Neue Sicherheitsdebatte kontra Freiheitsrechte

Bundesinnenminister Schäuble kämpft eisern für Online-Durchsuchungen, mehr Überwachung und Änderungen im Völkerrecht, während FDP-Chef Westerwelle, SPD und die Gewerkschaft der Polizei zur Zurückhaltung mahnen.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält eisern an neuen gesetzlichen Anti-Terrormaßnahmen fest. Auf Betreiben des Ministers ganz weit oben auf der Tagesordnung der Regierungspolitik in Berlin stehen die Ausdehnung der Videoüberwachung, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, ein härteres Vorgehen gegen terroristische Einzeltäter sowie das Prestigeprojekt des CDU-Politikers: die Einführung einer rechtlichen Grundlage für heimliche Online-Durchsuchungen durch das Bundeskriminalamt (BKA). Nach seiner Kritik an der Unschuldsvermutung erklärte Schäuble zudem am gestrigen Dienstag auf einer Sicherheitskonferenz in Berlin die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und im Krieg nicht mehr für zeitgemäß. Gemäß dem Vorbild USA müssen seiner Ansicht nach Terror planende oder verbreitende "Kombattanten" wie Guantánamo-Häftlinge ohne reguläre Rechte behandelt werden, um den "asymmetrischen" Herausforderungen der neuen Terrornetzwerke zu begegnen.

Nicht nur beim Koalitionspartner SPD und bei den Grünen hat der teilweise von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestützte Kurs Schäubles Empörung ausgelöst. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle hat jetzt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau davor gewarnt, "die freie und offene Gesellschaft in Deutschland" scheibchenweise aufzugeben. Das Thema Sicherheit werde verstärkt als Vorwand genutzt, um seit Jahren angestrebte Freiheitseinschränkungen durchzusetzen. Erneut sprach sich Westerwelle auch gegen verdeckte Online-Durchsuchungen aus. Zumindest "ohne einen Richtervorbehalt" dürfe es diese nicht geben, heißt es in einer Mitteilung der Liberalen.

Ob die FDP einer Bespitzelung von PC-Festplatten und virtuellen Speicherplattformen im Netz mit dem Segen eines Richters zustimmen würde, erläuterte Westerwelle nicht. Allgemein erklärte er, dass es eine Präventionstaktik im Sinne eines Generalverdachts gegen alle Bürger nicht geben dürfe. Dass sich Schäuble zum Abbau von Freiheitsrechten auch eine Zusammenarbeit mit den Grünen gut vorstellen könne, meinte Westerwelle zu den Farbenspielen des Innenministers, sei zu verstehen. Immerhin hätten die Grünen in dieser Frage einen siebenjährigen Kotau gegenüber Otto Schily (SPD) hinter sich.

Vor einer Überforderung der Bürger mit immer neuen Vorschlägen zur Bekämpfung des Terrorismus hat zugleich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gewarnt. "Wer die Bürger täglich mit neuen Sicherheitsgesetzen überrascht, darf sich nicht wundern, wenn sie zunehmend befremdet und skeptisch reagieren", meint der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg. Sollte ein Klima des Misstrauens gegenüber den Sicherheitsbehörden bestehen, werde die Polizei von ihrer wichtigsten Informationsgewinnung – den vertrauensvollen Hinweisen aus der Bevölkerung – abgeschnitten.

SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper hat Schäuble unterdessen vorgeworfen, sich selbst etwa bei der umstrittenen Novelle des BKA-Gesetzes im Weg zu stehen und deren Verabschiedung zu verzögern. Man würde prinzipiell kritische Punkte wie neue präventive Befugnisse für die Telekommunikationsüberwachung, die bislang wenig erfolgreiche Rasterfahndung oder den großen Lauschangriff mittragen. "Felsenfest" stünden die Sozialdemokraten aber bei ihrem Nein zu Online-Durchsuchungen vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ohne diesen Punkt, für dessen Notwendigkeit Schäuble nach wie vor keine ernsthafte Begründung vorgelegt habe, könne die Reform des BKA-Gesetzes "sofort kommen".

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) stärkte seinem Parteikollegen dagegen den Rücken. Wer jetzt noch die Notwendigkeit von Online-Durchsuchungen, Videoüberwachung und Einsatz der Bundeswehr auch im Inneren bestreite, zitiert die Bild-Zeitung den Ex-General, "hat noch immer nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat". Die Innenressort-Chefs anderer Länder reagierten vor allem gegenüber der Installation weiterer elektronischer Augen auf öffentlichen Plätzen verhaltener. Eine flächendeckende Überwachung würde nur den Anschein von Aktivität erwecken, betonte Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD). Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erklärte einen erweiterten Einsatz von Videokameras im öffentlichen Raum für "nicht mit meinem freiheitlichen Weltbild vereinbar".

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (vbr)