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US-Republikaner sind sauer auf Facebook, Google, Twitter

Daniel AJ Sokolov
Mark Zuckerberg in Anzug, dahinter Topfpflanze

Facebook-Chef Mark Zuckerberg nahm wie seine Kollegen Jack Dorsey und Sundar Pichai per Videolink an der Senatsanhörung teil.

(Bild: Screenshot)

Republikaner behaupten, von Online-Plattformen benachteiligt zu werden. Die drei Größten Plattformen wollen das Problem abschieben, auf unterschiedlichen Wegen.

"Wir haben realisiert, dass wir Vertrauen stärker verdienen müssen", sagte Twitter-Chef Jack Dorsey am Mittwoch in einer Anhörung im US-Senat, "Wir haben festgestellt, dass wir Rechenschaft legen müssen, um unsere Absichten und die Resultate zu zeigen". Dorsey machte dazu drei Vorschläge: Erstens sollen soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook offenlegen, nach welchen internen Regeln sie moderieren.

Zweitens soll es praktikable Berufungsmöglichkeiten gegen Moderationsentscheidungen geben. Und drittens sollen die User selbst Algorithmen mitbringen können, die Inhalte für sie auswählen und sortieren. Mit diesen Vorschlägen versuchte Dorsey, den Senatoren Wind aus den Segeln zu nehmen.

Denn insbesondere die Republikanischen Senatoren waren aufgebracht. Sie beschuldigen Online-Plattformen wie Facebook, Google und Twitter, linke Nutzer und deren Äußerung gegenüber rechten zu bevorzugen. Als Reaktion möchten Republikaner US-Recht ändern und mehr Regulierung einführen, auch wenn der Republikanische Senator John Tune eingestand, dass es nicht gelungen sei, parteiisches Vorgehen der Betreiber zu beweisen.

Diese selbst betonen, ihre Regeln neutral durchzusetzen, ohne Ansehen der politischen Einstellung der User oder Werbetreibenden. Parteilichkeit wäre schlecht für das Geschäft. Fast vier Stunden lang stellten sich Dorsey sowie Mark Zuckerberg (Facebook) und Sundar Pichai (Google-Mutter Alphabet) am Mittwoch den Vorwürfen und Fragen der Senatoren.

Republikanische Senatoren haben mindestens sechs Gesetzesanträge zur Regulierung der Online-Plattformen eingebracht. Dazu kommt ein Gesetzesvorschlag der US-Regierung, die nicht nur Webhoster, sondern auch User häufiger haftbar machen [1] möchte. Präsident Donald Trump selbst hat im Mai Behörden auf Facebook, Google und Twitter angesetzt und angeordnet, die bestehende Haftungsbefreiung für Webhoster hinkünftig einschränkend auszulegen.

Diese Haftungsbefreiung ist als Section 230 bekannt. Sie schützt interaktive Onlinedienste, die von Nutzern generierte Inhalte verbreiten, unter bestimmten Voraussetzungen davor für diese Inhalte verantwortlich gemacht zu werden. Schließlich ist es Bing, Facebook, Google, Twitter und Co. unmöglich, jedes Posting eines Users vor Veröffentlichung auf Wahrheitsgehalt oder mögliche Rechtswidrigkeit zu überprüfen. Es gibt aber Ausnahmen, etwa bei Copyrightverletzungen oder Verweisen auf Prostitution, die gelöscht werden müssen.

Zweitens schützt Section 230 Betreiber, die mit guten Absichten moderieren und von Nutzern hochgeladene Inhalte löschen. Tritt der Betreiber allerdings darüber hinaus als Redakteur auf, verliert er die Immunität. Das Gesetz soll keine Herausgeber schützen, die eigene Inhalte veröffentlichen. Die Regulierungsbehörde FCC ist bereits dabei, durch eine Umdeutung der Section 230 Suchmaschinen und Soziale Netzwerke zu regulieren [2]. Ob die FCC das darf, ist umstritten.

Ebenfalls umstritten ist, wie die Grenze zwischen zulässiger Moderation und unzulässiger Redigierung zu ziehen ist. Während Republikaner eine Änderung der Zensur zu ihren Gunsten fordern und bereits das Einblenden von Hinweisen auf Fakten bei zweifelhaften Postings als unzulässige "Zensur" brandmarken, wollen die Demokraten mehr Zensur. Sie sind der Auffassung, die Plattformbetreiber ließen viel zu viel schädliche Postings durchgehen, weil sie die Kassen füllten – und weil sie sich von Republikanischen Drohungen dazu drängen ließen.

Offiziell war die Anhörung am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss des US-Senats dieser Section 230 gewidmet. Twitter-Chef Dorsey hat drei mögliche Wege vorgeschlagen: Eine "Erweiterung" der Section 230, ganz neue Gesetze oder Selbstregulierung der Branche.

Näher ging er darauf nicht ein, sondern konzentrierte sich auf seine Ideen transparenterer Entscheidungen, Berufungsmöglichkeiten und die Freigabe sozialer Netzwerke für Algorithmen Dritter. Nach eigenen Angaben gewährt er bereits jetzt die Möglichkeit, Twitter ohne algorithmische Filter zu nutzen, indem sich die User Tweets antichronologisch anzeigen lassen können.

Mark Zuckerberg ist grundsätzlich offen für neue Regulierung und bietet stets seine Mitarbeit bei der Formulierung neuer Regeln an. Ganz verzichten möchte er auf Section 230 aber nicht. Denn ohne Section 230 könnten Plattformen für grundlegende Moderation wie das Löschen belästigender Postings verantwortlich gemacht werden.

