Neuer Streit um offene Standards in der EU

Laut einem durchgesickerten Entwurf für die "digitale Agenda" der EU-Kommission sollen die Vorgaben zur Interoperabilität im IT-Bereich deutlich abgeschwächt werden. Anforderungen an die Offenheit von Normen macht das Papier nicht mehr.

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Laut einem durchgesickerten neuen Entwurf für die seit Längerem vorbereitete "digitale Agenda" der EU-Kommission sollen die Vorgaben zur Interoperabilität im IT-Bereich deutlich abgeschwächt werden. Die Bedeutung "offener Plattformen und Standards" erwähnt das Papier im Gegensatz zu früheren Versionen demnach nur noch im Vorspann. "Jedes IT-Produkt oder jeder Dienst beruhen auf einem oder mehreren Standards", heißt es in der aktuellen Variante im späteren Teil pauschal. Weiter hält die Fassung des Fahrplans (PDF-Datei), die das französische Online-Magazin PC Inpact veröffentlicht hat, allgemein fest: "Interoperabilität zwischen diesen Standards ist der einzige Weg, um unser Leben und die Geschäftsführung einfacher zu machen." Sie ebne den Weg in eine "echte digitale Gesellschaft".

Andererseits führt die Kommission mit dem Internet ein Beispiel an, wonach nicht das zunächst beschworene Zusammenspiel von Standards, sondern das der eigentlichen Techniken für die Interoperabilität entscheidend sei. Die "offene Architektur" des Netzes habe miteinander verknüpfte Geräte und Applikationen Milliarden Menschen zugänglich gemacht. Eine Lehre will die Brüsseler Behörde daraus aber nicht mehr ziehen. So sollen Behörden nur noch angehalten werden, die volle Bandbreite "relevanter Standards" beim Einkauf von Hard-, Software oder IT-Dienstleistungen auszuschöpfen. Das vorherige Eintreten für "offene Standards" in diesem Sektor ist einer Umschreibung gewichen, wonach Normen zu berücksichtigen seien, die von verschiedenen Ausrüstern implementiert werden könnten, mehr Wettbewerb erlaubten und Risiken der Abhängigkeit von einem Hersteller reduzieren könnten.

Aus dem Entwurf gestrichen haben die Verfasser zudem, dass Verbraucher und öffentliche sowie private Organisationen imstande sein sollten, "ihre digitalen Geräte und Programme einfach zusammenzuschließen". Als Schlüssel zur Förderung der Interoperabilität in der öffentlichen Verwaltung wird auf die geplante Annahme eine "ambitionierten" einschlägigen Strategie der Kommission verwiesen und auf die Fortentwicklung des European Interoperability Framework (EIF). Letztere wird von Open-Source-Vereinigungen aber bereits lautstark kritisiert, da damit eine Neudefinition offener Standards einhergehe. Laut einem Entwurf vom November 2009 sollten so auch patentierte und proprietäre Lösungen auf einer "Offenheitsskala" eingeordnet werden. Damit könnte nach Ansicht der Kritiker die Verwendbarkeit von freier Software in Verwaltungen deutlich eingeschränkt werden.

Für den britischen Open-Source-Blogger Glyn Moody stellt die jüngste Version der Agenda so eine reine "Blamage" dar. Sie zeige auf Kosten der EU-Bürger, wie stark die Kommission "bedeutenden Marktakteuren" wie Microsoft verhaftet bleibe und diesen allenfalls "Lizenzen für Interoperabilitätsinformationen" abverlangen wolle. Akzeptiert werden sollten auch "durchdringende Technologien", die nicht auf Standards basierten. Für große IT-Konzerne werde so sichergestellt, dass weiterhin Millionen für kostspielige Softwarelizenzen in ihre Taschen flössen. Brüssel müsse daher offenlegen, wem die in letzter Minute eingefügten Änderungen zu verdanken seien und welche Treffen mit Lobbyisten stattgefunden hätten.

Die Kommission will ihre digitale Agenda offiziell nächste Woche vorstellen. Im Einklang mit der "Granada-Strategie" der spanischen EU-Ratspräsidentschaft soll damit vor allem ein echter "digitaler Binnenmarkt" für Inhalte und Dienste geschaffen werden. Wie bereits im Vorfeld bekannt wurde, sollen bis 2013 alle EU-Bürger via Breitband Zugang zum Internet haben, in zehn Jahren mit einer Mindestgeschwindigkeit von 30 MBit/s. Weiter ist geplant, dass die Hälfte aller Haushalte 2020 mit mehr als 100 MBit/s surfen kann. Cybercrime soll schärfer bekämpft und mit erhöhten Datenschutzvorgaben Vertrauen in die Nutzung von Netzdiensten erzeugt werden. (jk)