Urheberrechtsreform: YouTube warnt vor Verlust der "Speakers' Corner" im Netz

In der Debatte über die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie malt YouTube den "Worst Case" aus, dass die Plattform zu einem Netflix oder Spotify wird.

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Urheberrechtsreform: YouTube warnt vor Verlust der "Speakers' Corner" im Netz

(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

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Die Google-Tochter YouTube sieht die Rechteinhaber nach der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform in der Pflicht, möglichst genaue Informationen über zu sperrende Inhalte zu liefern. "Wir brauchen superpräzise Daten, damit die Rechtezuordnung hundertprozentig korrekt ist", betonte Georg Nolte, Justiziar von Google Deutschland, am Donnerstag in Berlin bei einer Diskussionsrunde der Fraktion der Grünen im Bundestag. Die Provider müssten genau wissen, "was von uns verlangt wird".

Der besonders umkämpfte Artikel 17 der neuen Richtlinie, der das Haftungsregime für Betreiber von Plattformen "für das Teilen von Online-Inhalten" verschärft, ist Nolte zufolge prinzipiell auf ein "abschreckendes Modell" auch mit einer möglichen strafrechtlichen Verantwortung und Schadenersatz ausgelegt. Jeder erfasste Anbieter werde daher im Zweifel ohne genaue Hinweise der Rechteinhaber eher "mehr sperren, um der Haftung zu entgehen". Im schlimmsten Fall würden so "nur noch kommerzielle Inhalte auf der Plattform" landen, YouTube verkäme zu einem zweiten "Netflix oder Spotify".

Der Charakter des Videoportals als "Speakers' Corner, also als einer Art Freisprechanlage fürs Internet, ginge damit verloren, warnte der Jurist. Dem stehe aber ein anderer Absatz in Artikel 17 entgegen, wonach die Offenheit von Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten und die damit verbundene "erhebliche Demokratisierung kultureller Güter" weiter ermöglicht werden solle. Der EU-Gesetzgeber fordere damit offenbar "die Quadratur des Kreises".

Für die großen Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften ändert sich laut Nolte mit der Novelle wenig. Mit diesen habe YouTube schon Lizenzverträge in mittlerweile 140 Ländern abgeschlossen. Die Musikverwerter der Gema seien hier "lange ein weißer Fleck" gewesen, da sie einen bestehenden Vertrag nicht verlängert und ein Schiedsverfahren beendet habe, sodass die Gerichte hätten entscheiden müssen.

Einige der Diskutanten

(Bild: Stefan Krempl/heise online)

Mit der Richtlinie geht es laut dem Google-Vertreter daher vor allem um den "long tail", den an sich "wirtschaftlich nicht so wichtigen" Rattenschwanz echter nutzergenerierter Inhalte. Werde YouTube hier momentan auf Rechtsverletzungen hingewiesen oder komme man solchen selbst auf die Spur, könnten die Rechteinhaber einschlägige Beiträge bereits sperren lassen. Über 95 Prozent sagten aber: "Lasst es auf der Plattform" und entschieden sich dafür, an den Einnahmen über geschaltete Werbung zu partizipieren.

Zugleich verdeutlichte Nolte, wie der bisher von YouTube bereits eingesetzte Filtermechanismus ContentID funktioniert. Wenn ein Rechteinhaber eine "Referenzdatei" einstellt, prüfe das System jede neu hochgeladene und bereits vorhandene Videos "auf Übereinstimmung mit Hashwerten". Es werde also geprüft, ob vergleichbare Folgen von Nullen und Einsen vorliegen. So sei erkennbar, dass ein verwendeter Song etwa Sony Music gehöre. Das Label entscheide dann über das weitere Schicksal des Beitrags.

Matthias Hornschuh, Komponist für Film, TV und Radio, hat derweil nach den heftigen Auseinandersetzungen über Upload-Filter des vergangenen Jahres nach eigener Angabe noch "die Faust in der Tasche". Mit der früheren EU-Abgeordneten Julia Reda habe die "einzige Piratin" im Parlament mit dem Verweis auf den anstößigen Begriff "die gesamte Debatte versaut". Da sich die Volksvertreterin den Grünen angeschlossen habe, säßen diese mit im Boot der Aufrührer. Darüber sei ein großer Teil der Kulturschaffenden noch sehr "verbittert und empört".

"Lizenzen sind die Heilung, sie sind das einzige Einkommen, das wir haben", meinte Hornschuh, der im Aufsichtsrat der Gema sitzt. Eine staatliche "Einmalvergütung" etwa für Filmmusik gebe es nicht, sodass die Werkschöpfer auf zusätzliches "Geld über die Nutzung" angewiesen seien. Am wichtigsten sei daher, dass der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie europaweite Anspruch der Urheber auf angemessene Vergütung festgeschrieben habe. So könne kein Diensteanbieter mehr etwa Deutschland ausklammern und ins Nachbarland gehen.

