Neue Konflikte um US-Aufsicht und Internationalisierung der Internet-Verwaltung

Vertreter Brasiliens forderten auf dem IGF mit teilweise kämpferischem Impetus eine Alternative zur Internet-Verwaltung ICANN, die immer noch unter US-Aufsicht steht; ein einfacher Transfer an ein internationales Regierungsgremium reiche aber nicht.

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Von
  • Monika Ermert

Gleich mehrere Minister der brasilianischen Regierung forderten zum Auftakt des zweiten Internet Governance Forum (IGF) in Rio de Janeiro eine Alternative zur Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Besonders scharf griff der Minister für Strategie, Roberto Mangabeira-Unger, die unter Aufsicht des US-amerikanischen Handelsministeriums (Department of Commerce, DoC) stehende Organisation an. In der Auftaktpressekonferenz sagte Mangabeira-Unger, der Übergang der US-Aufsichtsrolle auch bei der DNS-Rootzone an Regierungen sei überfällig. Gleichzeitig müsse die globale Zivilgesellschaft organisiert werden und in der Aufsicht die Macht von Regierungen beschränken.

Aus einem ähnlichen Konflikt, wie ihn die Brasilianer nun wieder anheizen, war das IGF überhaupt erst entstanden: Regierungen aus aller Welt hatten sich beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft nach heftigem Streit über die mögliche Internationalisierung der Internet-Verwaltung und das Bestehen der USA auf der Oberaufsicht über das Netz auf die Einrichtung des Forums geeinigt.

"Der schlichte Transfers von ICANNs Macht an eine Vereinigung der Staaten würde weder von denen akzeptiert werden, die das Internet heute kontrollieren, noch sollte es von der Menschheit akzeptiert werden," wetterte Mangabeira nun in der Auftaktsitzung des IGF. Mangabeira-Unger betonte zudem gegenüber heise online, die im Rahmen des Internets und dessen Verwaltung entstandenen Möglichkeiten der Partizipation der Zivilgesellschaft sollten auch als Vorbild für andere politische Bereiche genutzt werden: "Wir sollten das Internet als Entschuldigung heranziehen und dabei sehen, dass damit der Menschheit insgesamt gedient ist."

Seine brasilianischen Ministerkollegen vertraten ihre Forderungen nach einem Systemwandel weniger sozial-kämpferisch, nutzten aber zum Leidwesen der offiziellen UN-Vertreter ihren Heimvorteil, um in mehreren Veranstaltungen das Thema auf den Tisch zu bringen. Sie drückten damit das seit Jahren bestehende Unbehagen an der privilegierten US-Aufsicht über die Internet-Verwaltung und das DNS aus. In Rio schlossen sich der Kritik aus dem Regierungslager nur zwei einsame Rufer an. Ein Vertreter aus Saudi-Arabien fragte nach größeren Kompetenzen für Regierungen innerhalb der ICANN, im Rahmen des ICANN-Regierungsbeirates. Ein Vertreter des China Emergency Response Team fragte kritisch nach einer Lösung des Problems, dass nur ein Land den Bereich der Internetnamen und -adressen kontrolliere.

Vor mehr staatlichem Einfluss auf ICANN warnten in der Sitzung über kritische Infrastrukturen Milton Mueller, Professor an der Universität Syracuse und Mitbegründer des Internet Governance Forum, sowie Bob Kahn, der zusammen mit Vint Cerf und anderen TCP/IP entwickelt hatte. Mueller sagte, er favorisiere eine Lösung, in der die ICANN nicht Spielball geopolitischer Streitereien werde. Kahn nannte die Konzentration auf die ICANN, in der staatlicher Einfluss im Übrigen minimal sei, unnötig. Vor allem zum Domain Name System könnte es mehr und mehr Alternativen geben. Die verbissene Diskussion mache daher wenig Sinn. Sein früherer Partner Cerf, erst kürzlich abgetreten als Vorsitzender des ICANN-Direktoriums, nannte die Zusammenarbeit mit allen Regierungen innerhalb der ICANN bedeutsam. Sein Nachfolger Peter Dengate Thrush erinnerte ebenso pragmatisch daran, dass letztlich die Regierungen selbst über die Art ihres Beitrags zu ICANN entschieden. ICANNs Präsident und CEO warb für seine Organisation mit dem Hinweis, dass sich aktuell bereits eine Gemeinschaft von rund 20.000 Personen am ICANN-Prozess beteilige.

Carlos Alfonso, Mitglied des brasilianischen Internet Steering Committee, anerkannte die Bemühen der ICANN um Internationalisierung. Alfonso machte als einziger einen konkreten Vorschlag zu einer allerdings radikalen ICANN-Reform: "Lass uns Stück für Stück vorgehen." Rootserver-System, Aufsicht über generische Top Level Domains, Länderadresszonen und IP-Adressvergabe sollten laut Alfonso funktional getrennt und den Organisationen überlassen werden, die ohnehin schon dafür zuständig sind, den Rootserverbetreibern, der Generic Name Supporting Organisation, der "Country Code Top Level Domain" Organisation (ccTLD) und der von den regionalen IP-Adressverwaltern gegründeten Number Ressource Organisation (NRO). ICANN solle dabei lediglich als Dachorganisation bleiben. Den Vorschlag zu einer solchen Trennung gab es bereits in Zeiten der harten Auseinandersetzung zwischen NRO und ICANN. Doch inzwischen haben sich die verschiedenen Beteiligten mit ICANN weitgehend zusammengerauft. So kommt der Vorschlag wohl zu spät. Er blieb in Rio übrigens unkommentiert von der Regierung, die bislang die Fäden noch in der Hand hält: Die US-Regierung trat bislang auf dem Forum nicht öffentlich in Erscheinung.

Zum zweiten Treffen des Internet Governance Forum der UN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)