Filesharing-Prozesse: Etappensieg für US-Musikindustrie
Ein New Yorker Richter hat die in zahllosen Filesharing-Verfahren wiederholten Standardargumente der Musikindustrie zwar im Kern verworfen, die Klage aber nicht abgewiesen. Das Urteil könnte weit reichende Folgen haben.
Es hätte ein schwerer Rückschlag für die Klagekampagne der US-Musikindustrie werden können. Doch die Hoffnungen der Beklagten und ihrer Anwälte auf ein in ihrem Sinne richtungsweisendes Urteil hat der New Yorker Bundesrichter Kenneth Karas nicht erfüllt. In einem der vielen Prozesse wegen mutmaßlicher Copyrightverletzung durch Filesharing gab der Jurist dem Antrag der Verteidigung auf Klageabweisung nicht statt.
Das Verfahren ist eines von tausenden, die der US-Verband der Musikindustrie (Recording Industry Association of America, RIAA) im Auftrag der betroffenen Major Labels gegen US-Bürger führt. Der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung wird mit einer IP-Adresse, dem zeitlich zugeordneten Anschlussinhaber sowie einem Nutzernamen und einer Momentaufnahme des dazugehörigen Shared-Ordners eines Filesharing-Programms untermauert. Kritiker zweifeln allerdings an diesen Ermittlungsmethoden und der Aussagekraft der Ergebnisse.
Die Argumentation der RIAA-Anwälte baute bisher auf der Theorie auf, die bloße Bereithaltung ("Making Available") eines Musikstücks im Shared Ordner - dessen Inhalt für andere Nutzer im Filesharing-Netzwerk abrufbar ist – sei schon ein Verstoß gegen das vom US-Copyright geschützte Recht auf die exklusive Verbreitung eigener Werke. Den entsprechenden Passus im Digital Millennium Copyright Act (DMCA) legt die Verteidigung dagegen so aus, dass eine tatsächliche Verbreitung des Werkes bewiesen werden müsse, um eine Urheberrechtsverletzung wirksam nachzuweisen.
In dem in New York verhandelten Fall hatte Rechtsanwalt Ray Beckerman, der die Klagekampagne der RIAA auch in seinem Blog aufarbeitet, die Abweisung der Klage beantragt. Einerseits argumentierte Beckerman, die Klage sei nicht ausreichend formuliert und müsse aus verfahrenstechnischen Gründen abgewiesen werden. Darüber hinaus liefere die "Making Available"-Argumentation der RIAA keinen ausreichenden Nachweis für eine tatsächliche Verbreitung der in der Klage genannten Musikstücke. Die finden sich zwar auf der Inhaltsliste des Shared-Ordners, einen Download genau dieser Dateien durch Dritte kann die RIAA allerdings nicht nachweisen.
Im Kern streiten die Parteien um die Deutungshoheit über den Begriff der Verbreitung ("Distribution"). Richter Karas hat nach langem Studium der bisherigen Rechtsprechung dazu nun ein differenziertes Urteil (PDF-Datei) gesprochen, dem beide Seiten etwas Positives abgewinnen können. Die RIAA zumindest sieht sich in der Entscheidung voll bestätigt. Die Vorwürfe, so Karas, seien ausreichend formuliert, um den Anforderungen der Prozessordnung zu genügen. Die Klageschrift müsse nicht für jeden einzelnen Vorwurf ins Detail gehen, schreibt der Richter weiter, "um einen Antrag auf Einstellung zu überleben".
Allerdings hält auch Karas den "Making Available"-Ansatz für "konturlos" und nicht tragfähig. Das reicht allerdings nicht ganz, um den Fall endgültig zu den Akten zu legen. Der Richter folgt der in früheren Verfahren gefestigten Rechtsmeinung, dass "Verbreitung" mit der im DCMA-Text näher definierten "Veröffentlichung" gleichzusetzen sei. Laut dieser Definition ist auch das Anbieten geschützter Werke mit dem Ziel weiterer Verbreitung eine Veröffentlichung im Sinne des Gesetzes. Damit folgt Karas auch den Argumenten der RIAA.
Doch weist der Richter darauf hin, dass die Kläger die "Veröffentlichung" im Prozess erst noch nachzuweisen hätten und ihre Klageschrift innerhalb einer Frist von 30 Tagen entsprechend anpassen müssen. Glücklich ist die Verteidigung damit nicht. Sollte Karas' Meinung Bestand haben und von anderen Richtern aufgegriffen werden, sei das "insgesamt ein strategischer Sieg für die RIAA", räumt Beckerman gegenüber heise online ein. Allerdings hält er das Gewicht dieser Entscheidung für nicht so groß wie das einer möglichen Klageabweisung: "Das ändert nichts außer den Formulierungen in den Klagen".
Zwar habe der Richter den "Making Available"-Ansatz durchfallen lassen und den RIAA-Anwälte damit eine "peinliche" Schlappe verpasst. Doch sei es ein Fehler gewesen, mit der "Veröffentlichung" eine neue Konstruktion einzuführen, die Jahrzehnten der Rechtsprechung und einschlägigen Copyright-Abkommen widerspräche. Über das weitere Vorgehen macht Beckerman noch keine Angaben. Auch die Electronic Frontier Foundation (EFF), die in dem Verfahren gehört wurde, bedauerte die "unglückliche" Entscheidung. Das Urteil, so fürchten die Bürgerrechtler, sei "Schmiermittel für die RIAA-Klagemaschinerie".
Eine entscheidende Gewichtsverlagerung im Kräfteverhältnis der Parteien hat auch Richter Karas Entscheidung nicht bewirkt. Inzwischen gibt es zahlreiche abweichende Auslegungen, zuletzt von einer Bundesrichterin in Connecticut. Es kann noch etwas dauern, bis sich im US-Fallrecht eine einheitliche Linie der Rechtsprechung herausbildet. Die von der RIAA vor den Kadi gezerrten zahlreichen US-Studenten können so lange noch am eigenen Leib erfahren, wie in den USA Recht entsteht. (vbr)