USA: Netzneutralität wird abgeschafft

Die Netzneutralität in den USA wird abgeschafft. Das hat die US-Regulierungsbehörde FCC in Washington, DC, mit 3:2 Stimmen beschlossen. Beide Parteien bemühten die Internet-Freiheit als Argument.

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Blaues Ethernetkabel

(Bild: Gemeinfrei)

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Mit 3:2 Stimmen wurde am Donnerstag in den USA die Abschaffung der Netzneutralität beschlossen. Die Abstimmung der Regulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission) erfolgte um 13:12 Uhr Ortszeit (19:12 Uhr MEZ) in der Hauptstadt Washington, DC. Zuvor war die Sitzung "auf Anraten des Sicherheitsdienstes" für etwa eine Viertelstunde unterbrochen gewesen.

Sonst gab es keine Überraschungen: Die drei Republikanischen Kommissare stimmten dafür, die beiden Demokratinnen in der Kommission dagegen. Beide Seiten beriefen sich darauf, damit die Internet-Freiheit zu schützen. Unmittelbar im Anschluss an die historische Abstimmung über die Netzneutralität wurde die Sitzung zu anderen Tagesordnungspunkten fortgesetzt.

[Update 20:50 Uhr]

Screenshot der Liveübertragung der Rede Jessica Rosenworcels (mit Untertiteln)

(Bild: Screenshot)

Sowohl Befürworter als auch Gegner der Netzneutralität beriefen sich darauf, mit ihrer Stimme die Internet-Freiheit zu schützen. "Netzneutralität ist Internet-Freiheit", sagte die Demokratin Jessica Rosenworcel, "Ich unterstütze diese Freiheit. Ich stelle mich gegen diese voreilige Entscheidung, die Regeln über die Netzneutralität zurückzunehmen. Ich stelle mich gegen das korrumpierte Verfahren, das uns an diesen Punkt gebracht hat. Und ich stelle mich gegen die Missachtung, die diese Behörde gegenüber den Bürgern zum Ausdruck gebracht hat, indem sie heute diesen Weg beschreitet."

"Diese Entscheidung stellt die Federal Communications Commission auf die falsche Seite der Geschichte, die falsche Seite des Rechts und die falsche Seite der amerikanischen Öffentlichkeit", fuhr Rosenworcel fort. Sie kritisierte, dass es in dem Verfahren kein einziges öffentliches Hearing gegeben habe. Dabei handle es sich mit 24 Millionen Stellungnahmen um das mit Abstand aufsehenerregendste Verfahren der Geschichte der FCC.

Und das Verfahren sei nicht korrekt verlaufen: Zwei Millionen Eingaben seien mit gestohlenen Identitäten eingereicht worden, eine halbe Million weise russische E-Mail-Adressen auf, und 50.000 Stellungnahmen würden ohne Erklärung fehlen. Der Wettbewerb werde US-Verbraucher nicht vor einer Übervorteilung durch Internetprovider (ISP) schützen: "Die Statistiken der FCC selbst zeigen, dass am Markt kein Wettbewerb herrscht. Die Hälfte aller Haushalte in diesem Land hat keine Auswahl zwischen mehreren Anbietern."

Netzneutralität

Netzneutralität bedeutet, dass Inhalte im Internet gleichberechtigt ihren Weg finden. Vor allem Provider und Carrier wollen aber beispielsweise für Videos extra zu bezahlende Überholspuren einbauen. Für User entstünde ohne Netzneutralität ein Zweiklassen-Internet.

Vorsitzender Pai bezeichnete die 2015 beschlossene Netzneutralität als Fehler. Es habe überhaupt kein zu lösendes Problem gegeben. Die Bürger hätten sich nicht über blockierte Inhalte beschwert, sondern über fehlenden Zugang oder zu geringen Wettbewerb. Und die Regulierung habe dazu geführt, dass "die Investitionen in Breitbandnetze um Milliarden von Dollar zurückgegangen sind." Vor allem kleinere Anbieter seien mit den Regeln überfordert.

Die wahre Bedrohung für das Offene Internet seien nicht die Zugangsprovider sondern Diensteanbieter, darunter das Silicon Valley, das sich für die Netzneutralität einsetzt: "Wie entscheidet ein Unternehmen, das Video einer [Politikerin] zu beschränken, weil es ihre Ansichten [...] für zu 'aufstachelnd' hält? Wie entscheidet ein Unternehmen [politischen Videos ohne Vorwarnung die Werbeeinnahmen zu entziehen]? Wie blockiert ein Unternehmen ausdrücklich den Zugriff auf Webseiten mit Geräten der Konkurrenz [...]? Wie entscheidet ein Unternehmen, eine App für Zigarrenliebhaber von seinem App-Store auszuschließen, weil es glaubt, dass die App Tabakgenuss bewirbt?"

"Sie haben keinen Einblick in irgendeine dieser Entscheidungen, und ich auch nicht", setzte Pai fort, "Aber das sind reale, wirkliche Bedrohungen für ein Offenes Internet – von genau den Einrichtungen, die behaupten, es zu unterstützen." Und auch Werbetweets oder Accelerated Mobile Pages (AMP) seine eine Form bezahlter Bevorrangung.

Screenshot der Liveübertragung der Rede Ajit Pais (mit Untertiteln)

(Bild: Screenshot)

Der Vorsitzende versuchte aber auch, die Gemüter zu beruhigen: "Nach der heutigen Abstimmung werden die Amerikaner nach wie vor die Webseiten aufrufen können, die sie wollen. Sie werden immer noch jene Dienste in Anspruch nehmen können, die sie möchten. Es wird immer noch Polizisten im Dienst geben, die das Freie und Offene Internet schützen." Damit verwies er auf die Handelsaufsicht FTC, die sich seiner Meinung nach um Verbraucher- und Datenschutz im Internet kümmern soll. (Dabei ist unklar, ob die FTC das überhaupt darf. Anmerkung.)

"So waren die Dinge vor 2015, und so werden sie wieder sein", meinte Pai. Zur Untermauerung berief er sich auf den ehemaligen FTC-Vorsitzenden Jon Leibowitz, einen Demokraten. Leibowitz hatte in am Dienstag in einem Kommentar im Wall Street Journal zu mehr Gelassenheit bezüglich der Netzneutralität aufgerufen: "Der Himmel fällt nicht herunter. Die Verbraucher werden weiterhin geschützt sein, und das Internet wird aufblühen."

Mit dem Beschluss werden die Drei Gebote der Netzneutralität sowie die Wohlverhaltensregel für Breitband-ISP abgeschafft. Soweit es die FCC anbelangt, können die Netzbetreiber praktisch tun und lassen, was sie wollen, solange sie es offenlegen oder der FCC mitteilen, die es dann auf ihre Webseite stellt.

Mehr Infos

Doch die FCC entledigt sich nicht nur der Regeln, sondern auch ihrer Kompetenz, solche Regeln aufzustellen. Gleichzeitig untersagt sie den Bundesstaaten und Kommunen, die Netzneutralität durch eigene Vorschriften lokal einzuführen. Abgeschafft wird zudem der Ombudsmann für das Offene Internet.

Der FCC-Beschluss vom Donnerstag wird in den kommenden Wochen im US-Amtsblatt Federal Register veröffentlicht werden. 60 Tage danach tritt der Großteil der Änderungen in Kraft – sofern nicht ein US-Gericht eine gegenteilige Einstweilige Verfügung erlässt. Entsprechende Klagen von Befürwortern der Netzneutralität wurden bereits angekündigt.

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(ds)