246.434 Beschwerden.

Knapp 38.000 Meldungen bezogen sich laut der aktuellen Statistik auf Beleidigungen. An zweiter Stelle stehen mit 19.160 Hinweisen Beschwerden über das "Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen". 17.434 bezogen sich auf Volksverhetzung, 15172 auf das Verbreiten, den Erwerb oder den Besitz "kinderpornographischer Schriften", 14.580 auf die "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen".

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In 19.123 Fällen ergriff TikTok nach einer Prüfung "Maßnahmen", sperrte oder entfernte also die als strafbar eingeschätzten Inhalte. Das entspricht gut zehn Prozent der Eingaben. Die Quote hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr 2020 so gut wie nicht verändert. In sechs komplexen Fällen hat sich der Anbieter "durch eine spezialisierte externe Rechtsanwaltskanzlei beraten lassen".

Bei Twitter nahmen die Beschwerden insgesamt von 811.469 im zweiten Halbjahr 2020 auf diesmal 833.402 [7] zu. Die Eingaben einzelner Nutzer stiegen dabei leicht um 2,4 auf 774.888, während die von Beschwerdestellen um 5,1 Prozent auf 58.514 nach oben gingen. Seit einem starken Anstieg der Hinweise von Usern 2019 "stabilisierten sich die Anzahl der Meldungen im ersten Halbjahr 2020", heißt es bei dem US-Betreiber. "Seit Juli 2020 bis Juni 2021 verzeichneten wir einen leichten, aber stetigen Anstieg der Gesamtbeschwerden" um 8,8 Prozent.

In 81.320 Fällen ergriff Twitter im vergangenen Halbjahr Maßnahmen wie Blockaden oder Löschungen. Bei 351 davon erhielt der Betroffenen zuvor die Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Häufigster Beschwerdegrund war erneut Volksverhetzung [8], diesmal mit 295.419 Hinweisen. Auf Rang zwei landete Beleidigung gefolgt von Verleumdung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten.

Laut der jüngsten, Ende Juni in Kraft getretenen NetzDG-Reform [9] soll es Nutzern einfacher fallen, Eingaben zu rechtswidrigen Inhalte zu übermitteln. Schwer auffindbare, lange und komplizierte Wege gelten nun als unvereinbar mit dem umstrittenen Gesetz [10]. Dazu kommt ein "Gegenvorstellungsverfahren". Es soll bei unterschiedlichen Auffassungen über Löschungen zwischen Nutzer und Anbieter greifen.

Facebook & Co. müssen ferner Angaben gegenüber Forschern machen, inwieweit die Verbreitung rechtswidriger Inhalte "zu spezifischer Betroffenheit bestimmter Nutzerkreise führt". Die Firmen sollen in den Transparenzberichten darlegen, ob sie der Wissenschaft Hinweise über "organisierte Strukturen oder abgestimmte Verhaltensweisen" etwa von Hetzern gegeben haben.

(tiw [11])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://about.fb.com/de/wp-content/uploads/sites/10/2021/07/Facebook-NetzDG-Transparenzbericht-Juli-2021.pdf
[2] https://www.heise.de/news/BGH-Facebook-muss-geloeschte-Hassrede-wieder-freischalten-6150978.html
[3] https://transparencyreport.google.com/netzdg/youtube?hl=de&items_by_submitter=period%3AY2021H1&lu=items_by_submitter
[4] https://www.tiktok.com/safety/resources/netzdg-jan-jun-2021?lang=de-DE&appLaunch=
[5] https://www.heise.de/news/TikTok-Knapp-141-000-NetzDG-Beschwerden-und-15-000-Blockaden-4861001.html
[6] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[7]  https://transparency.twitter.com/content/dam/transparency-twitter/netzdg/netzdg-jan-jun-2021.pdf
[8] https://www.heise.de/news/NetzDG-Transparenzbericht-zeigt-mehr-Beschwerden-bei-Twitter-4651118.html
[9] https://www.heise.de/news/NetzDG-Reform-Forschung-zu-Strukturen-von-Hetze-ermoeglicht-6121528.html
[10] https://www.heise.de/news/Google-Tochter-YouTube-klagt-gegen-das-Netzwerkdurchsetzungsgesetz-6148794.html
[11] mailto:tiw@heise.de