Zweifel an Datenpanne bei der Bundeswehr

Oppositionspolitiker und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz drängen auf eine Aufklärung der Löschung von Daten im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr.

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Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses Karl Lamers, hält es für möglich, dass die bei der Bundeswehr verschwundenen Daten über Auslandseinsätze nicht endgültig verloren sind. Er habe das Kanzleramt gebeten, zu prüfen, ob Zusammenfassungen oder Kopien des Materials von der Bundeswehr weitergeleitet worden seien, berichtet der Deutschlandfunk. Lamers sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Geheimberichte dem Verteidigungsausschuss bewusst vorenthalten wurden.

Die Oppositionsparteien des Bundestags sowie der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hatten bereits eine umfassende Aufklärung des Vorfalls verlangt. Sie bezweifeln, dass die Berichte aus den Jahren 1999 bis 2003 aufgrund einer technischen Panne verlorengegangen sind. Der Berliner Zeitung zufolge sollen dazu auch Berichte über die Teilnahme deutscher Offiziere an Verhören in einem US-Geheimgefängnis gehören. Diese habe das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr aus einem Geheimgefängnis im bosnischen Tuzla erhalten. Dort sollen die USA vor und nach dem 11. September 2001 Terrorverdächtige festgehalten und zum Teil misshandelt haben. An den Verhören in Tuzla sollen – wie die Zeitung unter Berufung auf einen BND-Bericht schreibt – zumindest im Jahr 2001 auch Offiziere des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) beteiligt gewesen sein.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums waren die Daten wegen technischer Probleme bei der Anfertigung von Sicherungskopien nicht mehr lesbar. Die fraglichen Bänder seien im Jahre 2005 dann vernichtet worden. Die Datenlöschung wurde aufgedeckt, nachdem der Verteidigungsausschuss des Bundestages Unterlagen aus dem Datenbestand der Bundeswehr aus dem Jahre 2002 angefordert hatte, um den Umgang des in Afghanistan eingesetzten Kommandos Spezialkräfte (KSK) mit dem damaligen Häftling Murat Kurnaz in Kandahar aufzuklären. Die Staatsanwaltschaft Tübingen hatte ihre Ermittlungen gegen zwei Soldaten Ende Mai aus Mangel an Beweisen eingestellt, denen Kurnaz vorgeworfen hatte, ihn misshandelt zu haben. Kurnaz' Anwalt Bernhard Docke will eine Fortsetzung des Verfahrens erzwingen. Er vermutet, dass die Bundeswehr belastendes Beweismaterial vernichtet haben könnte.

Zweifel an der Darstellung der Datenvernichtung als Panne hegt auch der Grünen-Politiker Christian Ströbele. Er sagte der Neuen Presse in Hannover, er habe noch im November 2006 einen Brief von Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert bekommen, wonach der Verteidigungsausschuss des Bundestages über Einsätze der Eliteeinheit KSK im Ausland informiert werde. Dabei sei nicht erwähnt worden, dass die Daten weg sind. Es sei möglich, dass die Bundeswehr versuche, "Informationen nicht nach außen zu geben".

Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger forderte gestern von der Regierung eine lückenlose Aufklärung über die verschwundenen Daten. "Eine solche Schlamperei ist nicht hinnehmbar." Es mache nachdenklich, dass ausgerechnet von solchen Daten keine zweite Sicherungsdatei angefertigt wurde. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom sagte der Berliner Zeitung, das Bundeskriminalamt und hoch spezialisierte Firmen seien seit Langem in der Lage, beschädigte Datenträger zu retten und zu rekonstruieren. Es sei seltsam, dass keine technische Hilfe in Anspruch genommen wurde.

Die bislang eher unklaren technischen Hintergründe der von der Bundeswehr berichteten Datensicherungspanne lassen viele IT-Fachleute entweder an der Fachkompetenz der beteiligten Bundeswehrmitarbeiter oder an der Darstellung gegenüber dem Untersuchungsausschuss zweifeln: So dürfte kaum ein für die Datenintegrität und -sicherheit in einem Unternehmen zuständiger Mitarbeiter von zentralen, wichtigen Daten lediglich eine einzige Bandkopie anfertigen, zumal dann, wenn die Daten an keinem anderen Ort mehr gespeichert sind. Auch kommt wohl niemand auf die Idee, nicht mehr lesbare Bänder, die wichtige Daten enthalten sollen, gleich zu vernichten, ohne nicht vorher die Hilfe professioneller Datenretter in Anspruch zu nehmen (siehe dazu auch: Die Profis, Datenrettung in Speziallabors, c't 6/00, S. 130) . Diese können schließlich auch aus weitgehend zerstörten Bändern oder Festplatten noch Informationen auslesen.

SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold meint zu den Auswirkungen des Datenverlustes, aus welchen Gründen er auch immer passiert sein mag, dass keine wichtigen Informationen über den Fall Kurnaz verloren gegangen seien. Die Mitarbeiter der Zelle für militärisches Nachrichtenwesen, die in Afghanistan Informationen gesammelt hätten, seien bereits im Ausschuss aufgetreten. "Die Behörde hat die Daten offenbar für nicht sehr relevant gehalten", schätzt Arnold die Lage laut Financial Times Deutschland ein. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die schlechte technische Ausstattung der Truppe eine Rolle gespielt habe. (anw)