iRights-Jahresrückblick: Das Netz zwischen Online-Hass, Landesverrat und Safe Harbor

"Die Demokratie liegt vor uns auf dem Tisch mit Schweiß auf der Stirn und erhöhtem Pulsschlag", heißt es im iRights-Jahresrückblick. Um sie zu retten, reichten nicht nur "Klicks". Die Menschen müssten manchmal auch auf die Straße gehen.

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Shitstorm

(Bild: dpa, Nicolas Armer)

Lesezeit: 3 Min.
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"Das Phänomen der Hassrede im Netz ist nicht neu", schreibt der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in seinem Beitrag über Cybermobbing im Jahresrückblick "Das Netz" von iRights.info, der am Freitag online, als E-Book und Printausgabe erschienen ist. 2015 sei aber das Jahr gewesen, in dem "Hate Speech" in öffentlichen Diskussionen über Flüchtlinge und Migration massiv in die sozialen Netze und die Kommentarspalten reichweitenstarker Online-Medien ausgebreitet wurde und zu einem zentralen Thema der Netzpolitik und -kultur geworden sei.

Wenn Hasskommentare für Mitglieder einer Gruppe ein "Klima der Angst" erzeugten, erscheine der Ruf nach den Strafverfolgungsbehörden "kurzfristig als befriedigend und langfristig vielleicht sogar als Lösung", schreibt Stefanowitsch. Die Latte hänge dafür aber hoch, gerade vor dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Zudem könnten Polizei und Staatsanwaltschaft das Problem nur "mittels flächendeckender Überwachung in den Griff bekommen". Die Betreiber wiederum hätten "kommerzielle Absichten" und wenig Interesse, "nur eine bestimmte Wertegemeinschaft anzusprechen".

Selbst die Strategie der Gegenrede bringe viele Probleme mit sich, meint der Forscher. Der Kampf gegen Hassrede sei aber letztlich "ebenso wenig zu gewinnen wie der Kampf gegen den Hass selbst". Die sozialen Netzwerke lieferten nur einen bequemen Weg von den Stammtischen direkt an die Öffentlichkeit. Der "unkontrollierte Wildwuchs" von Online-Hass sei einer der Gründe, warum bei aller Begeisterung für Begegnungen im Internet daran gezweifelt werden darf, "dass wir als Gesellschaft schon reif für dieses Potenzial sind".

So konstatiert auch Herausgeber Philipp Otto nicht ohne Pathos: "Die Demokratie liegt vor uns auf dem Tisch ­ mit Schweiß auf der Stirn und erhöhtem Pulsschlag." Zivilcourage und Öffentlichkeit schaffe man aber nicht nur durch Klicks, die Menschen müssten sich auch "manchmal die Schuhe anziehen".

Der Rückblick spart auch nicht die Causa Landesverrat und Netzpolitik.org aus, in der "total ungewöhnliche" Methoden angewandt worden seien. Der Fall wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet als "Beziehungsdrama zwischen Demokratie und Geheimdiensten", das darauf aufmerksam mache, dass "Meinungsfreiheit immer wieder verteidigt werden muss".

Auch der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags steht im Rampenlicht. An kaum einem anderen Ort werde gerade "so sehr darum gerungen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen". Darin zeige sich der "verzweifelte Versuch einer Demokratie", einen gefährlichen Fremdkörper, der sich aus der Verantwortung stehlen wolle, in die Schranken zu weisen. Doch noch passiere wenig mit den zutage beförderten Erkenntnissen, da sich dazu die Gesellschaft erst einmal regen müsse.

Der Herausgeber wiederum ruft nach Bereichen, "die sich der kompletten Kontrolle entziehen". Nur dort entstehe persönliche Freiheit. Die Terrorgefahr dürfe nicht als Ausrede herhalten, "um die feuchten Träume der Nachrichtendienste von neuartigen Überwachungstools für die heimischen IT-Geräte der Bürger zu verwirklichen".

Dazu passt der Essay von Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die betont, dass trotz aller "Big-Data-Euphorie" der Datenschutz nicht hintan stehen dürfe. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei "die Grundlage unserer Demokratie". (kbe)