Wissenschaftler: Klimawandel trägt zum Starkregen bei​

Die Wolkenbrüche mit katastrophalen Folgen gehören so nicht mehr zur üblichen Wetter-Varianz, meinen Wissenschaftler. Sie fordern einen Umbau der Infrastruktur.

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(Bild: Jens Hertel / Shutterstock.com)

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Nach den langen und heftigen Regenfällen Mitte der Woche treten immer mehr katastrophale Folgen zutage: Die Zahl der Toten wächst, allein in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind über 100 Menschen gestorben. Viele Häuser stürzten ein oder sind unterspült. Die Infrastruktur ist angeschlagen, mancherorts funktionieren weder Strom noch Telefon. Brücken haben die Fluten beschädigt oder fortgerissen. Das Science Media Center hat Wissenschaftler über den Zusammenhang mit dem Klimawandel befragt.

"Im Jahre 2021 stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel dazu beigetragen hat. Die Frage ist nur noch, wieviel", betont Carl-Friedrich Schleussner, Gruppenleiter am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. "Wir wissen, dass es aufgrund der Erwärmung zu einer Zunahme von Starkregen kommt und damit auch leider zu häufigeren, verheerenden Flutereignissen wie tragischerweise jetzt in Westdeutschland, Belgien und Luxemburg." Zugleich nähmen Wetterlagen zu, die zu solchen Ereignissen führten.

Die Attributionsforschung könne mittlerweile in vielen Fällen für Hitze und Starkregen aufzeigen, "dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Ereignisse, wie auch häufig die Intensität solcher Ereignisse, durch den Klimawandel zunehmen", sagt der Schweizer Klimaphysiker Sebastian Sippel. "Pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen."

Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima an der Uni Graz, schätzt, dass der Klimawandel die jüngsten Niederschläge "um sicher 10 bis 20 Prozent verstärkt hat". Die Forschung beschreibe die Stärke eines Extremereignisses durch die Jährlichkeit: Die Kanalisation sei auf Jährlichkeiten von wenigen Jahren ausgelegt, ein Damm sollte einem 100-Jahres-Ereignis standhalten, ein Kernkraftwerk einem 10.000-Jahres-Ereignis.

"Das aktuelle Ereignis lag für viele Kenngrößen außerhalb jeglicher bisheriger Beobachtungen", führen Christian Grams und Julian Quinting vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Eggenstein-Leopoldshafen aus: Tief "Bernd" sei eingekeilt gewesen und habe warme Mittelmeerluft von der Nordsee und Osteuropa zurück nach Süden geführt, wo sie über die kühlere Luftmasse aufgestiegen sei. Dies habe zu den massiven Niederschlagsmengen geführt. Die Böden seien auch schon gesättigt gewesen und stark gegliedertes Gelände mit teils tiefen Flusstälern habe den Oberflächenabfluss verstärkt.

Ein weiterer viel diskutierter Effekt sei die Abschwächung der Sommerzirkulation der Atmosphäre, die für länger anhaltenden Wetterlagen sorge, erläutert Stefan Rahmstorf, Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "So werden ein paar heiße Tage zur Hitzewelle, ein 'steckengebliebenes' Tief führt zu Dauerregen." Das habe damit zu tun, dass die Arktis sich in den letzten Jahrzehnten dreimal so stark erwärmt habe wie der Rest der Erde.

"Um gegen solche Extremereignisse einen wirksamen Schutz der Infrastrukturen bewerkstelligen zu können, reichen die konventionellen siedlungswasserwirtschaftlichen und wasserbaulichen Bemessungsansätze nicht aus", stellt Boris Lehmann, Inhaber des Lehrstuhls für Wasserbau und Hydraulik an der TU Darmstadt, klar. Es sei aber nicht möglich, "alle Elemente unserer Kulturlandschaften und Infrastrukturen" umzubauen und abzusichern. Es gelte daher, "in potenziell gefährdeten Gebieten durch Einsatz von Simulationswerkzeugen zunächst zu untersuchen, wo sich die systembedingten 'Engstellen' und Schadenspotenziale" befinden.

Christian Kuhlicke, Leiter der Arbeitsgruppe Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, rief dazu auf, die alternde Infrastruktur "in den nächsten fünf bis zehn Jahren zukunftssicher umzubauen". Strom- und Kommunikationsnetze müssten so konzipiert werden, "dass sie auch in extremen Lagen funktionieren". Der Wiederaufbau in den betroffenen Landesteilen biete die Möglichkeit, "neue Standards für die Zukunft zu setzen". Dörfer, Städte und Landschaften sollten etwa wie Schwämme konzipiert werden. Naturbasierte Lösungen seien begrünte Dächer, bessere Versickerungsmöglichkeiten auf offenen Flächen und dezentrale Speichermöglichkeiten in naturnahen Rückhaltezonen.

Wer herausfinden wolle, ob seine Gegend betroffen sein könnte, dem legt Annegret Thieken, Professorin für Naturrisikenforschung an der Uni Potsdam, für Flusshochwasser bundesweit verfügbare Gefahrenkarten ans Herz. In einigen Gemeinden lägen auch Pendants für Starkregen vor. Aufgrund der unklaren Rechtslage würden diese aber teils nicht veröffentlicht. Eine erste Einschätzung ermöglichten hier das Bundesinstitut für Stadt- und Raumforschung sowie der Naturgefahren-Check der Versicherungswirtschaft. Warnkarten des Deutschen Wetterdiensts sollten Thieken zufolge stärker in den Medien verbreitet werden, effektivere Hinweise etwa über die Webseite des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zugänglich sein.

(vbr)