Auf Basis der Reform könnten auch Vertreter der Indies nun "mit Plattformen wie YouTube auf Augenhöhe verhandeln", hofft Mark Chung vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT). Die Lizenzierung auch der kleineren Labels funktioniere bereits, "wenn wir ein gleiches Spielfeld haben". So habe der VUT etwa schon Verträge mit Apple und Deezer abgeschlossen. Zugleich wehrte sich der Ex-Bassist der Einstürzenden Neubauten gegen Noltes Ansage, dass die Rechteinhaber einzelne zu ihrem Portfolio gehörende und noch nicht lizenzierte Dateien ganz genau angeben und bestätigen müssten: Dies funktioniere nur für große Unternehmen mit entsprechenden Rechtsabteilungen.

ContentID sei auch nicht die Lösung für alle, ergänzte Lena Falkenhagen vom Verband deutscher Schriftsteller. Bei Musikstücken könne man Hashes erstellen und damit gut hantieren, bei Texten nicht. Wenn jemand darin nur ein paar Kommata verändere, wäre es schon schwierig, ihn über einen solchen Filter noch zu erfassen. Kreative würden im Netz "mehr gehört, geschaut, gelesen" und müssten endlich "für jede Nutzung bezahlt werden".

Es gebe nun aber auch eine Pflicht der Plattformen, "legale Inhalte verfügbar zu machen", unterstrich Lina Ehrig vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Ein "nachgelagerter Beschwerdemechanismus" für Nutzer, deren Inhalte fälschlicherweise blockiert würden, reiche daher nicht mehr aus. Die Experten plädiertne so etwa für eine "Stay-up-Verpflichtung" auch umstrittener Inhalte für ein oder zwei Tage, um Kampagnen angemessen durchführen zu können.

Für eine breite nationale Ausnahme vom Prinzip des exklusiven Verwertungsrechts in Form einer "Pastiche-Schranke" warb der Berliner Rechtswissenschaftler Axel Metzger und griff damit einen Vorschlag seines Amsterdamer Kollegen Martin Senftleben auf. Parodien, Hommagen oder Memes mit nutzergenerierten Inhalten, die sich kritisch mit anderen Werken auseinandersetzen, könnten damit im großen Stil im Einklang mit der Richtlinie abgedeckt werden. Dies biete eine große Chance, die Nutzerrechte zu stärken.

Wenn ein Inhalt geblockt werde, "müsste sofort ein Pop-up hochgehen", brachte Metzger ein Beispiel für die Folgen. Nutzer könnten so angeben, wieso sie einen Beitrag als rechtmäßig ansehen und der Plattformbetreiber müsste sich dazu äußern.

"Jeder kann ein Pastiche machen, ohne dass ihm jemand in die Quere kommt", liebäugelte auch Gerhard Pfennig von der Initiative Urheberrecht mit einem solchen Modell. Generell sollten alle Beteiligten stärker über Lösungen wie "erweiterte Kollektivlizenzen" ins Gespräch kommen. Dabei werde ein Vertrag über eine Verwertungsgesellschaft abgeschlossen auch für Rechteinhaber, die bei dieser gar nicht als Wahrnehmungsberechtigte vertreten seien. Ein Opt-out sei möglich. Generell sind die meisten Urheber laut Pfennig aber froh, dass jemand für sie einen Topf unter die Kuh hält und die Milch dann verteilt.

Senftleben habe die Pastiche-Schranke "sehr, sehr weit gedehnt", gab dagegen der Göttinger Multimedia- und Telekommunikationsrechtler Gerald Spindler zu bedenken. Dabei bleibe viel nebulös. Er empfahl, auf nationaler Ebene ein Gremium mit allen Beteiligten einzusetzen, um untergesetzlich Leitlinien etwa rund um Nutzerrechte zu verfassen und weiterzuentwickeln.

Metzger teilte dagegen die in einem Gutachten für die Grünen dargelegte Ansicht Spindlers nicht, dass Artikel 17 eine allgemeine Überwachungspflicht etabliere und damit nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sei. Die Anbieter müssten nicht "jede Anstrengung" erfüllen, um Rechte zu klären und Lizenzen zu beziehen, erläuterte der Jurist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) werde nach der schwierigen Kompromissfindung im Parlament zudem "einen Teufel tun", die Richtlinie für nichtig zu erklären. Auch Nolte will hier besser nicht auf den EuGH setzen: Dieser habe im Widerspruch zu seiner Entscheidung gegen ein zentrales Filter- und Sperrsystem von 2011 voriges Jahr Facebook dazu verurteilt, bei rechtswidrigen Inhalten auch nach weiteren wortgleichen oder ähnlichen Äußerungen zu suchen und diese zu löschen. Dafür müsse ein Anbieter "in alles reingucken". (mho)