Neue Diskussionen um Suizid-Foren im Internet

Auch nach dem Doppelselbstmord vom Wochenende in Berlin sollten Suizid-Foren im Internet nicht pauschal verboten werden, meint der Sozialpädagoge Gerd Storchmann.

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  • dpa

Die Suizid-Gefahr unter Jugendlichen darf nach Expertenmeinung kein gesellschaftliches Tabu-Thema sein. Es sei keine Lösung, vor dem Hintergrund des Doppel-Selbstmordes in Berlin am Wochenende mit dem "Verbieterhammer" etwa gegen Suizid-Foren im Internet vorzugehen, sagte der Sozialpädagoge Gerd Storchmann am Dienstag in einem dpa-Gespräch in Berlin. "Solche Foren müssen differenziert beurteilt werden", meinte der Experte, der für die Organisation Neuhland tätig ist, die Hilfe für selbstmordgefährdete Kinder und Jugendliche anbietet. Handlungsbedarf sieht Storchmann jedoch bei Websites, die Anleitungen zum Selbstmord geben. "Die müssen abgeschaltet werden."

Online-Foren zum Thema Suizid sind unter Ärzten und Psychologen umstritten. Im Jahr 2000 registrierten die Forscher rund ein Dutzend "Internet-Suizide" in Deutschland, weshalb zum Beispiel der Psychiater Ulrich Hegerl von der Ludwig-Maximilians-Universität-München auf etwa 30 solcher Foren hinwies. Gefährlich mache diese aber vor allem die Art, wie über den Freitod kommuniziert wird. Im Fall des Berliner Doppelselbstmordes schließt die Polizei nicht aus, dass sich die beiden Jugendlichen im Internet gefunden haben könnten.

Natürlich gebe es die Möglichkeit, dass sich Jugendliche im Internet zum Suizid verabreden könnten, meint Storchmann. "Diese Gefahr haben wir aber auf psychiatrischen Stationen auch." Die Internet-Foren hätten auch positive Effekte. "Sie zeigen den Betroffenen: Ich bin nicht allein auf der Welt, anderen geht es auch so. Es kann auch hilfreich sein, die Fantasien einmal loszuwerden", sagte Storchmann. Zum Teil werde dort zudem auf Hilfseinrichtungen aufmerksam gemacht.

Auch darf das Thema Suizid unter Jugendlichen nach Meinung des Experten nicht aus den Medien verbannt werden. Es sei jedoch wichtig nicht spektakulär zu berichten, sondern Hintergründe aufzuzeigen und Angehörige zu befragen, betonte Storchmann. "Eine solche Berichterstattung wird nicht zum Nachahmen, sondern zum Nachdenken anregen." Dies solle jedoch nicht heißen, dass es generell keinen Nachahmungs-Effekt gebe. "Dafür muss die Person aber schon suizidal sein. Kein Mensch nimmt sich das Leben, nur um ein Idol nachzuahmen", sagte Storchmann.

Für Eltern und Freunde von gefährdeten jungen Menschen sei es wichtig, auf diese einzugehen. Es sei absolut falsch, Selbstmord-Gedanken als Spinnerei abzutun. Vielmehr müsse mit den Betroffenen geredet und professionelle Hilfe hinzugezogen werden.

Zu dem Thema siehe auch in Telepolis:

(dpa) / (anw)