Thüringer Hochschulen wollen KI-Tools „nicht verteufeln“

Angesichts der rasanten Entwicklung von Large Language Models sucht der akademische Betrieb in Thüringen nach einem neuen Umgang mit ChatGPT & Co.

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Künstliche Intelligenz als Ghostwriter – Hochschulen suchen nach Wegen, damit umzugehen.

Künstliche Intelligenz als Ghostwriter ist für Hochschulen ein wachsendes Problem. In Thüringen versucht man, mithilfe neuer Leitlinien einen konstruktiven Umgang mit der sich rasch weiterentwickelnden Technik zu finden.

(Bild: KI Midjourney / Bearbeitung: c’t)

Lesezeit: 4 Min.
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Dass insbesondere ChatGPT gelegentlich als Ghostwriter für studentische Leistungsnachweise herhält, ist bereits gerichtsbekannt: So hat etwa das Verwaltungsgericht München (VG) Ende 2023 den Ausschluss eines Studenten vom Bewerbungsverfahren für einen Masterstudiengang der Technischen Universität (TUM) am Ort bestätigt. Der eingereichte englischsprachige Bewerbungs-Essay des Mannes war erst einer Erkennungssoftware und dann auch zwei nachprüfenden Professoren als sehr wahrscheinliches ChatGPT-Produkt aufgefallen. Der VG-Beschluss ist inzwischen rechtskräftig.

Hochschulen kommen zunehmend in Schwierigkeiten, wenn es darum geht, KI-gestützte Täuschungsversuche zu entlarven. Noch liefert gängige Plagiatfindungssoftware wie im Münchner Fall Indizien, denen Fachleute dann genauer nachgehen können. Allerdings sind Verantwortliche in Forschung und Lehre realistisch genug, diesen Kampf für die Zukunft als nicht wirklich aussichtsreich zu betrachten. Neue, faire Konzepte sind gefragt.

So suchen Hochschulen in Thüringen gemeinsam nach einem neuen Umgang mit der Technik und erarbeiten eine Art Leitlinie dafür. Wie es aussieht, müssen Studierende sich künftig zumindest in etlichen Fachbereichen auf andere Prüfungsformen einstellen als bisher. Steffen Teichert, Präsident der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena und stellvertretender Vorsitzender der Landespräsidentenkonferenz, der zugleich Mitglied im Verbandsrat des Deutschen Studierendenwerks (DSW) ist, kündigte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur an: „Die mündliche Prüfung wird wieder eine stärkere Rolle spielen müssen.“ Ein Verbot von Programmen wie ChatGPT sei jedoch der "komplett falsche Weg".

Steffen Teichert, Präsident der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena, glaubt, dass es früher oder später gelingt, das Unwesen von unrechtmäßigem KI-Ghostwriting wieder „einzufangen“.

(Bild: Kay Herschelmann)

Das gewachsene Risiko von Täuschungsversuchen ist Teichert durchaus bewusst. Er sagt, die Hürden, sich eine Arbeit schreiben zu lassen, seien mit KI gesunken. Allerdings habe es das Phänomen Ghostwriting schon immer gegeben. Es sei nunmehr schwerer geworden, das Vorspiegeln eigener Leistung nachzuweisen. „Ich denke, dass wir jetzt vielleicht ein, zwei Jahre eine Generation von Studierenden haben, die, wenn sie flink sind, einen Vorteil daraus
ziehen, massiv. Ich gehe aber davon aus, dass wir dann die Dinge eingefangen haben.“

Es sei notwendig, dem Phänomen KI auf eine neue Weise zu begegnen. „Wir sollten unseren jungen Leuten beibringen, gut und kritisch mit diesen Instrumenten umzugehen“, so Teichert weiter. Bis das umgesetzt werde, dauere es aber noch. Kai-Uwe Sattler schlägt in dieselbe Kerbe. Der Informatiker ist Präsident der Technischen Universität Ilmenau und zugleich Vorsitzender der Landespräsidentenkonferenz, des Zusammenschlusses der zehn staatlichen Hochschulen in Thüringen. „Wenn ich große Teile einer Arbeit von ChatGPT schreiben lasse, dann muss ich das eben kennzeichnen und das ist dann wie ein Zitat.“

Das Problem von ChatGPT als Schummelhelfer stellt sich je nach Fachbereich höchst unterschiedlich dar, wie Sattler betont. Letztlich gehe es darum, Kompetenzen zu prüfen. Da könnten etwa Präsentationen, Projekte oder mündliche Prüfungen wichtigere Rollen spielen als die schriftliche Ausarbeitung.

Kay-Uwe Sattler, Präsident der technischen Hochschule (TU) Ilmenau, weist darauf hin, dass akademische Lsistungsnachweise nicht nur in schriftlichen Ausarbeitungen bestehen.

(Bild: TU Ilmenau)

Gebiete, in denen es vor allem um das Schreiben gehe, hätten mit dem unrechtmäßigen KI-Einsatz eher Probleme als andere, räumte Sattler ein. Weniger betroffen seien etwa Ingenieurswissenschaften, bei denen schriftliche Ausarbeitungen nur einen Teil der zu erbringenden Leistungsnachweise darstellten.

Wie ein Weg zur positiven Einbindung generativer KI im akademischen Bereich aussehen kann, zeigt die private Internationale Hochschule (IU) mit Sitz in Erfurt. Sie bietet an 39 Standorten sowie online an einem virtuellen Campus duale Studiengänge an, deren Fachgebiete von Agrarmanagement über Elektrotechnik bis Wirtschaftspsychologie reichen. Ihre deutschlandweit 100.000 Studierenden können bereits seit Herbst 2023 auf einen von der IU entwickelten KI-Lernassistenten zugreifen. Dieser gebe in Sekundenschnelle Antworten auf individuell gestellte Fragen zu prüfungsrelevantem Lernstoff und passe sich dem Lernrhythmus der Studierenden an, freuen sich Vertreter der Hochschule. Außerdem erfasse die KI den Lernfortschritt der Studierenden. Damit sieht sich die IU deutschlandweit als Vorreiter.

Der von den Thüringern verfolgte Ansatz, die sich rasant entwickelnde Technik positiv einzubinden und sie im Prüfungskontext aus der Schummelecke herauszuholen, erscheint auch anderswo attraktiv. Schon sind spezielle Dienstleister mit Softwareplattformen für faire KI-Nutzung am Start, die etwa ChatGPT in akademische Workflows integrieren und den Einsatz des Large Language Models dabei minutiös dokumentieren.

(psz)