Russlands "Tor zu den Sternen": Neues Kosmodrom wächst nur langsam

Lange war Pause auf Russlands modernstem Weltraumbahnhof Wostotschny. Nun startete zum zweiten Mal eine Rakete vom einzigen zivilen Kosmodrom im Riesenreich. Doch das Prestigeprojekt kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus.

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Russlands "Tor zu den Sternen": Neues Kosmodrom wächst nur langsam

Auch der zweite Start ist geglückt

(Bild: Roskosmos)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Thomas Körbel
  • dpa
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Diesmal hat Russlands Präsident Wladimir Putin nur aus der Ferne zugeschaut. Als am Dienstag eine Sojus-Rakete mit ihrem mächtigen Feuerschweif in den Himmel schoss, war für den neuen russischen Weltraumbahnhof Wostotschny rund 8000 Kilometer östlich von Moskau eine Wegmarke geschafft. Es ist erst das zweite Mal, dass eine Rakete mit einem Satelliten von Russlands modernstem "Tor zu den Sternen" abhob. Der Grund: Trotz der Eröffnung im April 2016 ist das Kosmodrom längst nicht fertig, und alte Probleme bremsen den Bau.

Schon beim Erststart vor anderthalb Jahren war nicht alles glatt gelaufen. Damals war Kremlchef Putin angereist, um die Feuerprobe für das Prestigeprojekt der russischen Raumfahrt abzunehmen. In letzter Minute wurde der Raketenstart wegen eines technischen Defekts um einen Tag verschoben. Putin blieb, rüffelte aber seine Funktionäre.

Zweiter Raketenstart vom Kosmodrom Wostotschny (17 Bilder)

(Bild: Roskosmos)

Denn Wostotschny gilt als "Jahrhundertprojekt", mit dem sich die stolze Raumfahrtnation fit machen will für die Zukunft. Mitten in der sibirischen Taiga haben Tausende Arbeiter auf 700 Quadratkilometern – einer Fläche fast so groß wie Hamburg – die Basis geschaffen für Russlands langfristigen Zugang zum Weltraum. Von hier aus soll bis etwa 2030 erstmals ein Russe zum Mond fliegen, später auch zum Mars.

Der Stolz der Ingenieure ist die Startrampe mit ihrem 52 Meter hohen Versorgungsturm. Auf Schienen schiebt er sich wie ein Schrank über die Rakete und bietet Technikern bei Extremtemperaturen zwischen gut minus 50 Grad Celsius im Winter und 40 Grad im Sommer Schutz.

Doch das viel gelobte "Schaufenster für ein modernes Russland" wird die Negativschlagzeilen nicht los. Arbeiter klagen seit Monaten über ausstehende Löhne. Mit 175 Millionen Rubel (2,5 Millionen Euro) stehen die Bauherren Berichten von Anfang November zufolge bei den Angestellten in der Kreide. Demonstrativ legten sechs Männer vorübergehend einen Hungerstreik ein. Daraufhin wurde ihnen Besserung versprochen.

Probleme mit Lohnzahlungen und Korruption hatten schon früher einen Schatten auf das Projekt geworfen und den Bau verzögert. Die Agentur Tass berichtet von umgerechnet mehr als 110 Millionen Euro, die im Boden der Taiga versickerten. Nach Dutzenden Strafprozessen wegen Veruntreuung sitzen mehrere Funktionäre in Haft. Wütend hatte Putin Schuldigen eine "harte Pritsche im Gefängnis" in Aussicht gestellt.

Warum die Politik bis hoch zum Kremlchef sich so für die Baustelle interessiert, liegt an der strategischen Bedeutung. Langfristig soll Wostotschny Russland unabhängig machen vom Kosmodrom Baikonur im zentralasiatischen Kasachstan. Moskau pachtet das Gelände in der Steppe für 115 Millionen US-Dollar im Jahr, von dem aus 1961 Juri Gagarin als erster Mensch ins All geflogen war. Wostotschny bietet eine Alternative auf russischem Boden. "Sobald alle geplanten Anlagen in Wostotschny einsatzbereit sind, wird Russland deshalb sein Engagement in Baikonur zurückfahren", meint der Experte Igor Marinin.

Vorerst bleibt Russland Baikonur aber treu. Derzeit fliegen nur von dort Menschen zur Internationalen Raumstation ISS, Plätze für Amerikaner und Europäer lässt sich Moskau gut bezahlen.

Aber auch in Wostotschny soll der Betrieb hochgefahren werden. Im Dezember soll die dritte Rakete mit einem Satelliten starten. Für 2018 sind drei Starts geplant, später bis zu zehn pro Jahr. Zwar sind bemannte Flüge auf viele Jahre noch nicht geplant, aber der Transport von Satelliten soll Millionen in die Kassen spülen. "Das soll unsere Marktposition stärken" und eine Modernisierung der Raumfahrtbehörde Roskosmos finanzieren, sagt Regierungschef Dmitri Medwedew.

Damit der Rubel in Zukunft rollt, laufen in Wostotschny die Arbeiten weiter auf Hochtouren. Erst eine von sieben Startrampen ist fertig. Bis 2021 soll die zweite einsatzbereit sein, die dritte bis 2028. Die Siedlung Uglegorsk mit einst 5000 Seelen wird zur Raumfahrer-Stadt Ziolkowski erweitert, wo das Personal des Kosmodroms leben soll. Platz für 20.000 Einwohner biete die neue Stadt schon, 25.000 seien angepeilt, sagt Gouverneur Alexander Koslow der Agentur Ria Nowosti.

Überhaupt sieht Koslow Wostotschny als wichtigen Wirtschaftsfaktor für das Gebiet Amur. "Seit 2012 haben wir aus der Planung, dem Bau und der Nutzung des Kosmodroms rund 2,5 Milliarden Rubel (36 Millionen Euro) Steuern erhalten", sagt er. Viel Geld für eine Region, die vor allem von Soja-Produktion und Goldförderung lebt. Doch Experten sind skeptisch: In Wostotschny werde zwar investiert, doch das meiste Geld komme vom Staat, nicht aus der Wirtschaft, sagt die Ökonomin Natalia Subarewitsch der Zeitung "Wedomosti". Das helfe der Region nur wenig.

[Update 28.11.2017 – 12:50 Uhr] Juri Gagarins historischer Flug fand 1961 statt. Die falsche Jahreszahl wurde korrigiert.

[Update 28.11.2017 – 20:25 Uhr] Eine Panne hat den Start überschattet. Es sei nicht gelungen, Kontakt zum Wettersatelliten "Meteor-M Nr. 2-1" herzustellen, teilte die Raumfahrtbehörde Roskosmos am Dienstag mit. Der Satellit habe die Zielumlaufbahn um die Erde nicht erreicht. Experten schlossen nicht aus, dass die Raketenoberstufe mit ihrer Ladung wieder auf die Erde gefallen sein könnte. (mho)