Wine 9.0: Kommt mit den neuen Features die komplette Office-Kompatibilität?

Windows-Software unter Linux und macOS mit Wine: Version 9.0 bringt den Stable-Support von 32-Bit-Anwendungen auf 64-Bit-Only-Systemen – und vieles mehr.

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(Bild: iX)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
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Das Wine-Projekt hat die Version 9.0 seiner gleichnamigen Software veröffentlicht, mit dem sich Windows-Programme unter Linux und anderen Unix-artigen Betriebssystemen betreiben lassen. In der Open-Source-Welt ist Wine seit Jahrzehnten eine feste Größe: Insbesondere ist es etwa innerhalb der Gaming-Community bekannt, um Spiele, die eigentlich nur für Windows zur Verfügung stehen, auch auf Linux-Systemen und macOS zu spielen.

Besonders hervor heben die Entwickler in der neuen Version eine Funktion namens WoW64 hervor. Die Abkürzung WoW leitet sich dabei noch von Windows NT ab und bezeichnet ein Feature, bei dem seinerzeit 16-Bit-Anwendungen in einem Windows-eigenen Emulator auf 32-Bit-Systemen liefen. Etwas Ähnliches implementiert WoW64, aber eine Generation von Prozessoren später: Windows-Programme, die noch immer nur in einer 32-Bit-Variante vorliegen, lassen sich in Wine 9.0 offiziell und mit dem Siegel "produktionsreif" auch auf Linux-Systemen nutzen, die ausschließlich über 64-bit-Bibliotheken verfügen.

Möglich macht das ein Umbau unter der Haube, an dem die Wine-Entwickler laut eigener Aussage einige Jahre lang gearbeitet haben: In der neuen Wine-Version sind demnach endlich alle Systemaufrufe für Windows und Unix-artige Betriebssysteme vollständig voneinander getrennt. Sämtliche Übergänge von der Windows- in die Unix-Welt wickelt Wine demnach über eine eigene Windows-Schnittstelle für Systemaufrufe ab. Dadurch sind anders als bisher die Windows-Kommandos und das, was Wine hinter den Kulissen damit macht, voneinander komplett unabhängig.

Einmal mehr dürfte sich besonders die Gaming-Community darüber freuen. Bisher war es nämlich oft nötig, auf Linux-Systemen 32-Bit-Versionen der GStreamer-Bibliotheken zu verwenden, um Windows-Spiele unter Wine zum Laufen zu kriegen. Jene Bibliotheken indes sind veraltet und waren immer schwieriger überhaupt noch zum Laufen zu bringen. Viele Distributionen liefern sie längst nicht mehr aus. Durch WoW64 entfällt die Abhängigkeit auf eben diese Bibliotheken. Freuen dürfen sich zudem macOS-Anwender, die Wine für Spiele auf Apple-Geräten nutzen wollen: Die Unterstützung für 32-Bit-Anwendungen auf Intel-Macs hatte Apple bereits vor einiger Zeit entfernt. Perspektivisch scheint es durch WoW64 und die damit zusammenhängenden Umbauten sogar möglich, 32-Bit-Windows-Spiele für Intel auf Macs zu emulieren.

Die strikte Trennung von Windows-Syscalls und dem, was Wine auf dem Gastbetriebssystem daraus macht, ist in ihrer Bedeutung also kaum zu unterschätzen. In den Augen vieler Beobachter könnte sie sogar ein Schritt auf dem Weg zu einer viel universelleren Art und Weise sein, Wine zu nutzen. Quasi als heiliger Gral in der Emulator-Szene gilt die Fähigkeit, Office unter Linux vollständig und ordentlich per Emulator zu betreiben. Gut möglich, dass eben dieses Ziel durch die neue Wine-Architektur realistischer geworden ist.

Sein Debüt gibt in Wine 9.0 zudem ein nagelneuer Treiber für den Grafikserver Wayland. Zeit war es, möchte man meinen: Wayland hat schließlich auch schon einige Jahre auf dem Buckel. Bisher war eine Integration mit Wine aber weitgehend unmöglich. Das ist nun anders. Die Entwickler raten dennoch zunächst zur Vorsicht, denn noch ist der neue Treiber ausdrücklich als experimentell markiert. Viele Funktionen wie Fenstermanagement funktionierten zwar schon gut, im Alltag ist aber mit Bugs zu rechnen.

Neu in Wine 9.0 ist auch Unterstützung für ARM-Systeme mit 64 Bit. CPUs dieses Typs werden am Markt zunehmend beliebter, weil sie relativ wenig Strom verbrauchen und trotzdem hohe Leistung für spezifische Aufgaben bieten. Auf den Zug springen die Wine-Entwickler auf – wichtige Vorarbeit war auch hier aber die zuvor beschriebene Trennung von Systemaufrufen aus der Windows- wie aus der Linux-Welt. Eben diese ermöglicht es nun, ARM64-Programme für Windows auch auf Linux-Systemen mit ARM64-CPUs auszuführen. Denn wo zuvor viele historisch gewachsene Hacks in den Wine-Modulen dafür sorgten, dass der jeweilige Windows-Code irgendwie funktionierte, greift jetzt eben die generische Schnittstelle, die zwischen den Welten übersetzt.

Weitere Verbesserungen ergeben sich quer durchs sprichwörtliche Beet. An der eingebauten Unterstützung für PostScript haben die Entwickler ebenso geschraubt wie an den 3D-Fähigkeiten der Grafikemulation. Das führt zu einer verbesserten Unterstützung der Windows-eigenen Smartcard-Module und Anwendungen, die auf diese durch das PCSC-Lite-Framework hindurch zugreifen. Ab Werk emuliert Wine jetzt außerdem ein Windows 10, es sei denn, der Nutzer legt per Konfigurationsparameter etwas anderes fest.

Insgesamt ist Wine 9.0 ein rundes Update, das alle bestehenden Wine-Nutzer einspielen sollten. Weil die Version 9.0 noch ganz frisch ist, stehen fertige Pakete aber noch nicht für alle gängigen Desktop- und Serversysteme zur Verfügung. Das dürfte erst in den kommenden Tagen der Fall sein. Alle Details zum neuen Release finden sich auf der Projektseite.

(fo)