"The Longing" angespielt: 400 Tage Einsamkeit

"The Longing" braucht 400 Echtzeit-Tage, bis man es durchgespielt hat. Der Mix aus Erkundung und Geduldsprobe sorgt für eine außergewöhnliche Spielerfahrung.

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The Longing angespielt: 400 Tage Einsamkeit

(Bild: heise online)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andreas Müller
Inhaltsverzeichnis

Mit "The Longing" von Studio Seufz erwartet die Spieler eines der ungewöhnlichsten Videospiele des Jahres. Als kleines Männchen erkunden sie 400 Tage in Echtzeit ein weit verzweigtes Höhlensystem und entdecken dabei verborgene Pfade und Geheimnisse. Das erfordert Neugier, Aufmerksamkeit und vor allem Geduld.

Kaum ist der König in seinem Thronsaal eingeschlafen, beginnt sein treuer Diener, ein sogenannter Schatten, eine Entdeckungsreise durch ein weit verzweigtes unterirdisches Reich. Eigentlich ein Unding, denn das Wort des Königs ist Gesetz und Neugier wird normalerweise bestraft. Noch dazu tickt die Uhr: 400 Echtzeit-Tage hat das Männchen Zeit für seine Erkundungstour, danach wacht der König wieder auf. Wird er dann wütend? Bestraft er den Schatten? Oder drückt er nur ein Auge zu? Ängstlich schlurft der Schatten durch die dunklen Gänge, sammelt Pilze, baut sich ein Bett oder lässt Moos wachsen. Ein gutes Gedächtnis hilft bei der Orientierung in dem verwirrenden Labyrinth.

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Das Stuttgarter Indie-Studio Seufz wagt in ihrem Spiel die maximale Entschleunigung der Videospielwelt. Satte 400 Tage in Echtzeit dauert ihr Abenteuer: Der Schatten rennt nicht, sondern bewegt sich fast so langsam wie eine Schnecke; beim Abbauen wertvoller Kristalle vergehen ein paar Minuten, eine Tür öffnet sich erst nach Stunden und bis genug Moos gewachsen ist, um einen Sturz aus großer Höhe abzufedern, braucht es gleich ein paar Tage. Zwischendurch kann man in aller Seelenruhe durch die Gänge schlurfen oder sich in seinem Sessel zurücklehnen, um ein Buch zu lesen – zur Auswahl stehen Literaturklassiker, die aus dem Project Gutenberg ins Spiel übernommen wurden. In der langsam wachsenden Bibliothek finden sich also tatsächlich Komplettausgaben wie Moby Dick.

Glücklicherweise geht das Spielgeschehen von The Longing auch dann weiter, wenn der Computer ausgeschaltet wird. Nicht umsonst bezeichnen die Entwickler ihr Spiel auch als "Idle Adventure Game". Ähnlich wie beim weit entfernten Genre-Verwandten der Cookie Clicker macht das Spiel keine Pause: Eine Pfütze wird zum kleinen See und eine kleine Spinne webt in stundenlanger Arbeit ihr Netz, während die Spieler eine Kaffeepause machen oder sich um ihren Alltag kümmern. Wer clever ist, verbringt die Zeit auch in einer kleinen Wohnhöhle, in der die Zeit viel schneller vergeht. Am Schluss wartet eines von vier Enden.

The Longing angespielt (5 Bilder)

In The Longing erkunden die Spieler wochenlang eine dunkle Höhle. Das erfordert vor allem viel Geduld. (Bild: heise online
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The Longing stellt nicht nur die Regeln des Idle-Genres auf den Kopf, sondern verbindet Elemente der Kyffhäusersage um den schlafenden König Barbarossa mit Themen wie Depression und Einsamkeit. Oft führt unser Schatten Selbstgespräche, in denen er sich Gedanken über sein angeblich nutzloses Leben macht, oder verzehrt sich in der Sehnsucht nach einem Freund. Die verzweigte Höhle wird zu einem einsamen, labyrinthartigen Gefängnis – jede Sackgasse gesellt sich zur Sammlung buchstäblicher "Enttäuschungen", die dem Schatten vielleicht über den Kopf wachsen. Am Ende stellt sich ihm die Frage, ob er sich dieser Düsternis hingibt oder ob er den Ausbruch an die Oberfläche wagt, um den dunklen Gedanken keinen Platz zu lassen.

The Longing von Studio Seufz ist ein experimentelles Spiel mit Genreregeln, das neugierige Spieler für ihre Geduld belohnt. Gerade weil teilweise Stunden vergehen, bis eine Tür sich öffnet, ist es enorm befriedigend, ein weiteres Geheimnis dieser geheimnisvollen Höhle zu lüften. Dieser Mix aus Erkundung und enormer Geduldsprobe ist mit keinem anderen Titel zu vergleichen und macht The Longing zu einer der ungewöhnlichsten Spielererfahrungen der letzten Jahre.

The Longing erscheint am 05. März als Download für Windows, Mac OS X und Linux. Es kostet ca. 15 €. USK nicht geprüft. Für unser Angespielt haben wir ein paar Stunden die Windows-Version gespielt. (dahe)