Entschädigung für die Vorratsdatenspeicherung bleibt heißes Eisen
Auf einer Anhörung über die geplanten Ausgleichszahlungen an Provider für die Hilfe bei der Telekommunikationsüberwachung sprachen sich alle Experten auch für eine Entschädigung für Investitionskosten aus.
Experten sind der Ansicht, dass der Vorstoß der großen Koalition zu Ausgleichszahlungen an Provider für Hilfsleistungen bei der Telekommunikationsüberwachung umgestaltet werden muss. Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am heutigen Mittwoch sprach sich die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen dafür aus, in der geplanten gesetzlichen Neuordnung der Entschädigung auch die Investitionskosten der Anbieter zu berücksichtigen.
Union und SPD waren bislang der Auffassung, dass mit Pauschalen für konkrete Überwachungsanordnungen auch die Aufwendungen mittelbar mit abgegolten werden, die der Ausbau der Infrastrukturen vor allem für die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten erforderlich macht. Felix Müller von der British Telecom (BT) veranschaulichte, dass ein erheblicher Aufwand zu treiben sei, der angesichts ausbleibender Anfragen der Strafverfolger nicht refinanziert werden könne. Für die Vorratsdatenspeicherung müsste in die bestehenden, teils Jahrzehnte alten Systeme ein "Saugrüssel" eingebaut werden, was nur mit teuren Programmierarbeiten und zusätzlicher Hardware zu leisten sei. Darüber hinaus seien Personal und Software vorzuhalten, um mögliche Auskunftsersuchen "unverzüglich" gewährleisten zu können.
In der BT-Kundeninfrastruktur sei aber "der internationale Terrorismus nicht unbedingt zuhause", erläuterte Müller weiter. Seit 2003 habe man vier Anordnungen zur TK-Überwachung bekommen. Darunter seien zwei Tests gewesen und ein Irrläufer. Beim vierten habe der "Bedarfsträger" dann nicht die Ausrüstung besessen, um den betroffenen Multiplex-Anschluss abzuhören. Dafür ein millionenschweres "Sonderopfer" zu bringen, sei nicht verhältnismäßig, eine Entschädigung daher unabdingbar. Alternativ brachte Müller eine Härtefallklausel nach britischem Modell ins Spiel. Auf der Insel betreffe die Vorratsdatenspeicherung zwar abstrakt die ganze Branche. Umgesetzt werden müsse sie aber nur von Unternehmen, mit denen das britische Innenministerium eine entsprechende Vereinbarung mit konkreten Entschädigungssummen treffe. Dies sei auch hierzulande machbar, da bei Erfassung der zwanzig größten Anbieter mehr als 99 Prozent der gewünschten Verbindungs- und Standortdaten vorlägen.
Oliver Süme vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco rechnete vor, dass von den geschätzten, allein auf die Provider zukommenden 332 Millionen Euro Investitionskosten "zu 80 Prozent kleine und mittelständische Unternehmen" betroffen seien. Darunter seien viele Geschäftskundenanbieter, sodass die einzige vorgesehene Möglichkeit zur Entschädigung wegfalle. Eine Marginalgrenze ähnlich wie in der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) einzuziehen, wäre aber nur schwer mit den EU-Vorgaben zu vereinbaren.
Von Ausnahmen für Härtefälle oder Anbieter mit wenigen Kunden wollte Rainer Bruckert vom Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen nichts wissen. "Da rutscht uns jemand durchs Netz", befürchtet er. Zugleich bemängelte er die Höhe einzelner Pauschalen wie etwa der zur Standortabfrage. "Es gibt Provider, die für Privatkunden eine sehr viel günstigere Ortung anbieten", monierte er. Ein Kollege vom bayerischen LKA, Ernst Wirth, machte in seiner schriftlichen Stellungnahme gar die Rechnung auf, dass im Freistaat die Kosten für die Verkehrsdatenabfrage 2007 bei 438.000 Euro gelegen habe und diese mit den im Raum stehenden Pauschalen auf über 1,5 Millionen Euro steigen würden. Andererseits vermisste er eine Entschädigungskategorie für die bei Netzbetreibern nicht gern gesehenen Abfragen konkreter Funkzellenkennungen für sehr genaue Standortangaben.
Überraschend votierten neben Vertretern der Branchenverbände Bitkom und VATM auch der Strafverteidiger Ulrich Wehner sowie der Bamberger Richter Wolfgang Bär für eine gesonderte Entschädigung für Investitionskosten. Diese würden sonst "auf Beschuldigte abgewälzt", meinte Wehner. Ein Verurteilter habe nämlich die Verfahrenskosten zu tragen, unter die auch Kosten für eine Überwachungsmaßnahme fallen würden. Die Aufrüstung der Netzinfrastrukturen für das Abhören oder eine Datenabfrage habe er dagegen nicht auf seine Kappe zu nehmen. Bär bezeichnete die Investitionskosten ebenfalls als "völlig losgelöst" von den "staatsbürgerlichen Mitwirkungspflichten" Privater in einem Strafverfahren.
Einig waren sich alle Seiten, dass bei der Vorratsdatenspeicherung entgegen von Aussagen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) keineswegs nur ohnehin generierte Daten sechs Monate lang anlassunabhängig vorgehalten werden müssen. Im Mobilfunk müssten etwa zusätzlich Informationen über das erstmalige Aktivieren von Prepaid-Karten, im Internetbereich dynamische IP-Adressen auch bei Flatrates aufbewahrt werden. Wiederholt äußerten Wirtschaftsvertreter zudem Zweifel daran, ob die Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung auch anhand bereits ergangener verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ohne angemessene Entschädigung aller anfallenden Kosten als verfassungsgemäß anzusehen seien. (Stefan Krempl) / (vbr)