"Eine furchtbare Idee": EU startet Konsultation zu Netzgebühren

Im Maßnahmenpaket mit dem Gigabit Infrastructure Act beginnt Brüssel mit einer Umfrage, wie Google, Meta und Co. an den Netzkosten beteiligt werden können.

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Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der Vorstellung des Gigabit-Maßnahmenpakets am Donnerstag in Brüssel.

Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der Vorstellung des Gigabit-Maßnahmenpakets am Donnerstag in Brüssel.

(Bild: EU-Kommission/Bogdan Hoyaux)

Lesezeit: 5 Min.
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Die EU-Kommission hat wie erwartet ein Konsultationsverfahren angestoßen, um die Rahmenbedingungen für eine Beteiligung großer Internetfirmen an den europäischen Netzinfrastrukturkosten auszuloten. Mit der Konsultation, an der sich interessierte Parteien nun bis 19. Mai beteiligen können, wolle die Kommission "die wichtige Frage klären, wer für nächste Generation der Netzinfrastruktur bezahlt", sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der Vorstellung eines Maßnahmenpakets zur Gigabit-Förderung am Donnerstag in Brüssel.

Das Ziel: US-Riesen wie Google, Meta und Netflix sollen irgendwie für die Nutzung der europäischen Netzinfrastruktur zur Kasse gebeten werden. Die Rechnung ist einfach: Die großen Technikkonzerne verbrauchen Bandbreite und verdienen damit viel Geld, während die Netzbetreiber ihre Kapitalrenditen schwinden sehen. Hier will die EU-Politik einen Ausgleich schaffen und die Frage beantworten, wer dafür zur Kasse gebeten werden kann.

Eingebettet ist die Konsultation in ein Maßnahmenpaket, dessen Kernstück der Vorschlag für einen Gigabit Infrastructure Act ist. Mit der weitreichenden Umfrage zur "Zukunft des Telekom-Sektors" möchte die Kommission verschiedene Ansichten zur Entwicklung der Technologie und der Märkte im Sektor sammeln. Besonderes Augenmerk liegt auf der Infrastruktur, die als Grundlage des technologischen Wandels die Wettbewerbsfähigkeit der Union sichern helfen soll. Die Kommission betont, sie sei "fest entschlossen, das neutrale und offene Internet zu schützen".

Breton erfüllt den großen europäischen Netzbetreibern damit kurz vor Beginn der Branchenmesse MWC Barcelona am kommenden Montag einen Herzenswunsch. Seit sich das mobile Internet etabliert hat und Anwendungen wie Whatsapp oder Youtube populär wurden, klagen die Telcos über diese "Over the top"-Anbieter, die Netzkapazität fressen, dafür aber nicht bezahlen, und dann auch noch die einträgliche SMS ersetzen.

Die Unternehmen, die jetzt zahlen sollen, wollen das erwartungsgemäß nicht. "Wir begrüßen, dass nun endlich die Öffentlichkeit einbezogen wird", erklärt Christian Borggreen vom Verband CCIA Europe, der zahlreiche der Big Player wie Amazon, Google oder Meta vertritt. "Allerdings fürchten wir, dass die Kommission sich die Forderungen der großen Telcos nach Netzgebühren bereits angeeignet hat."

Die Debatte ist fast so alt wie das iPhone: Es vergeht kein MWC, ohne dass der CEO eines der großen Telcos einen flammenden Appell an die Politik richtet, diese lästigen OTTs doch endlich zur Kasse zu bitten. Ob das von René Obermann, Vittorio Colao, José María Álvarez-Pallete oder Tim Höttges vorgetragen wurde, die EU-Kommission hat den Telcos bisher immer die kalte Schulter gezeigt – und stattdessen mit den Roaming-Gebühren eine Cash-Cow der Netzbetreiber geschlachtet.

Nun scheint die Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen aufgeschlossener zu sein. Das liegt zum einen an dem übergeordneten Ziel der EU, den Einfluss und die Macht der großen US-Tech-Konzerne insgesamt zurückzudrängen. Aber es spielt wohl auch eine Rolle, dass Binnenmarktkommissar Thierry Breton als ehemaliger CEO von France Telecom (heute Orange) eine besondere Affinität für die Bedürfnisse der Branche hat.

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Beziehungsweise für die Bedürfnisse der "Big Four". In Europa ist die Kostenbeteiligung der OTT-Player primär das Projekt der großen multinationalen Telcos Deutsche Telekom, Orange, Telefónica und Vodafone. Deren europäischer Verband ETNO unterstützt das und begrüßte den Vorstoß dann auch als einen "positiv und dringend notwendigen Schritt, um ein schweres Ungleichgewicht im Internet-Ökosystem anzugehen".

Nationale und regionale Carrier haben sich lange bedeckt gehalten. Doch mit dem wachsenden Wohlwollen in Brüssel können sie das Thema nicht mehr ignorieren – zumal es Geld zu verteilen gibt. "Eine Beteiligung der großen Tech-Unternehmen an den Kosten kann die Dynamik im Glasfaserausbau weiter stärken", meint der Netzbetreiberverband Breko, besteht aber darauf, dass "der faire Wettbewerb" gesichert bleibt und auch andere Netzbetreiber "daran teilhaben können". Die Gelder dürften "ausschließlich zweckgebunden" für FTTH-Anschlüsse verwendet werden. "Nicht zuletzt" müsse die Netzneutralität gewahrt bleiben.

Die CCIA kritisiert, dass die Fragen der Kommission nicht offen sind, sondern so gestellt seien, dass sie die Idee der Netzgebühren rechtfertigen. Zudem seien sie überwiegend technischer Natur und damit würden zivilgesellschaftliche Gruppen zu wenig berücksichtigt. Der Verband verweist auf eine Untersuchung der europäischen Regulierungsbehörden, die den Netzgebühren eine deutliche Absage erteilt hatten.

"Regulierer, Verbraucherschützer, die Zivilgesellschaft und Wissenschaftler könnten es nicht klarer sagen: Die Einführung von Netzgebühren ist eine furchtbare Idee", sagte Borggreen. "Die Europäer bezahlen ihre Netzbetreiber bereits für den Internetzugang. Sie sollten nicht ein zweites Mal für die Telcos zur Kasse gebeten werden durch teurere Streaming- oder Cloud-Dienste."

Tatsächlich ist zu befürchten, dass "Big Tech" neue Netzgebühren auf die Verbraucherpreise umlegen wird. Zudem kommt in der Debatte oft zu kurz, dass die Telcos nicht "das Internet" sind. Ihre Transport- und Zugangsnetze sind ein wichtiger Teil des öffentlichen Internets. Aber auch "Big Tech" leistet mit eigenen Rechenzentren, Transportnetzen und Content Delivery Networks einen Beitrag zum Ökosystem.

(vbr)