Zuckerberg bemühte das Patriotismusargument: Die Haftungsbefreiung sei ein Vorteil für amerikanische Unternehmen im Wettbewerb mit ausländischen Mitbewerbern und solle nicht aufgegeben werden. Insbesondere Start-ups könnten sich ohne Section 230 kostspieliger Gerichtsverfahren nicht erwehren und würden nie zu erfolgreichen Konzernen wachsen.

Zudem betonte Zuckerberg die Fortschritte der Branche: Künstliche Intelligenz helfe immer mehr bei der Moderation, und es gebe wesentlich mehr Datenaustausch zwischen den Plattformen, mit US-Polizeibehörden und mit US-Geheimdiensten. Auch Pichai betonte, dass Google die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten schätze, und dass die Zusammenarbeit ausgebaut werde.

"Die Inhalte sind sehr dynamisch. Jede Minute werden 500 Stunden neuer Videos hochgeladen. 15 Prozent der Suchanfragen haben wir noch nie vorher gesehen", schilderte Pichai, "Vor einigen Jahren hatten wir ein Thema mit Jugendlichen, die Tide Pods gegessen [3] haben. Das hat real geschadet."

"Wenn wir solchen Situationen begegnen, sind wir (dank Section 230) in der Lage, mit Bestimmtheit zu reagieren und unsere User zu schützen", erklärte der Alphabet-Chef, "Beim Attentat von Christchurch gab es einen Schützen, der furchtbare Bilder live gestreamt hat. Es war ein lehrreicher Moment für uns alle. Wir waren in der Lage, mit Bestimmtheit einzugreifen." Section 230 gewährleiste diese Flexibilität zum Nutzerschutz.

Alle drei vorgeladenen Herren stimmten zu, dass Nutzer ein Recht auf Auskunft über den Grund sowie Berufungsmöglichkeit gegen sie betreffende Moderationsentscheidungen haben sollten.

Die republikanische Senatorin Marsha Blackburn ließ mit der Beschwerde über einen namentlich genannten Google-Mitarbeiter aufhorchen. Er habe "sehr unfreundliche Dinge" über sie gesagt, weshalb sie wissen wolle, ob Google ihn schon gefeuert habe. Sundar Pichai gab zu Protokoll, nicht zu wissen, ob der Mann gegenwärtig bei Google arbeite.

Zuckerberg wich der Frage, ob US-Regulierungsbehörden schon bei einem ersten Verstoß gegen US-Recht Strafen verhängen dürfen sollten, aus. Derzeit dürfen sie frühestens bei einem zweiten festgestellten Verstoß strafen. Dorsey wiederum wich der Frage aus, ob die Reichweite oder Followerzahl eines Twitter-Kontos ein Faktor bei Zensurentscheidungen sei.

Tammy Duckworth

Senatorin Tammy Duckworth ist die erste in Thailand geborene Person und die erste Frau mit Behinderung die ins US-Parlament gewählt wurde.

(Bild: US Senate (gemeinfrei))

Zu fortgeschrittener Stunde ließ die demokratische Senatorin Tammy Duckworth mit einer Brandrede aufhorchen: Die Republikaner würden die nationale Sicherheit unterminieren, indem sie die Aktionen ausländischer Regierungen in sozialen Netzwerken kleinredeten. "Unsere Demokratie steht jetzt unter Attacke. (…) Unsere Gegner wissen, dass sie uns noch immer nicht auf einem herkömmlichen Schlachtfeld besiegen können."

Die effiziente Arbeit der US-Militärs und -Geheimdienste bringe die Gegner dazu, nach alternativen Wegen zu suchen, die USA anzugreifen: "Soziale Netzwerke haben das Leben der Amerikaner so durchdrungen, dass sie als Waffe zur Manipulation des öffentlichen Diskurses und zur Destabilisierung unserer Institutionen genutzt werden können." Den Betreibern der Plattformen sei aber nicht zu trauen, weil sie Patriotismus nicht über Profit stellten.

Die Situation sei heute noch viel schlimmer, als vor vier Jahren. "Durch Ermunterung russischen illegalen Hackings, und indem sie von ausländischen Geheimdiensten ausgedachte Falschinformationen verbreiten und fördern und fälschlich Zensur behaupten, wenn verantwortungsvolle Akteure (eingreifen), beleidigen Republikanische Senatoren die Anstrengungen echter Patrioten", sagte die ehemalige Soldatin, die im Afghanistan-Krieg beide Beine verloren hat.

Es sei nun Aufgabe der Betreiber sozialer Netzwerke, ausländischer Falschinformation und Propaganda entgegenzutreten. "Jeder von Ihnen wird vom Präsidenten, Republikanischen Senatoren und rechten Medien angegriffen werden", sagte sie zu Dorsey, Pichai und Zuckerberg, "Aber Sie haben die Pflicht, das Richtige zu tun. Weil Fakten noch immer existieren. Weil Fakten immer noch wichtig sind. Weil Fakten Leben retten."

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[1] https://www.heise.de/news/US-Regierung-moechte-Webhoster-und-User-haeufiger-haftbar-machen-4910528.html
[2] https://www.heise.de/news/US-Behoerde-moechte-Suchmaschinen-und-Soziale-Netzwerke-regulieren-4930256.html
[3] https://www.heise.de/news/YouTube-verbietet-gefaehrliche-Challenges-und-Pranks-in-Videos-4278496.html
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