Urheberrecht: Webseiten-Betreiber haftet nicht für Internet Archive

Eine Stadt muss bestimmte Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Webseite unterlassen. Doch die Wayback Machine hat eine Kopie. Das macht Richtern Arbeit.​

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Statue der Justizia

(Bild: nepool/Shutterstock.com)

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Wenn von der Webseite einer deutschen Stadt gelöschte Bilder noch bei der Wayback Machine des Internet Archive zu finden sind, ist das der Stadt nicht anzulasten. Zu diesem Schluss kommen Nürnberger Gerichte. Unter Umständen müssen Webseitenbetreiber zwar auf das Internet Archive einwirken und Datenlöschung begehren; doch wenn das nicht fruchtet, haften sie nicht. Anlass des Verfahrens war die Klage eines Stadtplandienstes, dessen Urheberrecht die Stadt einst verletzt hat.

Die Kleinstadt stellte vor Jahren Einsatzpläne für Feuerwehr und Katastrophenschutz online, in denen Kartenausschnitte enthalten waren, an denen der Stadtplandienst die Rechte hält. Lizenz erwirkte die Stadt keine. Diese Urheberrechtsverletzung kam teuer: Die Stadt musste in einem gerichtlichen Vergleich mehr als 19.000 Euro an den Stadtplandienst zahlen. Außerdem löschte die Stadt die Einsatzpläne aus dem Content Management System ihrer Webseite und gab 2021 per Fax eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Zusätzlich ersuchte die Stadt das Internet Archive, die einschlägigen Dokumente aus der Wayback Machine zu entfernen. Das Internet Archive kam diese Bitte jedoch nicht nach. Wer die genaue URL der Dokumente kennt – samt Kombination aus Buchstaben und Zahlen – kann also weiterhin Archivkopien in der Wayback Machine des Internet Archive abrufen.

Das erregte den Unmut des Stadtplandienstes. Dieser störte sich überdies daran, dass bei Eingabe ganz bestimmter Dokumentenbezeichnungen bei zwei großen Suchmaschinen Hyperlinks auf die Homepage der Stadt (nicht aber zu den Dokumenten mit den Kartenausschnitten, die ja bereits gelöscht sind) auftauchten. Der Verlag sah mehrfache Verstöße gegen die Unterlassungserklärung und verklagte die Stadt auf Zahlung zweier Vertragsstrafen in Höhe von jeweils 4050 Euro.

Nach einer Niederlage beim Landgericht Nürnberg-Fürth (Az. Az. 19 O 6791/22) im Oktober legte der Stadtplandienst Rechtsmittel ein. Doch auch das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) sieht keine Verletzung der Unterlassungserklärung durch die belangte Stadt – und das nicht nur, weil die Stadt nicht Betreiberin der Wayback Machine ist (Az. 3 U 2291/23). Die Begründung liest sich wie eine Lehrstunde in Urheberrecht. Der Senat erklärt die Rechte der öffentlichen Wiedergabe, der öffentlichen Zugänglichmachung, die Auslegungsmaßstäbe für Unterlassungserklärungen sowie die daraus folgenden Pflichten.

Laut deutscher Rechtsprechung erfordert öffentliche Wiedergabe eine bewusste Dienstleistung des Wiedergebenden gegenüber einem möglichen Empfängerkreis; das setzt voraus, dass der Wiedergebende Dritten in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu einem geschützten Werk verschafft und dabei eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten erreichen möchte.

Die konkrete Unterlassungserklärung folgte dem Wortlaut des deutschen Urheberrechts; entsprechend ist damit eben eine Unterlassung der öffentlichen Wiedergabe (und deren Sonderfall öffentliche Zugänglichmachung) geschuldet. Handeln des Internet Archive ist aber nicht Handeln der Stadt.

Unter Umständen ist zusätzlich gefordert, dass der Unterlassungsschuldner auch auf Dritte einwirkt. Das gilt dann, wenn er mit Verstößen Dritter ernstlich rechnen muss, ihm deren Verstöße wirtschaftlich zugutekommen, und er rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat. Wer beispielsweise zur Anpreisung einer Ebay-Auktion ein fremdes Foto verwendet hat und dafür später eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, muss außerdem bei Ebay die Löschung des Fotos aus dem Archiv "beendeter Auktionen" beantragen.

Im vorliegenden Fall hat die Stadt aber keinen wirtschaftlichen Vorteil, wenn die Wayback Machine Stadtplanausschnitte bereithält. Die Beklagte wäre also nicht verpflichtet gewesen, das Internet Archive zu kontaktieren.

Doch selbst die Abrufbarkeit bei der Wayback Machine ist für das OLG keine öffentliche Zugänglichmachung. Zwar sind die fremden Bilder dort verfügbar, aber nur, wenn man die exakte URL kennt, die sich nicht von selbst ergibt, sondern eine eigentümliche Kombination aus Buchstaben und Zahlen enthält. Damit könnten nur Leute, die die einstige URL der Stadtwebseite gespeichert haben, bei der Wayback Machine fündig werden. Und das seien so wenige, dass es sich nicht um Öffentlichkeit handle.

Ähnliches gilt für die Suchergebnisse bei den großen Suchmaschinen. Selbst wenn darüber Kartenmaterial zu finden wäre – was offenbar nicht der Fall ist –, müsste man dort die exakten Bezeichnungen der Einsatzpläne eingeben, nicht aber den Namen der Stadt. Die namentliche Existenz der Einsatzpläne dürfte aber nur einer ganz kleinen, speziellen Gruppe (örtlichen Feuerwehr- und Katastrophenschutzmitarbeitern) bekannt sein. Also liegt auch hier keine Öffentlichkeit im Sinne des Urheberrechts vor. "Es ist auszuschließen, dass Dritte in nennenswerter Zahl von der Möglichkeit des Abrufs Gebrauch machen, weshalb jegliche Relevanz für den Urheber und dessen Möglichkeit, sein Werk wirtschaftlich zu verwerten, fehlt", halten die Richter fest.

All das könnte ein mit Obiter Dicta angereichtertes Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg sein, ist es aber nicht. Vielmehr weist der Richtersenat in Form einer Hinweisbekanntmachung auf seine Rechtsansicht hin und legt dem Stadtplandienst nahe, seine Berufung doch zurückzuziehen. Denn das ist billiger: "Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren."

(ds)