P2P-Prozesse: Wieder ein Rückzieher der US-Musikindustrie

Der Verband der US-Musikindustrie zieht sich aus einem weiteren Filesharing-Prozess zurück, sieht sich aber weiter mit Gegenklagen konfrontiert.

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Die Klagewelle des Verbandes der US-Musikindustrie gegen vermeintliche Filesharer hat nicht alle Beschuldigten gleich überrollt. Einige der angeblichen Musikpiraten hatten die Hilfe guter Anwälte, die sich der Schleppnetztaktik der Recording Industry Association of America (RIAA) widersetzten. Einer der in der Öffentlichkeit bekannteren Fälle nimmt nun langsam ein gutes Ende – zumindest für die Beschuldigte Tanya Andersen. Für die RIAA ist die Angelegenheit dagegen noch nicht ausgestanden und könnte, wie zuletzt schon häufiger, noch schmerzhaft werden.

Andersen war – wie in diesen Verfahren üblich – als Inhaberin eines Telefonanschlusses verklagt worden, über den angeblich illegal Musik getauscht worden war. Die RIAA geht bei diesen Verfahren immer nach dem gleichen Muster vor: Ihre Experten oder eine Software liefern eine IP-Adresse, über die ein Musikstück in ein Filesharing-Netz gelangt ist. Mit einer Klage gegen Unbekannt erwirkt die Musikindustrie einen Beschluss, der den jeweiligen Provider zur Herausgabe des zu der IP gehörenden Anschlusses zwingt. Der Anschlussinhaber wird dann verklagt (oder auch jemand anders).

In diesem Fall war das Tanya Andersen. 2005 hat die RIAA Klage erhoben und warf der alleinerziehenden Mutter vor, unter anderem Gangsta Rap wie "Hoes in my Room" heruntergeladen zu haben. Andersen hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und, anstatt den angebotenen Vergleich zu akzeptieren, schließlich Gegenklage eingereicht. Die RIAA wollte Andersens 10-jährige Tochter vorladen, sie sollte ihre Mutter vor Gericht belasten. Schließlich ergab eine Untersuchung ihrer Festplatte durch einen Experten der Anklage keine Hinweise.

Jetzt hat die RIAA ihre Klage zurückgezogen – mit Rechtswirkung. Andersen ist damit auch von jeglichen Zweifeln befreit und braucht seitens der RIAA keine neuen Angriffe zu fürchten. Darüber hinaus versetzt ein solches dismissal with prejudice die Beklagte in die Lage, ihre Verfahrenskosten von der RIAA einzuklagen. Auch Andersens Gegenklage bleibt von der Einstellung des Ursprungsverfahrens unberührt. Sollte sich Andersen entschließen, ihre Prozesskosten einzuklagen, könnte sich das Verfahren allerdings weiter in die Länge ziehen. Im Fall Deborah Foster übte sich die RIAA nach Klageabweisung und Zuerkennung der Prozesskosten bis zuletzt in Rückzugsgefechten.

Denn für die RIAA ist so ein Ausgang eine harte Schlappe – schlimmer wäre nur ein negatives Urteil. Doch ist bei zunehmender Zahl der Gegenklagen und einigen weit fortgeschrittenen Verfahren nun mit wegweisenden Urteilen zu rechnen. Für die RIAA geht es längst um das gesamte Fundament ihrer Klagekampagne. In New York sitzt immer noch ein Richter über einer Entscheidung, die maßgeblich beeinflussen dürfte, ob die RIAA ihr Prozessmodell weiter verfolgen können wird. Richtig eng für den Verband wird es, wenn eine der Gegenkläger den vielfach erhobenen Vorwurf der wissentlich falschen Anklagen erhärten könnte. Aber dafür, so meint eine Anwältin, müsse man wohl einen Insider aus der Musikindustrie umdrehen.

Um das zunehmende Prozessrisiko zu vermeiden, sucht sich die US-Musikindustrie neue Wege jenseits der Gerichtssäle. Der Verband will Service-Provider und Universitäten zu seinen Bündnispartnern im Kampf gegen die Piraterie machen. Nicht immer stoßen die fragwürdigen Forderungen der RIAA nach Preisgabe der Nutzerdaten zu bestimmten IP-Adressen dabei auf Widerstand. Während sich an der Uni von Oklahoma eine Kanzlei der Sache angenommen hat und die Universität vorsorglich darauf hinwies, dass sie die Daten ihrer Studenten zu schützen habe, bis ein gerichtlicher Beschluss vorliegt, zieht man an der Elite-Uni Stanford mit: Sie klemmen ihre Studenten vom Internet ab, sollte es Beschwerden wie die von der RIAA geben, und berechnen ihnen für den Wiederanschluss eine saftige Gebühr.

Siehe dazu auch:

(vbr)