Wissing: Ohne Reform des Klimaschutzgesetzes drohen Fahrverbote

Bundesverkehrsminister Wissing drängt auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Andernfalls müsse der Straßenverkehr eingeschränkt werden.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 598 Kommentare lesen
Volker Wissing

Bundesverkehrsminister Volker Wissing drängt auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Eine Verlagerung auf die Bahn sei kurzfristig nicht möglich.

(Bild: Deutsche Bahn AG / Michael Neuhaus)

Lesezeit: 5 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

In der Bundesregierung bahnt sich ein Streit um den Klimaschutz an. Konkret geht es um eine Reform des Gesetzes, mithilfe dessen die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt werden sollen. Bislang gilt: Grundsätzlich muss jedes Ressort seine Ziele bei der CO₂-Reduzierung selbst erreichen. Verfehlt es diese, muss der zuständige Minister innerhalb von drei Monaten ein Maßnahmenpaket vorlegen, wie die CO₂-Vorgaben künftig erreicht werden können. In der Diskussion ist, eine Ressort-Kopplung aufzugeben und die Reduzierung insgesamt zu bilanzieren.

Das würde bedeuten: Wenn ein Ressort seine Ziele übererfüllt, kann ein anderes seine reißen, sofern man insgesamt auf dem Pfad bleibt. Grundsätzlich hat das Kabinett diese Reform im vergangenen Juni beschlossen, die erste Lesung im Bundestag war im September 2023. Strittig ist, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO₂-Einsparung verfehlt werden. Das ist im Verkehrssektor der Fall. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes.

Mit einer drastischen Warnung hat sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun an seine Kabinettskollegen gewandt. Um die nach dem aktuell noch geltenden Gesetz gültigen Klima-Sektorziele im Verkehr erreichen zu können, wäre eine deutliche Verringerung der Pkw- und Lkw-Fahrleistung notwendig. Diese wäre "nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich", schrieb er in einem Brief an die Fraktionschefs der Regierung. "Es wäre den Menschen kaum zu vermitteln, dass sie ihr Auto nur noch an fünf Wochentagen nutzen dürfen, obwohl wir die Klimaschutzziele in der Gesamtbetrachtung erreichen", warnt Wissing.

Grünen-Fraktionsvize Verlinden hielt dagegen, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, "ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen". Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, "wie etwa ein Tempolimit". Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen lehnen Wissing und die FDP strikt ab. "Ein Minister sollte nicht unbegründet Sorgen bei den Menschen schüren", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden der dpa. "Diese Behauptung ist schlichtweg falsch."

Kommentar zum Tempolimit

Die Sektorbetrachtung im derzeit geltenden Klimaschutzgesetz führe dazu, "dass wir 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente sofort einsparen müssten", sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk. "Und 'wir' sind in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind von Autoverkehr, von Lieferverkehr – im Grunde genommen jede und jeder von uns." Solche Einsparungen seien mit einem Tempolimit oder mit sonstigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sondern ad hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den Lkw, bekräftigte Wissing seinen Vorstoß.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace unterstützt die Sicht der Grünen und bezeichnete Wissings Vorgehen als politisches Armutszeugnis. "Der Verkehrsminister versucht so schamlos wie durchschaubar, mögliche Konsequenzen des eigenen Versagens in politischen Druck umzumünzen", sagte Clara Thompson von Greenpeace. "Zwei Jahre hat Wissing damit vergeudet, jede Klimaschutzmaßnahme im Straßenverkehr zu blockieren. Jetzt malt er Horrorszenarien an die Wand, um auch in Zukunft nichts tun zu müssen."

Wissing hält dagegen: Ein Tag Fahrverbot am Wochenende würde nur etwa die Hälfte der nötigen Einsparverpflichtungen bringen, "sodass wir also zwei Tage pro Woche dauerhaft und unbefristet verzichten müssten" auf Auto und Lkw. "Diejenigen wie Greenpeace und die Grünen, die immer sagen, das Klimaschutzgesetz muss aber so bleiben, wie es ist, die mögen jetzt erschrocken sein von den Konsequenzen ihrer Politik, aber man kann sich der Realität nicht einfach entziehen", wirbt Wissing für seine Sicht auf die Angelegenheit. Das Klimaschutzgesetz sei "einfach schlecht gemacht" und führe dazu, "dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, obwohl sie zur Erreichung der Klimaschutzziele nicht erforderlich sind".

Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich. Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am 15. April 2024 vorgelegt.

Sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, warnt Wissing in seinem Schreiben, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen. Unter flächendeckenden und unbefristeten Fahrverboten am Wochenende würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schrieb Wissing. Seine Warnungen wecken Erinnerungen an die autofreien Sonntage während der Ölkrise: Nachdem arabische Staaten ihre Ölproduktion 1973 vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Kriegs verknappt hatten, wurden an vier Sonntagen Fahrverbote in der Bundesrepublik verhängt.

(mfz)