Siemens-Schutzanspruch wird "Softwarepatent des Jahres"

Das im Juli zum "Softwarepatent des Monats" gekürte Monopolrecht auf "mobiles Surfen" von Siemens hat bei der Endausscheidung das Rennen gemacht. Die Kampagne zur "Auszeichnung" schädlicher Patente soll fortgesetzt werden.

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Das im Juli zum "Softwarepatent des Monats" gekürte Monopolrecht auf "mobiles Surfen" von Siemens hat bei der Endausscheidung der Kampagne NoSoftwarePatents-Award das Rennen gemacht. Der in München beheimatete Konzern darf sich nun mit der wenig rühmlichen Auszeichnung schmücken, das "Softwarepatent des Jahres" in Besitz zu haben. Der weit gestrickte Patentanspruch mit der Nummer EP0836787, der sich auf ein "Verfahren zur Übertragung von Datenpaketen gemäß einem Paketdatendienst in einem für Sprach- und Datenübertragung vorgesehenen zellularen Mobilfunknetz" bezieht, erschien den meisten der insgesamt 2004 an der Endrunde beteiligten Surfern als besonders schädliches gewerbliches Schutzrecht. Das Siemens-Patent konnte mit 670 Stimmen ein Drittel der Beteiligten von seiner "Qualität" im Rahmen des Negativpreises überzeugen.

Mit 605 Stimmen war der Zweitplatzierte dem Siemenspatent knapp auf den Fersen: Mit dem Europäische Patent EP1056268 beansprucht Lucent Technologies Schutzrechte für das Versenden von E-Mails mit Anhängen. Es war zum "Softwarepatent des Monats Mai" gekürt worden. Insgesamt standen bei der finalen Abstimmung sieben Monatssieger der Informationskampagne zur Wahl, die von 1&1 Internet, GMX, MySQL, Red Hat, CAS und Jedox unterstützt wird und im kommenden Jahr fortgesetzt werden soll.

Von dem umstrittenen Siemens-Anspruch sehen die Ausrichter des Wettbewerbs neben mobilem Internet-Surfen und Datentransfer per WLAN auch die Verwendung des Mobiltelefons für Dienste wie E-Mail, SMS und MMS betroffen. Die Genehmigung des Monopolrechts durch das Europäische Patentamt (EPA) steht ihnen zufolge im Widerspruch zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), das Computerprogramme "als solche" von der Patentierbarkeit ausschließt. "Unsere Kampagne widerlegt das Argument, es handele sich bei diesem und weiteren erteilten europäischen Softwarepatenten um Ausnahmefälle", resümiert Kampagnenmanager Harald Talarczyk. Schätzungen zufolge habe das EPA mehr als 25.000 Softwarepatente genehmigt.

Auch unabhängig von der Ausschlussklausel im EPÜ sieht Joachim Henkel, Spezialist für Technologie- und Innovationsmanagement an der TU München, triftige Gründe gegen die Erteilung des Siemens-Patents. Aus seiner Sicht präsentiert die Patentschrift etwas, was sich "in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt" und daher generell nicht patentfähig ist. Der Professor sieht es etwa als naheliegend für Fachleute an, "die Logik elektronischer Regelkreise durch Software zu replizieren". Seiner Ansicht nach sollten auf solche "Erfindungen" daher keine Schutzrechte erteilt werden. Bei dem Monopolrecht von Siemens handle es sich lediglich um den Versuch, ein in Festnetzen gängiges Verfahren auf Mobilfunknetze zu übertragen. Ein mit solchen Ansprüchen mit vorangetriebenes "Patent-Wettrüsten" sei aber "scheinbar im Interesse der Anmelder". Vielmehr wäre "eine strenge Auslegung der Patentierbarkeitskriterien ­ ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob Software patentierbar sein sollte ­ im Interesse aller." Die verbreitete Annahme, mehr Patente würden mehr Innovation bedeuten, sei falsch.

Siemens hat eine Stellungnahme zum "Softwarepatent des Jahres 2006" genauso abgelehnt wie bereits zum vorausgegangenen Monatstitel. Der Konzern forciert seit mehreren Jahren massiv Anmeldungen von Softwarepatenten. Vor der Anmeldung in Europa erfolgt nach eigenen Angaben die Erstanmeldung entsprechender Schutzrechte in den USA, "da hier der Rechtsrahmen für Softwarepatente wegweisend" sei. Dies gelte "in noch stärkerem Maß bei Patenten für so genannte 'Geschäftsmodelle' oder vereinfacht Patente für Electronic-Business-Lösungen." Europaweit durchsetzbar werden könnten Schutzansprüche wie das auf den Datenaustausch per Mobiltelefon, fürchtet Talarczyk, wenn das von der EU-Kommission vorangetriebene Europäische Übereinkommen über Patentstreitigkeiten (EPLA) in der derzeitigen Fassung in Kraft träte.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)